Milena Jesenská

Milena Jesenská war lange vor allem als Freundin des Schriftstellers Franz Kafka bekannt, von dem sie einige Werke übersetzte und dessen Briefe an sie als Briefe an Milena ein literarisches Denkmal bekamen. Doch das Leben der Journalistin, Schriftstellerin und Übersetzerin bietet weit mehr, um sich daran zu erinnern. Sie war auch eine großartige Widerstandskämpferin.
9. Mai 2018 |

Am 10. August 1896 wird Milena Jesenská in Prag geboren. Nach einem ab­gebrochenen Medizinstudium heiratet sie gegen den Willen ihres Vaters den Dichter Ernst Polak. Sie ziehen gemeinsam nach Wien, wo sie für tschechische Zeitungen schreibt und als Übersetzerin tätig ist.

Ihre Ehe mit Polak scheitert 1925 und sie kehrt nach einem Auf­enthalt in Dresden, wo sie ein paar Monate bei der Schriftstel­lerin und Frauenrechtlerin Alice Rühle-Gerstel lebt und für deren Zeitschrift Das proletarische Kind schreibt, nach Prag zurück. Dort widmet sie sich ihrer literarischen Karriere.

Als Schriftstellerin und Journa­listin erlangt sie zunehmend Be­kanntheit, unter anderem mit einer Serie von Reportagen über das soziale Leben in Wien in der Prager Zeitung Tribuna. 1928 bringt sie ihre Tochter Jana – aus ihrer zweiten Ehe mit dem avant­gardistischen Architekten Jaromír Krejcar – zur Welt.

Kritik an Stalin

Mit dem Erstarken nationalisti­scher Bestrebungen schließt sie sich 1931 der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei an und arbeitet zeitweise als Re­dakteurin der kommunistischen Zeitschrift Tvorba. Sie verfasst kri­tische Texte über den Nationalso­zialismus und die Situation im Su­detenland. Zunehmend äußert sie sich auch kri­tisch zum so­wjetischen Regime Stalins, woraufhin sie im Jahr 1936 aus der Partei aus­geschlossen wird. Ihre spätere Freundin Mar­garete Buber-Neumann schreibt darüber: „Sie erkannte die Bedrohung der Freiheit, ganz gleich, von welcher Seite sie kam, und hatte den Mut, mit gleichem Nachdruck die nationalsozialistische ebenso wie die sowjetrus­sische Diktatur zu ver­urteilen. Das brachte sie in entscheidenden Widerspruch zu einem großen Teil der Prager Intel­ligenz, die, betont antifaschistisch, vor der sowjetrussischen Wirklich­keit die Augen verschloss.“

Ab 1933 ist die Tschechoslowa­kei ein wichtiger Zufluchtsort für Menschen, die von den Nazis verfolgt werden. In einer Repor­tage mit dem Titel „Gestrandete Menschen“ in der Kulturzeit­schrift Přítomnost (Gegenwart) beschreibt sie die Ankunft der deutschen Flüchtlinge. Nach dem Beschluss des Münchener Abkommens, nach welchem das Sudetenland vom nationalsozialis­tischen Deutschland besetzt wird, organisiert sich Jesenská aktiv im tschechischen Widerstand.

Fluchthilfe und Widerstand

Im Juni 1940 wird Jesenská ins Konzentrationslager Ravensbrück deportiert
Im Juni 1940 wird Jesenská ins Konzentrationslager Ravensbrück deportiert. Foto: Wikimedia Commons

Jesenská hilft sowohl von den Na­zis verfolgten Kommunist_innen, Juden und Jüdinnen als auch von Stalin verfolgten Trotzkisten und anderen Vertreter_innen nicht Stalin-treuer Gruppierungen. Sie versteckt die Menschen in ihrer Wohnung, unterstützt sie bei Fluchtplänen und hilft bei fi­nanziellen Notlagen. Außerdem treffen sich in ihrer Wohnung Wi­derstandskämpfer. „Führer der aus­geschlossenen Parteiopposition (…) wurden abends auf ein verabredetes Klopfzeichen eingelassen“, berichtet der vor den Nazis geflohene und bei Jesenská untergetauchte Anar­chist Henry Jacoby. Sie selbst zieht die Flucht nie in Erwägung, ihr ist es wichtig, aktiv Hilfe und Wider­stand zu leisten.

Am 11. November 1939 wird sie von der Gestapo verhaftet und ins Prager Gefängnis Pankrác gebracht. Im Juni 1940 wird sie schließlich ins Konzentrationsla­ger Ravensbrück deportiert.

Aus dieser Zeit sind Schriftstücke erhalten, in denen sie ihre Trau­er über das Leid ihrer jüdischen Mitmenschen verarbeitet. Im KZ schließt sie Freundschaft mit Mar­garete Buber-Neumann, deren Lebensgefährte 1931 in Russland erschossen wurde, sie selbst wur­de nach Jahren in sowjetischer Gefangenschaft auf Basis des Hitler-Stalin-Paktes an die Na­zis ausgeliefert. Buber-Neumann überlebte, in ihrem Buch Milena, Kafkas Freundin schreibt sie später über ihre Zeit im KZ. Am 17. Mai 1944 stirbt Milena Jesenská im Alter von 47 Jahren infolge eines Nierenleidens in Ravensbrück.

Aufrechte Überzeugung

Mathilde Auferbauer

Mathilde Auferbauer

Die Anerkennung für ihr beein­druckendes Lebenswerk wurde Jesenská lange verwehrt. Aufgrund ihrer Stalin-kritischen Haltung wurden ihre Texte in der Tsche­choslowakei erst nach dem Zu­sammenbruch der Sowjetunion wiederentdeckt.

Im Westen hingegen wurde sie wegen ihrer kommunistischen Gesinnung verschwiegen und fand lediglich als Geliebte Kafkas Beachtung. 1990 ist erstmals eine Sammlung ihrer Feuilletons und Reportagen unter dem Titel Alles ist Leben erschienen. Milena Je­senská setzte sich ihr Leben lang für Gerechtigkeit ein und hielt allen Widerständen zum Trotz an ihren sozialistischen Idealen und Überzeugungen fest.