Die Eliten sind ratlos – und das soll so bleiben!

Die Klimastreiks von Schüler_innen stellen seit Monaten weltweit die politische Landschaft auf den Kopf. Bislang haben die Mächtigen noch keine wirksame Gegenstrategie gefunden, mit den Protesten umzugehen. Linkswende jetzt hat sich verschiedene Versuche der Regierenden angesehen und liefert Argumente, wie sich die Klimagerechtigkeitsbewegung radikalisieren kann, anstatt sich den Wind aus den Segeln nehmen zu lassen.
12. März 2019 |

„Es ist jetzt an uns jungen Menschen, unsere Zukunft selbst in die Hand zu nehmen. Denn wir lassen uns nicht die Zukunft stehlen.“ In diesem Gedanken der 16-jährigen Greta Thunberg, inzwischen eine Ikone der Klimagerechtigkeitsbewegung, steckt eine unglaublich explosive, radikale Idee. Menschen, die ihre Geschichte selbst schreiben und auf die Eliten pfeifen. Ein Gedanke, der in seinem Kern die Machtfrage stellt. Zu Ende gedacht würde das bedeuten, den Regierenden das Zepter zu entreißen. Thunberg sagte beim Weltwirtschaftsforum in Davos auch: „Ich will, dass ihr in Panik geratet, dass ihr die Angst spürt, die ich jeden Tag spüre.“

Die Eliten haben die Wucht von Protestbewegungen noch nie begriffen. Jahrelang passierte nichts und dann bringen Kinder und Jugendliche plötzlich die Verhältnisse zum Tanzen. Auf der Münchner „Sicherheitskonferenz“ behauptete die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, die Klimastreiks wären von ausländischen Mächten als Teil einer „hybriden Kriegsführung“ Russlands inszeniert worden: „Dass plötzlich alle deutschen Kinder – nach Jahren ohne jeden äußeren Einfluss – auf die Idee kommen, dass man diesen Protest machen muss, das kann man sich auch nicht vorstellen.“

Eine ähnlich dumme Verschwörungstheorie verbreitete die Umweltministerin von Flandern in Belgien, Joke Schauvliege: „Ich weiß, wer hinter dieser Bewegung steckt. Ich habe das auch vom Geheimdienst bestätigt. Die Klima-Demonstrationen sind mehr als nur spontane Solidaritätsaktionen für das Klima.“ Schauvliege musste daraufhin zurücktreten.

Diffamierungen

Der Schock sitzt richtig tief. Kein Wunder, dass die Mächtigen der Welt Angst vor der Bewegung haben und es ist gerade die Radikalität der Bewegung, die es für die Herrschenden schwierig macht, eine wirksame Gegenstrategie zu finden. Nur, wie bei allen Protestbewegungen, die aus dem Boden schießen, geht der Schockmoment irgendwann vorüber und es folgt der Gegenangriff. Schon jetzt testen Politiker_innen, die alles beim Alten lassen wollen, erste Gegenstrategien aus. Darauf müssen sich Aktivist_innen vorbereiten.

Rechtsextreme versuchen Greta Thunberg mit Nazi-Vergleichen zu diffamieren © FPÖFails


Rechtsextreme greifen in erster Linie zum Mittel der Diffamierung. Die Rechercheplattform FPÖ fails dokumentierte ein ekelhaftes Posting von Marcel Spörk – Burschenschafter der Marko-Germania Graz, Aktivist bei den Identitären und der FPÖ-Jugendorganisation – in dem er Greta mit der Tochter von Heinrich Himmler verglich. Ausgerechnet am Weltfrauentag hetzte Roland Hofbauer, Chefredakteur des rechtsradikalen FPÖ-nahen Magazins alles roger?, gegen das „hässliche Mäderl mit den fettigen Zöpfen“ Thunberg und unterstellte ihr, sie leide an einem Fetalen Alkoholsyndrom (FAS). Mit dabei die ehemalige FPÖ-Pressesprecherin und nunmehr Krone Bunt-Chefin, Edda Graf, wie FPÖ fails aufdeckte.

