Die Habsburger als Sklavenhändler

Über 600 Jahre herrschten die Habsburger über Teile Mitteleuropas. Trotzdem scheint es, als wäre seine globale Bedeutung verglichen mit dem englischen oder spanischen Königreich eine Fußnote der Weltgeschichte. Es war die Mischung aus politischer Unfähigkeit und ökonomischer Rückständigkeit, die dazu führte, dass das Reich wenige Weltgeltung besaß. Trotzdem tendiert die Geschichtsschreibung dazu, die Rolle der Habsburgermonarchie für den europäischen Kolonialismus zu unterschätzen. Die Monarchie versuchte mehrmals koloniale Bedeutung zu erlangen und war in Asien und dem Nahen Osten ein Machtfaktor. Außerdem waren österreichische Unternehmen am Sklavenhandel mit dem osmanischen Reich beteiligt.
25. Januar 2025 |

In der marxistischen Theorietradition wird Imperialismus als das Verschmelzen von zwei getrennten Machtlogiken verstanden: Der staatlich-geopolitischen um Einflusssphären und der ökonomischen, welche auf die Ausbeutung dieser Einflusssphären zielt. Imperialismus entspricht aus dieser Sicht einem spezifischen Stadium des Kapitalismus, in welchem sich dieser – aufgrund der fortgesetzten Anhäufung von immer mehr Kapital in immer weniger mächtigen Unternehmen – global ausbreitet. Diese globale Ausweitung des Kapitals verstärkt den Wettbewerb zwischen Staaten in den Zentren des Weltsystems (Europa im frühen 20. Jahrhundert) und führt gleichzeitig zu einer kolonialen Ausbeutung von peripheren Landstrichen – insbesondere von Afrika, dem Nahen Osten und Asien.

Sklavenhandel im Mittelmeerraum

Das dunkelste und zugleich unbekannteste Kapitel des österreichischen Kolonialismus war die Österreichische Lloyd. Sieben Triester Versicherungsanstalten hatten sich 1833 zusammengeschlossen, um eine Schifffahrtsgesellschaft aufzubauen, welche Mitte der 50er Jahre die größte im Mittelmeerraum wurde. Ihre ökonomische Bedeutung schuf poltische Relevanz in Afrika. Insbesondere der Sudan wurde zum Reise und Handelsziel des österreichischen Kapitals. Bereits 1850 wurde in der Hauptstadt Khartum ein österreichisches Konsulat errichtet.

Die Macht der Lloyd beruhte auf dem Sklavenhandel: Von Alexandria in Ägypten liefert die Lloyd Sklaven über Izmir und Istanbul ins Osmanische Reich, dem zweitwichtigsten Wirtschaftspartner der Habsburger. Auch wenn der mediterrane Sklavenhandel nie die Bedeutung des atlantischen hatte, wurden hier Millionen Menschen gehandelt. Ehud Toledano schätzt, dass zwischen 1800 und 1870 insgesamt bis zu 1,3 Millionen Menschen – überwiegend Frauen als Hausdienerinnen – verkauft wurden. Zehntausende von ihnen wurden auf Schiffen der Lloyd transportiert. Die Beteiligung am Sklavenhandel war in diesen Jahren ein offenes Geheimnis, wie Alison Frank in seinem Artikel „The Children of the Desert and the Laws of the Sea: Austria, Great Britain, the Ottoman Empire, and the Mediterranean Slave Trade in the Nineteenth Century“ rekonstruiert. Die Geschichte des österreichischen Sklavenhandels zeigt, dass die Behauptung anti-schwarzer Rassismus hätte in Österreich keine Rolle gespielt falsch ist.

Aufbau des Habsburgerreichs

Entsprechend dem Aphorismus des k. u. k. Bürokraten Metternich „der Balkan beginnt am Rennweg“ konzentrierte sich die ökonomische und machtpolitische Durchdringung des Habsburgerreiches auf Süd- und Osteuropa. 1683 unternahm das Osmanische Reich seinen letzten großen Vorstoß nach Mitteleuropa und wurde vor den Toren Wiens geschlagen. In den folgenden Jahrhunderten eroberte das Habsburgerreich ehemals osmanischen Besitz am Balkan. Doch nicht alle diese Eroberungen können als koloniale Projekte verstanden werden.

