„am rand: die stadt“: Ein Blick hinter die herrschenden Bilder

Entsprechend dem Titel am rand: die stadt zeigt das Österreichische Filmmuseum mit einer Sammlung von Hobby- und Amateurvideos einen abwechslungsreichen Einblick in das Stadtleben Wiens abseits des Bekannten. Unter der künstlerischen Leitung von Gustav Deutsch und Hanna Schimek entstand eine spannende Darstellung der letzten Jahrzehnte und eine Hommage an die Kunst des Films. Nach der Eröffnung im Zuge des SOHO-Festivals in Ottakring in der Außenstelle Sandleiten werden die Vorführungen von 22. Juni bis 6. Juli in der Außenstelle Seestadt (Sonnenallee 26, 1220 Wien) zu sehen sein.
19. Juni 2018 |

Im Rahmen des SHIFT-Programms der Basis.Kultur.Wien sammelte das Österreichische Filmmuseum ein Jahr lang private Hobbyvideos und Amateurfilme. Ob Youtube-Uploads, Smartphone-Aufnahmen oder 8mm-Filmkiste: das von Filmemacher Gustav Deutsch und der Künstlerin Hanna Schimek initiierte Projekt vereint unter dem Motto am rand: die stadt alles, was die Stadt Wien jenseits aller altbekannten Klischees zeigt. Dementsprechend sind auch die Ausstellungsorte gewählt. Nach der Eröffnung im Zuge des SOHO-Festivals in Ottakring in der Außenstelle Sandleiten werden die Vorführungen von 22. Juni bis 6. Juli in der Außenstelle Seestadt (Sonnenallee 26, 1220 Wien) zu sehen sein.

Authentische Einblicke

„Die Innenstädte verfolgen längst nur mehr kapitalistische Strategien“, begründet Deutsch die Konzentration auf die Randbezirke. Die Hochglanzbilder, die Touristen anlocken sollen, haben wenig mit der Realität in der Hauptstadt zu tun. Zahnpasta-Lächeln und Traumkulisse sucht man bei den gezeigten Videos vergeblich – dafür erwarten die Zuschauer_innen authentische und abwechslungsreiche Einblicke in das Wiener Leben. Das Repertoire setzt sich zusammen aus Aufnahmen aus dem Archiv des Filmmuseums, Social Media Uploads und direkt über einen Aufruf eingegangenen Videodokumenten.

 

Alte Kameras, Datenträger, Schneidemaschinen, Projektoren können in der Sammlung bestaunt werden. Foto: Linkswende jetzt

 

Das Programm ist in Themenblöcke eingeteilt und reicht von Kindheit & Jugend in Wien bis Reportagen und Nachrichten aus Wien. Besonders sehenswert ist die Reihe Engagiert und Organisiert in Wien. Bilder aus dem Jahr 1939 von lachenden Nazis, die fleißig Spenden sammeln (und bekommen) werden abgelöst von der „Schutt und Faschismus“ wegschaufelnden KPÖ und schließlich der ausgelassenen Stimmung beim Mai-Aufmarsch 1963. So fremd die Bilder von russischen Straßenschildern aus der Zeit der sowjetischen Besatzung anmuten, so vertraut ist die „Großdemo gegen Schwarz-Blau“ vom Jänner 2018, die im Zeitraffer noch einmal ihre enorme Vielfältigkeit zeigt.

„Zeitzeugen“

Immer wieder beschäftigte sich Deutsch mit privatem Filmmaterial. So erstellte er etwa eine Filmmontage aus Urlaubsfilmen von der Adria aus den Jahren 1954-68, um zum Einen die erste breitere Auseinandersetzung mit dem Medium Film festzuhalten und zum Anderen den gesellschaftlichen Kontext – Wirtschaftsaufschwung, erste Auslandsurlaube – wiederzugeben. Gemeinsam mit Schimek realisierte der Filmkünstler unter anderem das Kunstforum Aegina Academy, mit dem Ziel der Demokratisierung der Medien. Beide erhielten bereits zahlreiche Preise für ihre experimentelle und gesellschaftskritische Kunst.