Harmlose Bahnen

Eine weitere Gegenstrategie zielt auf eine Mischung aus Drohungen mit Schulverweisen und Signalisierung von Gesprächsbereitschaft ab, um dann Forderungen der Protestbewegung in kontrollierbare Bahnen zu lenken und die Schuld auf die einzelnen Konsument_innen abzulenken. Die Bildungsministerin von Nordrhein-Westfalen, Yvonne Gebauer (FDP), versuchte es mit einem Mischmasch von Gespräch bei einem Klimastreik, Nicht-Zuständigkeit, peinlichen Drohungen („Es gebe genauso einen Aufschrei in der Bevölkerung, wenn ich die Schulpflicht nicht konsequent durchsetzen würde“) und billigen, hinhaltenden Abspeisungen wie einem Gespräch im Ministerium und eine Änderung der Lehrpläne in den Schulen.

Das Gespräch dauerte wohl auch deshalb nur 10 Minuten, weil sie ein Schicksal wie das des deutschen Energieministers Peter Altmaier (CDU) vermeiden wollte. Auch er versuchte in Berlin mit einigen Schüler_innen am Klimastreik ins Gespräch zu kommen, aber die Jugendlichen buhten Altmeier einfach aus. Ein Sprecher rief ihm zu: „Wir sind hier, weil Sie ihre Arbeit nicht ordentlich machen!“ Der Minister war so empört, dass er sich zu seinem Berater umdrehte und ihm vor laufenden Kameras sagte, was für eine „Scheißidee“ es war, zum Protest zu kommen. Unter Jubelrufen der Protestierenden und mit Polizeischutz suchte er schließlich das Weite.

Schüler_innen vertrieben den deutschen Energieminister vom Klimastreik © Kiekemafilmberlin (Youtube)


Die Gelbwesten in Frankreich haben ähnlich bewundernswert auf eine Einladung des französischen Premierministers Edouard Philippe zu seinem Amtssitz reagiert. Philippe wollte mit acht ausgewählten Vertreter_innen der Protestbewegung sprechen, aber nur zwei tauchten überhaupt auf, und einer der beiden verließ das Treffen sofort wieder, als man ihm mitteilte, man werde keine Kameras und eine Übertragung des Gespräches für die Öffentlichkeit zulassen. Diese Entschlossenheit muss sich die Klimastreikbewegung bewahren, nach dem Motto: Wir haben eurer Unfähigkeit lange genug zugesehen, jetzt sind wir an der Reihe!

Politik in die Mangel

Thomas Avenarius macht zwar leider in der Süddeutschen Zeitung ein unnötiges Zugeständnis an die Mächtigen, wenn er die Eltern in die Pflicht nehmen will und sie zur Änderung ihres individuellen Konsumverhaltens auffordert, weil es davon ablenkt, dass die großen Konzerne und Regierungen in die Pflicht genommen werden müssen. Aber er prangert ganz richtig die inhaltlose Lobhudelei von Politiker_innen wie Angela Merkel für die Klimastreiks an: „Der folgenfreie Jubel über die Schülerproteste ist die Kapitulationserklärung des Politischen, moralisch vorbildlich und doch nur Lückenbüßer für politisches Handeln.“

Nach ihrem anfänglichen Unverständnis hat Merkel schon eher einen Kurs gefunden und versucht auf die Protestierenden zuzugehen. „Wir können unsere Klimaschutzziele nur dann erreichen, wenn wir auch Rückhalt in der Gesellschaft haben“, erklärte sie in ihrem persönlichen Videopodcast, lobte die Demonstrationen als „sehr gute Initiative“ und vertröstete gleichzeitig auf einen Kohleausstieg bis zum Jahr 2038. Ihre Worte sollen besänftigen, aber in Wahrheit sind sie ein Schlag ins Gesicht der Protestbewegung. Rufen wir uns nur in Erinnerung, wie hoch der Rückhalt für Klimaschutzmaßnahmen tatsächlich ist. 75 Prozent der Deutschen gab in einer Studie der EU-Kommission an, dass der Klimawandel ein sehr ernstes Problem ist, in Österreich sind es 68 Prozent. Es liegt nicht an den Menschen, sondern an der Politik. Die Protestbewegung darf diesen billigen Ablenkungsversuchen nicht auf den Leim gehen.

