Der andere Iran
Der Blick, mit dem der Westen auf den Iran blickt, ist stark geprägt von der rassistischen Vorstellung eines „Kampf der Kulturen“, der Idee, Muslime stehen „dem Westen“ und „westlichen Werten“ von Natur aus gegensätzlich gegenüber. Jaffari schreibt: „Der Iran wird als ein Land gesehen, dass von Mullahs mit der Intelligenz einer Pistazie regiert wird, Atomwaffen gegen den Westen baut und von religiösem Fundamentalismus besessen ist.“ Die Versuchung, alles was in islamischen Ländern passiert, auf die Religion zu beziehen, ist groß. In Wirklichkeit haben die politischen Entwicklungen des Irans, jetzt und in der Vergangenheit, ihren Ursprung in Klassengegensätzen, Kolonialismus und Widerstand.
Die Rolle des Islam
Von „dem Islam“ zu sprechen, als gebe es einen ahistorischen Wertkonsens im Islam, der durch soziale Schichten hindurch und von der konkreten materiellen Situation unabhängig existiert, ist an sich schon vollkommener Blödsinn. In der Geschichte des Irans war der Islam auf der einen Seite Inspirationsquelle für Wissenschaft, antikoloniale Bewegungen und Arbeitskämpfe, andere Auslegungen waren konservativ und hierarchisch. Diese Widersprüche zeigen sich auch in der Iranischen Revolution von 1979 (im Nachhinein als islamisch bezeichnet), in der neben säkulären Nationalisten und linken Gruppierungen auch Geistliche beteiligt waren, die keinen vom Klerus geführten Staat anstrebten. Die Islamische Republik, die der Ayatollah Chomeini unter gewaltsamer Ausschaltung aller anderen revolutionären Gruppen schuf, ist deswegen auch nicht als „Rückkehr zu den traditionellen Werten“ zu betrachten, sondern war wiederum eine Neuauslegung, durch die eine repressive Elite ihre Macht festigte.
Bilder der Befreiung
In der Berichterstattung über Widerstand aus der Bevölkerung werden oft Gegenbilder geschaffen, die selbst zu Klischees werden: Frauen ohne Kopftuch mit großen Sonnenbrillen oder Szenen aus der Undergroundkultur: Sie erwecken den Anschein, als ob die Menschen im Iran nichts mehr wollen, als so zu sein wie der „Westen“. Der Westen ist in dieser Darstellung ein Synonym für Befreiung: vollkommen absurd, sind es doch gerade die westlichen Großmächte, die durch ihre kolonialistische Konkurrenz und wirtschaftliche Ausbeutung die Demokratie im Iran ebenso boykottierten wie Diktatoren. Vielmehr als eine „Verwestlichung“, geht mit der Liberalisierung ein bewusstes Auswählen aus Elementen der westlichen Kultur einher, die mit Aspekten der eigenen Kultur verwoben werden und so die falsche Gegenüberstellung von „Westen“ und „Osten“ an sich unterwandern.
Das Ende der Islamischen Republik
Die Forderung nach individuellen und politischen Freiheiten stehen im Zentrum der mutigen Proteste der iranischen Frauen. 2010 beschreibt Jafari das Aufleben eines neuen iranischen Frühling wie folgt: „Die Proteste vom Sommer 2009 markieren den Anfang vom Ende der Islamischen Republik, weil sie gesellschaftliche Kräfte freigesetzt haben, die weder von konservativen noch von reformorientierten Politikern beherrscht werden.“ Dieselben Kräfte sind es, die jetzt stärke denn je spürbar sind. Der Kampf, den die iranische Bevölkerung jetzt führt, ist kein Kampf gegen den Islam, sondern gegen Religion als staatlichen Zwang und für Selbstbestimmung in allen Lebensbereichen.