Mit dem Ausgleich 1867 reagierten die Habsburger auf die nationale Vielfalt des Reiches, indem ein Teil des Reiches unter österreichischer (Cisleithanien) und ein Teil unter ungarischer Vormacht stand. Der Kaiser regierte über beide Teile. Die Teilung des Reiches war ein Notbehelf der Habsburger, um die mächtigen Ungarn von Revolten abzuhalten. Sie zielte nicht auf eine Trennung in „Machtzentrum Österreich“ und „auszubeutende Peripherie Ungarn“. Anders war die Lage in Bosnien-Herzegowina, welches die Habsburger 1878 besetzten.

Bosnien-Herzegowina als Kolonie

Der rechtliche Status des Gebites wurde nie festgeschrieben, es gehörte weder zur österreichischen noch zur ungarischen Reichshälfte. Durch eine seltsame Konstruktion hatte das Finanzministerium (dieses teilten sich Ungarn und Österreich) die Oberaufsicht über die Region. Dadurch verfügte Bosnien und Herzegowina weder über gewählte Vertreter im Wiener Parlament, noch über eine Verfassung und auch über keinen eigenen Landtag.

De facto herrschte ein Willkürsystem aus k.u.k. Bürokraten und der sie unterstützenden muslimischen Oberschicht über die Region. Hier war dem Habsburgerreich gelungen, woran sie zwei Jahrhunderte lang gescheitert waren: Die Schaffung einer beständigen Kolonie. Dass sie innerhalb Europas lag, war der Schwierigkeit geschuldet, eine Marine aufzubauen. 

Erstes Experiment mit dem Welthandel

Historisch war eine starke Marine die Grundbedingung für ein echtes Imperium. Geografisch hatten die Habsburger zwei Möglichkeiten, die Weltmeere zu erreichen, entweder sich auf den Mittelmeerraum über Italien und den Balkan konzentrieren oder die versprengten Besitze an der Nordsee auszubauen. Auch wenn das Mittelmeer als der logischere Ort erscheint, begannen die ersten Habsburger-Experimente mit dem Welthandel nicht über Triest, sondern über die österreichisch Niederlande. (heute Teile Belgiens und Luxemburg) Ein Zeichen dafür, dass eher die Wirtschaft, nicht der Staat diese Projekte vorantrieb.

Inspiriert von den Erfolgen der Nachbarstädte, schlossen sich Handelsgesellschaften aus Ostende, Antwerpen und Gent unter der Schirmherrschaft des Habsburger Kaisers Karl VI. 1722 zur „Kaiserliche Ostendische Kompanie“ zusammen. Anfangs war die Kompanie erfolgreich: In Indien entlang der Koromandelküste und in China (Kanton und Bengalen) wurde eine Handelsniederlassung errichtet. Jedoch beschlossen die älteren und mächtigeren niederländischen und englischen Ostindien-Kompanien die habsburgische aus dem Markt zu drängen.

Zur Auflösung der Kaiserlichen Ostendischen Kompanie führte ein politischer Kuhhandel. Mit der „Pragmatische Sanktion“ versuchte Kaiser Karl VI nach dem Spanischen Erbfolgekrieg die Thronfolge im Hause Habsburg rechtlich festzuschreiben. Der Beschluss zielte auf die Untrennbarkeit und Einheit des Habsburgerreiches und lieferte die Grundlage für das Entstehen eines modernen Staates. Karl benötigte die Zustimmung Englands, welches im Gegenzug die Auflösung der „Ostendischen Kompanie“ verlangte. Stabilität nach innen wurde gegen die Spekulation auf zukünftige Weltgeltung getauscht, ein symptomatischer Beschluss für das Habsburgerreich.