Thunberg in Wien

Ein Einbindungs-Manöver versucht die österreichische Regierung beim kommenden R20 Austrian World Summit am 28. Mai in der Wiener Hofburg. Die Konferenz muss – das müssen sich die Organisatoren, nicht alle Teilnehmenden, gefallen lassen – als Greenwashing-Konferenz bezeichnet werden. Letztes Jahr gaben sie Bundeskanzler Sebastian Kurz und Umweltministerin Elisabeth Köstinger (beide ÖVP) eine Bühne und damit die Möglichkeit, sich als scheinbare Kämpfer_innen gegen den Klimawandel zu inszenieren, obwohl sie die klimaschädlichsten Projekte wie den Bau einer dritten Start- und Landebahn am Flughafen Wien verfolgen. Vor einem Jahr klaute deswegen die Klimaaktivistin Lucia Steinwender von System Change, not Climate Change! dem Kanzler das Mikro und bekam dafür tosenden Applaus im Saal und von der Bewegung.

Dieses Jahr wird Greta Thunberg auf Einladung von Schwarzenegger nach Wien kommen und auch öffentlich am Heldenplatz auftreten. Es ist gut möglich, dass Kurz und Köstinger versuchen werden, sich neben Greta zu stellen, um sich erneut zu inszenieren. Thunberg wird das sicherlich nicht mit sich machen lassen und wir auch nicht. Die Strategie kann ziemlich nach hinten losgehen, wenn wir massenhaft Leute an diesem Tag auf den Heldenplatz mobilisieren.

Warum es Organisation braucht

Die Klimastreikbewegung bewegt sich zwischen Selbstermächtigung und dem Einfluss der Herrschenden. Ihr Grundsatz, die Geschichte selbst in die Hand zu nehmen, ist der ureigenste Gedanke der revolutionären Arbeiter_innenbewegung, oder mit Karl Marx’ Worten: „Die Befreiung der Arbeiterklasse muss das Werk der Arbeiterklasse selbst sein.“

Weltweite Klimastreiks: Es geht um unsere Zukunft!

Weltweite Klimastreiks: Es geht um unsere Zukunft!

Auf der anderen Seite werden Aktivist_innen täglich mit Ideen bombardiert, die davon ablenken sollen, dass das kapitalistische Konkurrenzsystem, das dem Streben nach Profit zugrunde liegt, eine echte Bekämpfung des Klimawandels unmöglich macht, und dass wir dieses System als Ganzes über den Haufen werfen müssen und mit einer völlig demokratischen, von den werktätigen Menschen von unten kontrollierten Wirtschaftsweise ersetzen müssen. Stattdessen wird gesagt, dass wir als einzelne Menschen schuld am Klimawandel seien, dass wir unser Konsumverhalten ändern müssten und vieles mehr. Oder wieder wie es Marx gesagt hat: „Die herrschenden Ideen einer Zeit sind stets die Ideen der Herrschenden.“

Deshalb braucht es in den Bewegungen eine Gegenöffentlichkeit, eine andere Sicht auf die Dinge, das heißt Zeitschriften, Publikationen, Webseiten, und Menschen, die gegen den Strom der herrschenden Meinung schwimmen. Diejenigen, die das am klarsten sehen, müssen sich in einer revolutionären Organisation zusammenschließen, damit sie gezielt in der Bewegung intervenieren und andere, die vielleicht noch schwanken, überzeugen können. Wir tun das in Linkswende jetzt und laden alle ein, sich uns anzuschließen, und gleichzeitig die größtmöglichen Bündnisse zu schmieden.