Antifaschismus in der Krise
Der Holocaust-Überlebende und Sozialdemokrat Martin Löwenberg mahnte: „Eine bittere Lehre, die wir Überlebende der faschistischen Barbarei nach der Befreiung ziehen mussten, war die Erkenntnis, dass Nazismus, Völkermord und Krieg hätten verhindert werden können, wenn Antinazis und Demokraten die Gefahr rechtzeitig erkannt und gemeinsam den Kampf gegen die braune Pest geführt hätten.“ Von den multiplen Krisen und Unsicherheiten profitierte bei den Wahlen einzig die FPÖ. Dennoch, selbst wenn faschistische Parteien in die Regierung kommen, heißt das nicht automatisch, dass sie Faschismus verwirklichen können. Voraussetzung dafür ist, dass Antifaschist:innen aus historischen und aktuellen Fehlern lernen.
Masse und Militanz setzen
Um Faschismus zu schlagen, braucht es breite Bündnisse und Mut zur Konfrontation. Einem Bündnis, das beides beherzigt hat, Masse und Radikalität, ist es gelungen die pogromartigen Ausschreitungen gegen Flüchtlingsunterkünfte in Großbritannien zu stoppen. Im Kampf gegen Faschismus müssen wir uns auf die organisierte Arbeiter:innenklasse fokussieren, denn nicht als Individuen, sondern als eine kollektive Klasse, entwickeln wir die nötige Macht. Wir können als Klasse das gesamte Land lahmlegen. Deutschland hatte weltweit die zahlenmäßig stärksten Arbeiterparteien und die größten Gewerkschaften. Geeint hätten sie den Faschismus besiegen können.
Leo Trotzki appellierte Ende 1931 erfolglos: „Arbeiter-Kommunisten, Ihr seid Hunderttausende, Millionen; Ihr könnt nirgendwohin wegfahren, für Euch gibt es nicht Reisepässe genug. Wenn der Faschismus an die Macht kommt, wird er wie ein furchtbarer Tank über Eure Schädel und Wirbelsäulen hinwegrollen. Rettung liegt nur in unbarmherzigem Kampf. Und Sieg kann nur das Kampfbündnis mit den sozialdemokratischen Arbeitern bringen. Eilt, Arbeiter-Kommunisten, Ihr habt nicht mehr viel Zeit!“
Rassismus in die Offensive
Ausgerechnet im Wahljahr 2024 fand erstmals am Weltflüchtlingstag kein Protest in Wien statt. Teile der Zivilgesellschaft kamen auf die ängstliche Idee, Rassismus zu benennen und Solidarität mit Flüchtlingen zu fordern, könne der FPÖ in der aufgeheizten Lage Stimmen bringen. Kommentarlos nahm die Linke schon das ganze Jahr rassistische Kampagnen über „Messerstecher“, „Islamismus“ und „im-großen-Stil-abschieben“ hin. Bezahlkarten für Asylwerbende wurden eingeführt und in Favoriten entstand eine Waffenverbotszone als rassistische Kontrollzone. Migration wurde zum Angstthema Nummer 1 aufgebauscht und Rassismus gegen Flüchtlinge und Muslime salonfähig. Das hat der FPÖ enorm zugearbeitet. Es ginge anders. 2015 überwanden Geflüchtete und Solidarische gemeinsam die Grenzen. SPÖ-Kanzler Faymann predigte leider anstatt internationaler Solidarität das „Zurück zur Normalität“. Statt ordentliche Unterkünfte bereitzustellen, kündigte er die Errichtung eines von FPÖ und ÖVP geforderten Grenzzauns an. Sebastian Kurz feierte sich als Balkanrouten-Schließer. Unter Kurz‘ Führung radikalisierte sich die ÖVP soweit, bis sie für normale Medienkonsument:innen kaum mehr von der FPÖ zu unterscheiden war. Die Grünen ließen sich trotzdem auf eine Koalition mit Kurz ein.