Zweites Experiment über Triest

Maria Theresia (Herrschaft 1740-1780), die dank der „Pragmatisch Sanktion“ Kaiserin werden konnte, war eine der wenigen Habsburger, die ein zukunftsgewandtes, politisches Projekt verfolgte. Reformen wie die allgemeine Schulpflicht, Abschaffung der Leibeigenschaft, Initiierung eines allgemeingültigen Rechtssystems lieferten die Grundlage für die Überwindung der feudalen Strukturen und der beginnenden kapitalistischen Entwicklung.

Sie wählte das bereits 1719 zum Freihafen erklärte Triest als Ausgangspunkt einer Kolonialpolitik. Triest war nicht nur Freihafen, sondern auch durch den Semmering-Pass ab 1728 infrastrukturell an Wien angebunden. Außerdem waren das Osmanische Reich und Venedig als direkte Nachbarn leichtere Gegner als England und die Niederlande. Von Triest aus startete ab Mitte der 1770er-Jahre die neue Ostindien-Kompanie den Kampf um die Weltmärkte. 1777 wurde in der heutigen Maputo-Bucht in Mosambik ein, von den Niederlanden verlassener Hafen gekauft und eine Befestigung errichtet. Die Kolonie ging nach drei Jahren an Portugal verloren. 1778 erhob Österreich Anspruch auf die Nikobaren und baute weitere Handelsstützpunkte in Indien auf. Wiederum endete das Projekt der triester Handelskompanie schnell. Schlechtes Wirtschaften und das Fehlen einer Kriegsflotte, die mehr als drei Schiffe umfasste, führten 1785 zur Auflösung. Die Nikobaren gingen infolge an Dänemark verloren.

Als Österreich dank des napoleonischen Italienfeldzuges 1797 in den Besitz von Venedig kam, wurde erneut versucht, eine Marine aus Kriegsschiffen aufzubauen. Doch auch diese Ambitionen fanden ein schnelles Ende. Der unaufhaltsame Aufstieg Napoleons verlangte die volle Konzentration des Habsburgerreiches auf die Armee, nicht die Marine.

Wiener Kongress: Neuordnung Europas

Die Französische Revolution 1789 und die darauffolgende Herrschaft Napoleons hatten das Gesicht Europas verändert. Die rückschrittlichen Feudalstaaten mit ihrer Betonung auf höfische Etikette, kleine Fürstentümer und Religion hatten dem französischen Staat nichts entgegenzusetzen gehabt. Aufgrund von übertriebenen Ambitionen, fehlenden Seestreitkräften und Pech war Napoleon den vereinigten Monarchien Europas am Ende doch unterlegen. Der Wiener Kongress von 1814 war nun der Versuch der europäischen Mächte, Europa neu zu ordnen. Der führende Kopf hinter dem Kongress war der Habsburger Außenminister Klemens Metternich. Ein Zeichen dafür, dass die Habsburger in dieser Phase noch den Anspruch hatten, der Hegemon über Mitteleuropa zu sein.

Längerfristig scheiterte die Neuordnung Europas des Wiener Kongresses. Das „Bündnis der Herrscher“ (Metternich), die Heilige Allianz der drei christlichen Monarchen Habsburg, Preußen und Russland, konnte auf Dauer die entstehenden Nationalbewegungen nicht aufhalten. Insbesondere die Vereinigung Deutschlands unter preußischer Vorherrschaft 1871 zerstörte Metternichs Utopie des Habsburgerreiches als Machtblock im Mitteleuropa.

Die kolonialen Projekte des Habsburgerreiches ab dem Wiener Kongress sind als Versuche Prestige zur Aufrechterhaltung der Rolle als Hegemon innerhalb Mitteleuropas zu verstehen. Englands Strategie nach Napoleon war, zu verhindern, dass eine europäische Großmacht den ganzen Kontinent kontrollieren konnte. Insofern war ihr das Habsburgerreich als strauchelndes Gegengewicht zum aufstrebenden Preußen und den Machtblöcken Russland, Frankreich gerade recht.

