Der Kornilow-Putsch 1917 in Russland

Die populäre Darstellung der Russischen Revolution unterstellt Lenin und den Bolschewiki, dass sie sich im Oktober 1917 als Minderheit an die Spitze des Staates geputscht hätten. Die Machtergreifung kann man nur im Zusammenhang mit dem abgewehrten Militärputsch des konterrevolutionären Generals Kornilow zwei Monate zuvor verstehen – der den Bolschewiki die Unterstützung durch die Mehrheit sicherte.
14. August 2017 |

Im Juli 1917 war die Stimmung in der Hauptstadt Petrograd am Kochen. Der Zar war im Februar gestürzt worden, doch die Übergangsregierung setzte das entsetzliche Abschlachten im Ersten Weltkrieg fort und startete sogar eine neue Großoffensive gegen die Deutschen. Die fortschrittlichen Facharbeiter_innen und Soldaten Petrograds begannen für einen bewaffneten Aufstand zu agitieren. Innerhalb Russlands waren sie aber eine Minderheit. Die anderen Großstädte und die große Mehrheit der Bauern in den Dörfern und der Soldaten an der Front waren noch nicht für die Idee der Machtergreifung gewonnen.

Lenin argumentierte, man müsse zuerst die Mehrheit in den „Sowjets“, den selbstverwalteten Organen der Arbeiter_innen, Soldaten und Bauern, erobern. Die Sowjets, gebildet in der Februarrevolution, stritten mit der Regierung um die Herrschaft in Russland. Die Disziplin und jahrelange Kampferfahrung erlaubte es den Bolschewiki, den Aufstandsversuch zu kontrollieren und in mächtige, aber unbewaffnete Demonstrationen zu verwandeln. Das hinderte die Regierung nicht daran, die Bolschewiki als „Drahtzieher“ einer bewaffneten Verschwörung zu verfolgen.

Konterrevolution

Jetzt führte Regierungschef Alexander Kerenski mit Unterstützung der Parteien links von ihm (den Menschewiki und der Bauernpartei, den Sozialrevolutionären), das Programm der Konterrevolution aus. Er unterdrückte die Presse und legale Arbeit der Bolschewiki, ließ Trotzki und andere Führer in Gefängnisse stecken. Lenin wurde als „deutscher Spion“ denunziert und musste untertauchen. Kerenski führte Feldgerichte und Todesstrafe für Soldaten wieder ein, zog konterrevolutionäre Truppen um Petrograd zusammen und versprach den Alliierten eine neuerliche Offensive.

Der Kern des alten zaristischen Staatsapparates, insbesondere die Armeeführung, wurde durch die halbe Konterrevolution selbstbewusster. In den Augen von General Lawr Georgijewitsch Kornilow war der Augenblick gekommen, auch mit den „verfassungstreuen Demokraten“ der Regierung aufzuräumen. Er kündigte einen blutigen Putsch an: „Selbst wenn wir halb Russland niederbrennen und das Blut von drei Vierteln der Bevölkerung vergießen müssen, wir werden es tun.“ Am 26. August führte er schließlich ein Kosakenkorps und eine „wilde Division“ gegen Petrograd.

Einheitsfront

Kosakentruppen eröffneten im Juli am Newski-Prospekt das Feuer auf Demonstrierende. Die Bolschewiki wurden verboten und verfolgt. © Roter Stern über Russland (David King)

Die Reaktion der bolschewistischen Parteiführung war herausragend. Sie gingen ausgerechnet zu jenen, die sie gerade erst hinter Gitter gebracht und in die Illegalität gedrängt hatten. Die Bolschewiki schlugen den Menschewiki und Sozialrevolutionären ein gemeinsames Kampfbündnis zur Abwehr des Putsches vor. Ein „Exekutivkomitee zur Verteidigung der Revolution“ aus allen linken Parteien wurde gebildet und in den Betrieben und Gewerkschaften gemeinsame Aktionseinheiten gebildet, Arbeiter_innen und Soldaten bewaffnet.

Die den Bolschewiki besonders treuen Matrosen des Panzerkreuzers „Aurora“ (der im Oktober das Signal zum Sturm auf das Winterpalais geben sollte) waren irritiert über diese auf den ersten Blick widersprüchlich scheinende Koalition. Sie drängten zu Trotzki und anderen inhaftierten Bolschewiki im Kresty-Gefängnis und fragten, warum man nicht endlich mit der Regierung Kerenski Schluss mache. Sie antworteten ihnen: „Legt das Gewehr auf Kerenskis Schulter und schießt auf Kornilow. Danach werden wir unsere Rechnung mit Kerenski machen.“

Sabotage

Das Exekutivkomitee der Eisenbahner sabotierte den Truppentransport und isolierte die Zentrale der Verschwörung, Mohilew. Der Verband der Eisenbahnarbeiter bewaffnete seine Mitglieder und ließ Zugstrecken kontrollieren. Der Verband graphischer Arbeiter stellte das Erscheinen der Zeitungen sicher, um die Bevölkerung über jede neue Wendung zu informieren. Post- und Telegraphenangestellte fingen Telegramme und Befehle aus dem Hauptquartier Kornilows ab und sandten sie (oder Kopien davon) an das Verteidigungskomitee.

Der Aufstand brach innerhalb weniger Tage zusammen. Trotzki resümierte in seiner Geschichte der Russischen Revolution: „Nach zwei Tagen war die Eisenbahnverbindung zwischen Hauptquartier und Hauptstadt unterbrochen, und die Mehrzahl der Abkommandierten erreichte den Platz der beabsichtigten Heldentaten überhaupt nicht.“ Truppen meuterten, und Finanziers des Putsches weigerten sich, Offiziere in der Hauptstadt zu bezahlen, weil sie sie in einem dermaßen betrunkenen Zustand vorfanden – offensichtlich glaubten sie selbst nicht mehr an einen Erfolg ihres niederträchtigen Vorhabens. Kornilow wurde verhaftet.

Mehrheit gewonnen

100 Jahre Russische Revolution: Festival der Unterdrückten!

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Die Bolschewiki bewiesen sich in der Abwehr des Putsches als die entschlossensten Kämpfer_innen für die Revolution und gewannen darüber die Unterstützung der Mehrheit der Arbeiterklasse und Bauern in den Sowjets für sich. Die Partei wuchs von 24.000 Mitgliedern im Februar auf 240.000 im Oktober (während die Sozialrevolutionäre und Menschewiki zehntausende Mitglieder verloren). Ein ehrlicher Konkurrent der Bolschewiki, Suchanow von den Menschewiki, urteilte: „Die Masse lebte und atmete gemeinsam mit den Bolschewiki. Sie war in den Händen der Partei von Lenin und Trotzki.“ Die Zeit war reif für die Oktoberrevolution.

Buchtipp: Geschichte der Russischen Revolution von Leo Trotzki. In seinem umfangreichen Werk verteidigt Trotzki die wahre Geschichte der Revolution gegen die stalinistische Entstellung.
Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.