 

Die Kombination von Kurator_innen und Filmmuseum ergibt eine alternative Begegnung mit visuellen Medien. Die vom Archiv des Filmmuseums bereitgestellten „Zeitzeugen“, wie Kameras, Bücher und verschiedenste Arten von Datenträgern, erzählen die spannende Filmgeschichte der letzten Jahrzehnte aus Sicht der Bevölkerung. Gezeigt werden die Filmszenen innerhalb eines schwarzen Würfels. Allein schon das Zurückschlagen der Stoffbahnen, um ins Innere des „Kinos“ zu gelangen, erzeugt ein Gefühl von Intimität – immerhin bekommt man Ausschnitte privater Leben zu sehen. Auf Nachfrage können die Filme auch in ganzer Länge gesehen werden.

Immer anwesend sind Archivar_innen des Filmmuseums, die gerne Details über Geschichte und Bedeutung der Amateur- und Hobbyvideos berichten.

Blick von unten

Im Laufe der Zeit haben sich sowohl die Technik des Filmens als auch die Gegenstände des Gefilmten verändert. Videomaterialien waren lange sehr teuer und nur einer geringen Oberschicht zugänglich. So verwundert es nicht, dass meist nur besondere Momente auf Band aufgenommen wurden, um sie innerhalb der Familie vorzuführen. Hinter den Kameras standen hauptsächlich Männer. Wie so häufig, ist die Geschichte aus weiblicher Sicht beim Amateurfilm wenig dokumentiert. Ähnlich sieht es mit dem Anteil von Migrant_innen, wie etwa Gastarbeiter_innen, aus. Neben ökonomischen Gründen liegt das auch an deren bewusster Ausgrenzung aus dem politischen und gesellschaftlichen Leben Österreichs.

 

In der Außenstelle Sandleiten des Österreichischen Filmmuseums war die Sammlung bereits zu sehen. Von 22. Juni bis 6. Juli können Filme in der Außenstelle Seestadt (Sonnenallee 26, 1220 Wien) angesehen und abgegeben werden. Foto: Linkswende jetzt

 

Mit der Digitalisierung wurden Kameras auch für eine breitere Masse zugänglich. Jetzt, da jeder ein Smartphone besitzt, gibt es kaum einen Lebensbereich, der nicht auf Video festgehalten ist. Anders als früher bleiben diese meist ungesehen auf dem Gerät und verschwinden in der Vergessenheit, oder aber sie gesellen sich zu den Unmengen an Daten in den Sozialen Netzwerken. Das eröffnet auch für die „einfachen Leute“ die Möglichkeit, eine große Masse zu erreichen.

Gegen das Vergessen

Die Amateurfilme und Home Movies bieten einen außergewöhnlichen, viel zu selten beachteten Blick auf die Geschichte von unten, abseits der offiziellen Geschichtsschreibung. Oft genug fielen Zeugnisse sozialer Bewegung der Zensur zum Opfer, beispielsweise wurde nach dem „Anschluss“ 1938 massenhaft Filmmaterial vernichtet und durch Nazi-Propaganda ersetzt. Häufig lässt sich auch nicht mehr rekonstruieren, wer auf alten Filmen zu sehen ist. Damit nicht die Filme selbst, wie unzählige Identitäten, in Vergessenheit geraten, archiviert das Filmmuseum die Dokumente und macht sie bei Führungen jederzeit einsehbar. Ein Blick hinter die herrschenden Bilder lohnt sich!

22. Juni bis 6. Juli in der Außenstelle Seestadt (Sonnenallee 26, 1220 Wien) zu sehen sein.

Die Sammlung „am rand: die stadt – Wien in privaten Filmen“ ist von 22. Juni bis 6. Juli in der Außenstelle Seestadt des Österreichischen Filmmuseums (Sonnenallee 26, 1220 Wien) zu sehen.