Antimuslimischer Rassismus: 98% der Betroffenen sind Frauen
Neue Linkswende: Betroffene von antimuslimischen Rassismus können sich an euch von der Dokustelle niedrigschwellig wenden. Im Antimuslimischen Rassismus Report 2016 präsentiert ihr die dokumentierten Zahlen, Statistiken, Analysen und einige beispielhafte Fälle. Was sind die größten Unterschiede zum Verfassungsschutzbericht 2016?
Elif Öztürk: 2016 sind insgesamt 1.313 rechtsextremistische Tathandlungen im Verfassungsschutzbericht aufgezeichnet, von denen lediglich 28 Strafdelikte (2,1 Prozent) antimuslimisch sind. Und von diesen 28 Fällen ist nur eine einzige Körperverletzung! Wir haben aber 8 Fälle mit antimuslimischer Motivation aufgezeichnet und kategorisieren ebenso nach dem österreichischen Strafgesetzbuch. Also haben wir beim Hate-Crime einen Unterschied 1:8. Wir stellen die Frage: Wie kommt es zu dieser Differenz?
Ihr beklagt im Vergleich zum Vorjahr einen Anstieg um 62% und dokumentiert insgesamt 253 islamfeindliche Fälle, von Anspucken über Beleidigungen und verschiedene Diskriminierungen, und so weiter. Der Verfassungsschutz bemerkt keinen Anstieg der Delikte. Wie erklärst du dir das?
Es bestehen zwei Möglichkeiten, wie Daten verloren gehen können. Einerseits fehlt den Betroffenen der Draht zur Polizei. Es braucht oft Überwindung zur Polizei zu gehen, anzuzeigen und auf den rassistischen Hintergrund der Tat zu insistieren. Man muss die Leute empowern und klar machen: Es ist euer Recht!
Anderseits sind Beamt_innen oft zu wenig geschult und erkennen den Unterschied zwischen einer „gewöhnlichen“ kriminellen und rassistischen Tathandlung nicht. Beamten, welche die Indikatoren für eine rassistische Motivation einer Tat nicht erkennen, leiten den Fall nicht an den Verfassungsschutz weiter.
Wir hören oft von Fällen, wo muslimische Menschen angespuckt werden. Ein Hate-Crime ist es aber erst ab einer Körperverletzung?
Ja. Wir haben eine rechtliche Grauzone. Jemanden das Kopftuch runter zu reißen, ist ein Übergriff. Laut unserer jetzigen rechtlichen Lage, ist es keine kriminelle Handlung, zu der die Polizei ermitteln muss. Es gehen viele rassistische Übergriffe wie die erwähnten Anspuckereien oder das Kopftuch herunter ziehen einfach unter. Beides passiert sehr häufig und es stellt sich die Frage, warum solche rassistischen Übergriffe nicht im Strafgesetzbuch verankert sind. Es bestärkt Täter, wenn sie sehen, dass rassistische Übergriffe keine Folgen haben. Wir brauchen Präzedenzfälle.
Seit den Angriffskriegen auf Afghanistan und Irak ist Islamfeindlichkeit als ideologische Rechtfertigung der dominante Rassismus. Antimuslimischer Rassismus wird ja von den Parteien und hetzenden Politikern, die die Gesetze verabschieden, geschürt. Das gesellschaftliche Klima für solche Taten wird von oben aufbereitet. Wie siehst du das?
Sicher, es geht auch um die niedrige Hemmschwelle. Die politischen Diskurse und die mediale Berichterstattung schaffen mit ihrer rassistischen Sprache eine gesellschaftliche Stimmung. Die Symbolpolitik von Politikern verlagert innenpolitische Themen. Wir sprechen nicht mehr von der Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit von Jugendlichen oder Bildungsqualität an den Schulen, sondern über irrelevante Themen, die im Alltag gar nicht problematisch sind, wie Burkini, etc.
Es ist eine Frechheit, wenn eine Minderheit benutzt wird, um diese Symbolpolitik zu betreiben und von soziale Probleme zu verschleiern. Das benennt auch „Integrationsminister“ Kurz selbst mit der Aussage, dass er „ein Zeichen“ setzt, wenn er muslimische Frauen mit Kopftuchverbot per Gesetz von bestimmten Berufen oder Gesichtsverschleierungsverbot öffentlichen Leben ausschließt. Wenn er echt denkt, dass diese Frauen isoliert sind und er sie noch mehr isoliert, ist das ein Widerspruch für sich.
Der Falter hat mit den Berichten zu #KurzLeaks aufgezeigt, wie Minister Kurz mit manipulierten Aslan-Studien arbeitet. Wie bei den Kindergärten wurde beim Kopftuch bewusst Stimmung geschürt, um dann rassistischen Sondergesetze für Muslime zu fordern.
Auch im neuen Regierungsprogramm der aktuellen Regierung ist zu sehen, wie Flüchtlinge unter dem Sicherheitsthema aufgenommen wurden und damit Nähe von zwei verschiedenen Themenblöcken geschaffen wurde. In unseren Report von 2016 ist die Intersektionalität zwischen Flüchtlingsfeindlichkeit und antimuslimischen Rassismus aufgezeigt.
Es werden bestimmte Bevölkerungsgruppen mit bestimmten Ideologien gleichgesetzt und ihr Existenzrecht damit abgestritten. Es werden Menschen wie Geflüchtete und Muslim_innen, nicht abstrakte Objekte, angegriffen. Daher sind mir klare Begrifflichkeiten, die dies benennen, wichtig.
Ihr stellt fest, dass vor allem Frauen unter Übergriffen leiden.
Ja, bei den uns gemeldeten antimuslimischen Angriffen sind 95% der Betroffenen Frauen. Im letzten Jahr sogar 98%. Es geht um Mehrfachdiskriminierung durch Rassismus und Sexismus. Die politische Situation macht es den betroffenen Frauen noch schwieriger sich zu empowern.
Ganz wichtig war daher der starke und wichtige zivilgesellschaftliche Erfolg am 4. Februar. In nur drei bis vier Tagen konnten wir im Demobündnis über 4.000 Menschen gegen den #MuslimBanAustria, die diskriminierenden Gesetze für Musliminnen, auf die Straße mobilisieren. Dieses demokratische Zeichen offenbarte auf der negativen Seite den hohen Leidensdruck durch den Staat, der uns eigentlich schützen sollte. Auf der positiven Seite steht, dass die Muslim_innen nicht länger stillhalten. Es ist eine große Stärke, wenn Frauen öffentlich sagen: „Mein Körper, mein Recht, mein Recht auf Selbstbestimmung!“
Es ist jetzt nötig, dass die Zivilgesellschaft gemeinsam und auch längerfristig – egal auf welchen religiösen, ideologischen oder politischen Zusammenhängen wer kommt – für Gleichberechtigung und Menschenrechte zusammenarbeitet. Wichtig ist die Solidarität untereinander, lassen wir uns nicht spalten und schwächen. Dann kann man sehr wohl sehr, sehr viel demokratisch bewegen.
Das Interview führte Karin Wilflingseder.