EU-Hörigkeit statt Antifaschismus
EU-Hörigkeit ist eine echte Schwäche der Linksliberalen. Die pro-europäische Faschistin Meloni ist der umworbene Star in der EU. Bundespräsident Van der Bellen hat angekündigt, er würde Kickl nicht angeloben, weil der EU-feindlich ist. Kickl wird darauf behaupten: „Sie nennen uns Nazis, weil wir EU-Kritiker sind, was für eine Frechheit.“ Das ist zwar falsch, weil niemand den Nazi-Vorwurf ausspricht, aber er trifft bei seiner Anhängerschaft trotzdem einen Nerv. Der unausgesprochene Nazi-Vorwurf steht im Raum. Nazis verprügeln auf FPÖ-Kundgebungen Journalisten. Nazis singen SS-Lieder auf FPÖ-Begräbnissen. FPÖ-ler gehen zu Nazi-Gedenkveranstaltungen am Zentralfriedhof. Trotzdem sagt kein Journalist oder politischer Gegner „Sie sind ein Nazi“ zu FPÖ-Politikern. Tatsächlich haben sie ein viel größeres Problem mit der Haltung der FPÖ zur EU und zur NATO als mit ihrem Faschismus. Noch schlimmer, die Grünen beginnen zu toben, wenn man die FPÖ faschistisch nennt. In den Tagen vor der Präsidentschaftswahl 2016 als Norbert Hofer gegen Van der Bellen antrat, engagierten sich die Grünen mehr gegen unseren Anti-FPÖ-Protest mit dem schönen Motto „Fuck Hofer!“ als gegen die FPÖ. Warum? Weil es ihre Strategie ist, den Kampf gegen die FPÖ als einen Kampf um das Befolgen von Anstandsregeln zu führen. Egal wie viele „Einzelfälle“ die FPÖ begeht, nie käme jemand auf die Idee, die FPÖ faschistisch zu nennen. Die KPÖ verlor im Wahlkampf kein einziges Wort zur FPÖ. Nur Andreas Babler wagte es (leider zu spät und nur medial), die Gefahr für die Demokratie, die von der FPÖ ausgeht, zu thematisieren.
Handzahme Zivilgesellschaft ohne Biss
Die heutige Antifa-Strategie der großen zivilgesellschaftlichen Zusammenschlüsse ist geprägt vom braven FÜR, statt GEGEN etwas zu sein. Proteste gegen FPÖ oder Naziaufmärsche sind selten und wenn, dann liegen Demonstrationen zeitlich oder örtlich weit entfernt von den faschistischen Aufmärschen. Ein Beispiel dafür, wie wir es nicht machen sollten, war der Massenprotest „Demokratie verteidigen“ am 26. Jänner nach den Enthüllungen der Rechercheplattform Correctiv über das Geheimtreffen der AfD mit österreichischer Neonazi-Beteiligung. Zu dem Protest sind bei strömenden Regen gut 80.000 Menschen gekommen, alle in Alarmstimmung wegen der Fortschritte, die die Neonazis offensichtlich machen. Aber die Kundgebung hat versucht die Herausforderung FPÖ zu ignorieren und zu umschiffen. Die Kundgebung war nicht gegen die FPÖ gerichtet, nicht gegen Faschismus, nicht einmal explizit gegen die Islamfeindlichkeit, die sich in Potsdam gezeigt hat – das mussten sich die Besucher:innen selbst zusammenreimen, was auch fast alle taten. Stattdessen sind zionistische Teile des Protests gegen muslimische und jüdische Teilnehmer:innen mithilfe der Polizei vorgegangen, weil sie Palästinaflaggen mit sich getragen haben. Wer Palästinasolidarität aus antirassistischen und antifaschistischen Protesten ausschließt, drängt die Gruppe aus der Bewegung, die das Hassobjekt Nummer Eins der FPÖ darstellt: Muslime. Das müssen wir wieder gut machen!
Zahlen bringen Macht
Die Autonome Antifa sammelt aktuell die besten und entschlossensten Kämpfer:innen gegen Faschismus. Ein klares Zeichen dafür, dass viele Leute erkannt haben, dass man die Faschisten direkt konfrontieren muss, und eine Reaktion auf die halbherzigen Großproteste der Zivilgesellschaftsorganisationen. Allerdings nutzen die Autonomen diesen Zulauf nicht,um breite Bündnisse gegen die Faschisten einzugehen, sie setzen voll und ganz auf ihre eigene Stärke und die ist eine Illusion. Auf der Gegenseite marschieren nicht nur ein paar Neonazis, sondern dort ist der Staatsapparat, der deutlich mehr Sympathie für die Neonazis zeigt, als für die Antifaschist:innen. Die Polizei überwindet man nicht mit einer kleinen Truppe vermummter Kämpfer:innen – zumindest nicht, wenn’s ernst wird. Um die Nazis von der Straße zu fegen, brauchen wir Massenproteste, die entschlossen und konfrontativ gegen die Nazis vorgehen und ihnen eine Niederlage bereiten, die sie nicht verkraften