Bericht aus Idomeni: Die Verzweiflung ist greifbar!

Wenn dir Menschen, die ihre gesamte Familie verloren haben, ins Gesicht sagen, dass sie lieber sterben würden als weiterhin so zu leben.
12. April 2016 |

Es ist Tag 7 und mittlerweile hat schon jeder unseres Teams den Tränen mehr als nur nahe gestanden. Die Tatsache, dass sich hier im Zuge eines Sitzstreikes ein Mann selbst mit Benzin überschüttet und daraufhin entzündet hat, legt einen tiefen Schatten über die anfängliche Euphorie.

Der Deal mit der Türkei und die immer offensichtlicher werdende Aussichtslosigkeit schlägt schwer auf die Stimmung der hier Festsitzenden und spiegelt sich in den täglich stattfindenden Demonstrationen wieder. Die Verzweiflung ist förmlich greifbar und beschert jedem eine Gänsehaut, der den traurigen Schicksalen der Menschen hier lauscht. Selbst alltägliche Dinge wie Abendessen kommen einem makaber vor, wenn man bedenkt, dass nur wenige Meter weiter viele Menschen den Hungerstreik, in dem sie sich befinden, als letzten Ausweg sehen, um an ihrer Situation etwas zu ändern.

Das Schrecklichste ist jedoch zu wissen, dass alles, was man tun kann, und mag es noch so wichtig sein, lediglich die Bekämpfung von Symptomen ist. Wenn dir Menschen, die ihre gesamte Familie verloren haben, ins Gesicht sagen, dass sie lieber sterben würden als weiterhin so zu leben, dann kann man noch so viel Gewand verteilen und fühlt sich am Ende des Tages trotzdem unendlich ohnmächtig.

Diejenigen allerdings, die es wirklich in der Hand hätten die Krankheit zu heilen, tauschen ihre Moralvorstellungen bereitwillig gegen Wählerstimmen ein. Mit dem Gedanken, dass hier die Menschenrechte wertgeschätzt werden, suchten sich die Leute Europa als Ziel ihrer Flucht vor Krieg und Diktatur aus, um schlussendlich feststellen zu müssen, dass diese wohl längst im tiefen Schlamm von Idomeni versunken sind.

vom Grazer Spendenkonvoi

Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.
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