„Die Nacht, in der wir aufstehen“: Die Jugend mobilisiert gegen Hollande

In Frankreich blüht am Platz der Republik eine neue Jugendbewegung auf. Seit den Demonstrationen gegen das neue Arbeitsrecht des sozialdemokratischen Präsidenten François Hollande treffen sich jede Nacht tausende Menschen in Massenversammlungen. Die hiesigen Medien verschweigen die fantastische Aufbruchsstimmung.
13. April 2016 |

Unter dem Motto „Nuit Debout“ – die „Nacht, in der wir aufstehen“ – besetzen Jugendliche den am Platz der Republik in Paris und organisieren den Widerstand gegen das neue Arbeitsgesetz der Regierung. Aktivist und Student Gael Braibant erzählte der Zeitung Socialist Worker: „Je nach Wetterlage treffen sich hier jede Nacht einige Tausend Menschen, vor allem junge Menschen mit unsicheren Jobs. Wir diskutieren verschiedene Themen – nicht nur, wie die Besetzung weitergehen soll, sondern starke politische Debatten über das System, die Polizei und die Rolle von Gewalt.“

Gael sagte weiter: „Außerdem haben wir Komitee gewählt, das die nächsten Aktionen vorbereitet. Zeitweise kann das sehr chaotisch sein, doch es schafft den Raum, mit vielen Leuten diskutieren zu können und Kämpfe zu vereinen.“ Vergangenen Samstag marschierten mehr als 100.000 Menschen in Paris im Rahmen eines Aktionstages gegen das von der Regierung vorgeschlagene neue Arbeitsgesetz. An gleichen Abend zogen bis zu 2.000 Besetzer_innen durch Paris, um Flüchtlinge und Migrant_innen, die auf den Straßen von Paris campieren müssen, an Bord zu holen.

Stalingrad

Migrant_innen sind regelmäßig polizeilicher Repression ausgesetzt. Die Polizei hat vor kurzem Migrant_innen unter der Hochbahnstation „Stalingrad“ vertrieben und Zäune aufgestellt, um sie am Zurückkehren zu hindern. Daraufhin haben sich Besetzer_innen und Migrant_innen zusammengetan und die Zäune gemeinsam niedergerissen. Die Demo zog weiter zu einer Polizeistation und zum Haus von Premierministers Manuel Valls.

Mehr als eine Million Menschen haben gegen das neue Gesetz protestiert oder gestreikt. Trotz Ferien an den Schulen und Universitäten wurden letzte Woche in vielen Städten Straßen blockiert, Studierende streikten am Dienstag und Gewerkschaften demonstrierten am Samstag.

Doch die Bewegung wirft Fragen bezüglich ihrer Führung auf. Der größte Studentenverband UNEF traf sich am Montag zu Gesprächen mit Valls. Die Gewerkschaften, die das neue Arbeitsgesetz ablehnen, rufen zu neuen Streiks am 28. April auf. Doch das geht vielen Aktivist_innen zu langsam.

Besetzungen

Die Besetzung eröffnet dem Kampf eine weitere Perspektive – und Ziele. Gael sagte: „Dieses Bewegung ist keinesfalls gegen politische Parteien oder Gewerkschaften. Sie rief diese sogar dazu auf, sich der Besetzung anzuschließen. Aber sie funktioniert mittlerweile größtenteils außerhalb bereits existierender Organisationen. Viele Menschen hier arbeiten in Bereichen, in der es keine gewerkschaftliche Organisierung gibt.“

„Eine Kassierin brachte Besetzer auf dem Platz dazu, mit ihr zu ihrem Supermarkt zu gehen, um dort ihre Kollegen davon zu überzeugen, der Gewerkschaft beizutreten“, meinte Gael. „ Ungefähr 30 Menschen gingen zum Bahnhof St. Lazare, sprachen dort mit Bahnarbeiter und mobilisierten für die Demonstration am Samstag.“ Ökonom Frédéric Lordon, ein sehr bekanntes Gesicht der Bewegung, argumentierte am Samstag, dass ein Generalstreik der einzige Weg für einen Sieg wäre.

Wie vorwärts?

Polizisten lösten die Besetzung am Montagmorgen auf, doch die Aktivist_innen sammelten ihre Kräfte und kamen am Abend erneut.  Denis Godard ist Mitglied im Planungskomitee der Bewegung. In der Zeitung der Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA) l’Anticapitaliste schrieb er: „Die Besetzungen geben der Bewegung eine Richtung, hinterfragen das System und ermöglichen die Zusammenführung verschiedener Kämpfe.“

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„Die Bewegung kann nicht fortbestehen und sich weiter entwickeln, wenn die Platzbesetzungen nicht mit den Kämpfen an jedem Arbeitsplatz, jeder Universität und jeder Nachbarschaft verbunden werden“, meinte Denis. „Die Verfassung einer neuen Welt wird nicht von Tausenden sondern von Millionen geschrieben werden. Und nicht nur durch Gespräche sondern durch gezielte Angriffe auf die Zentren der Macht – und durch das Erzielen von Siegen, beginnend mit der Rücknahme des neuen Arbeitsgesetzes.“

Übersetzung aus dem Englischen von Lisa Reicher. Der Artikel ist zuerst in der britischen Zeitung Socialist Worker erschienen.
Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.