Ausstellung: „Die Stadt ohne!“
Was, wenn alle vertrieben werden?

Anlässlich der Wiederentdeckung und Restaurierung des Stummfilms „Die Stadt ohne Juden“ macht das Filmarchiv Austria eine Ausstellung. Die gelungen konzipierte und sehenswerte Schau zieht Parallelen zwischen dem Damals vor knapp hundert Jahren und der Hetze und Ausgrenzung von heute.
9. Mai 2018 |

Der Film „Die Stadt ohne Juden“ ist „tatsächlich ein sehr deutliches Anti-Nazi-Statement. … Es ist ein Statement dagegen, dass man Mauern errichtet, dass man Menschen aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Herkunft einfach aus der Gesellschaft ausschließt“, so Nikolaus Wostry, Sammlungsleiter des Filmarchiv Austria.

Der Film von Hans Karl Breslauer aus dem Jahr 1924 basiert auf der zwei Jahre zuvor erschienenen gleichnamigen Satire des Wiener Schriftstellers Hugo Bettauer, in der eine Ausweisung aller Juden noch Jahre vor dem Holocaust fast prophetisch kritisiert wurde. Die Filmvorführungen in den 1920er Jahren wurden von Nationalsozialisten gestört – ähnliches ereignete sich im April 2016, als Identitäre die Theatervorführung „Schutzbefohlene performen Jelineks Schutzbefohlene“ im Audimax der Uni Wien stürmten.

Und so stellen auch die ­Kurator­_­innen Andreas Brunner, Barbara Staudinger und Hannes Sulzenbacher dem filmischen Zeitdokument die Gegenwart gegenüber. Der Stummfilm dient dabei als buchstäblicher Rahmen der Ausstellung: Die Leinwände, auf die Szenenausschnitte der Vertreibung der jüdischen Bevölkerung projiziert werden, fungieren als Raumteiler der einzelnen Stationen der Schau: „Polarisierung“, „Sündenböcke“, „Empathieverlust“, „Brutalisierung“ und „Ausschluss“.

Gesellschaftlicher Ausschluss

An der „Wall of Shame“ sind aktuelle Hasspostings gegen Muslim_innen und Flüchtlinge zu sehen. Foto: Filmarchiv

Angelehnt an die Etappen in der Genozidforschung werden mit Wahlplakaten, Zeitungsartikeln, Transparenten und Videoaufnahmen Momente des Ausschlusses damals wie heute ausgelotet. Mit Exponaten wie einem „Juden raus!“-Brettspiel aus dem Jahr 1938, Auszügen aus dem antisemitischem Liederbuch der Burschenschaft Germania oder dem „Daham statt Islam“-Plakat der FPÖ wird der Bogen von der Vergangenheit bis zur Hetze gegen Muslim_innen und Flüchtlinge heute gespannt. Momente der politischen und gesellschaftlichen Ausgrenzung damals wie heute werden so greifbar gemacht. „Das ist die schlimme Situation, glaube ich, die wir auch heute wieder vorfinden, dass Ängste ganz gezielt instrumentalisiert werden. Und das wollten wir auch mit dieser Ausstellung eigentlich zeigen, dass dieser Film seine Aktualität hat.“, erklärt Wostry.

Die Parallelen

Die Besucher_innen sehen und hören in Dauerschleife Sebastian Kurz’ „Es wird nicht ohne hässliche Bilder gehen“ und werden konfrontiert mit dem rassistischen Facebook-Hasskommentar „Flammenwerfer bessere Lösung“, als die Feuerwehr Feldkirchen 2015 im „Sommer der Solidarität“ Flüchtlingskindern eine Abkühlung schenkte. Auf einer „Wall of Shame“ am Eingang werden tagesaktuelle Hasspostings gegen Muslim_innen und Flüchtlinge angeprangert.

Quer durch den ersten von zwei Sälen zieht sich ein Tresen auf dem Fotografien leerstehender Wiener Wohnungen zu sehen sind – beklemmende Zeuginnen der Vertreibung jüdischer Familien, die der Fotograf Robert Haas 1937-39 dokumentierte.

Was wäre wenn?

„Was wäre die Stadt ohne Juden?“, fragte Bettauer in den 1920er Jahren mit seinem „Roman von übermorgen“ (so der Untertitel) und wollte damit den grassierenden Antisemitismus auf satirische Weise demaskieren. Die konservative Presse hetzte gegen den Autoren, vielleicht weil die Juden und Jüdinnen in seinem Roman wieder zurückgeholt werden. Dieses „Happy End“ blieb Bettauer verwehrt: 1925 wurde er vom Nazi Otto Rothstock ermordet, der mit einem milden Urteil davon kam – auch das wird in der Ausstellung thematisiert und ein Interview mit Rothstock aus dem Jahr 1977 gezeigt.

Film Murer: „Hand in Hand mit alten Nazis“

Film Murer: „Hand in Hand mit alten Nazis“

Was bleibt, ist die Frage „Was wäre wenn?“, die sich zwangsläufig bis in die Gegenwart zieht. Sie ist der rote Faden, der sich durch die Ausstellung zieht: Was wäre, wenn man Flüchtlinge, Muslime, Ausländer aus Wien vertreiben würde? Der Prozess des Auschlusses wird nicht nur in längst vergangenen Zeiten gesucht, sondern auch im Hier und Jetzt verortet – in sozialen Netzwerken, auf der Straße oder im Parlament.

Um die Besucher_innen nicht mir einem pessimistischen Bild und negativen Gefühl aus der Ausstellung zu entlassen, entschieden sich die Kurator_innen, wohl in Anspielung auf Bettauers satirischen Gesellschaftsblick, die „Ausländer raus!“-Aktion des Künstlers Christoph Schlingensief als Endpunkt der Ausstellung zu bringen: Im mit FPÖ-Plakaten „geschmückten“ Container mitten in Wien harren Flüchtlinge ihrer Abschiebung. Schlingensief ruft auf, in „Big Brother“-Manier per Telefon täglich zwei Asylwerber aus dem Land zu wählen.

Alles nur künstlerische Fiktion?! Das kann nur jede_r für sich entscheiden. Doch die Ausstellung im METRO Kinokulturhaus leistet mit der Rekonstruktion und Kontextualisierung des Stummfilms einen Beitrag zur Überprüfung der politischen Gegenwart.

Bis 30.12.2018, täglich 15-21 Uhr im METRO Kinokulturhaus (Johannesgasse 4, 1010 Wien).
Digitorial: www.filmarchiv.at/digitorial/die-stadt-ohne
Buchtipp: Kommentierte Neuauflage von Hugo Bettauers „Die Stadt ohne Juden. Ein Roman von übermorgen“. Metroverlag 2018, 174 Seiten, 16,90€