Wiederholung der Kreuzzüge 

Als Einzelstaat war das Habsburgerreich zu schwach, als dass es relevanten Einfluss ausüben konnte. Darum konzentrierte es sich darauf, im „Kollektivimperialismus“ eine relevante Rolle zu spielen. Anfangs wurde Imperialismus als Machtwettbewerb zwischen den Staaten des kapitalistischen Zentrums definiert. Jedoch schlossen sich in der Phase des Kolonialismus die Mächte des Zentrums, regelmäßig zusammen, um rebellische Landstriche kollektiv zu unterwerfen. An diesem militärischen Bündniskolonialismus waren die Habsburger intensiv beteiligt.

Das Osmanische Reich befand sich ab der frühen Neuzeit am absteigenden Ast. Die Habsburger und England, hatten sich jedoch dazu entschieden, es am Leben zu erhalten, um Russland am Balkan Konkurrenz zu machen. Muhammed Ali der Sohn albanischer Eltern, wurde 1806 zum Sultan von Ägypten ernannt, nachdem er zuvor die Kämpfe gegen Napoleon angeführt hatte. Nachdem Ali anfangs vom Habsburgerreich und Frankreich unterstützt wurde, ging er 1830 zu weit, als er Syrien dem Osmanischen Reich wegnahm. Österreich und England eilten zur Hilfe und landeten dort 1840 mit Truppen. Im Zuge des darauffolgenden Krieges wurden Beirut, Sidon und Akkon erobert. In Akkon hisste Erzherzog Friedrich die österreichische Fahne auf der Zitadelle. Symbolisch bedeutsam, weil der Legende nach Leopold V. bei der Belagerung von Akkon 1189 die österreichische Fahne erfand, nachdem sein Gewand nur um die Gürtelschnalle weiß blieb und ansonsten rot vom Blut der Feinde war.

Nach der Niederlage musste sich Ali nach Ägypten zurückziehen und die protektionistische Wirtschaftspolitik aufgeben. Die darauffolgende ökonomische Ausschlachtung Ägyptens kam Österreich aufgrund der geringen Handelskapazitäten wenig zugute.

Kampf in Europa

Die nächste Kollektivintervention der Habsburger hatte ebenfalls den Schutze des osmanischen Reichs zum Ziel. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstand die Enossis-Bewegung, welche einen griechischen Nationalstaat forderte und dafür vom osmanischen Reich unabhängig werden musste. 1896 kam es zu einem umfassenden Aufstand gegen die osmanische Fremdherrschaft.

Der österreichische Außenminister Agenor Goluchowski startete diplomatische Initiativen mit Frankreich, Russland, Italien und Deutschland, um Kreta stärkere Autonomie zuzusichern, die Herrschaft der Osmanen aber nicht grundlegend anzutasten. Die Aufständischen in Kreta lehnten ab. Infolge landeten über 6.000 darunter 600 österreichische Soldaten, in Kreta. Griechenland verlor den Krieg mit dem osmanischen Reich. Bei der darauffolgenden Ausarbeitung einer relativen Autonomie Kretas wurden Österreich und Deutschland jedoch ausmanövriert und zogen sich zurück.

Niederschlagung des Boxeraufstandes

Die Habsburgischen Interventionen beschränkten sich nicht auf den Mittelmeerraum. Ab 1898 kam es in China zu einer Aufstandsbewegung gegen die europäische Vormachtstellung. Ausgehend von Massenunruhen wurden europäische Einrichtungen zerstört, Waren geplündert und Missionare gelyncht. Die Aufständischen organisierten sich in Geheimgesellschaften, die sich an der traditionellen chinesischen Kultur, insbesondere dem Kampfsport, orientierten. Daher der Name Boxer. Acht ausländische Mächte intervenierten gegen sie. Das Habsburgerreich eine davon, spielte jedoch nur eine untergeordnete Rolle. Die k.u.k. Bürokratie erklärte zu ihrer Intervention, man wollte: „mit den übrigen Mächten an dem gemeinsamen Werke, welches dieselben im Interesse der Humanität u[nd] der Civilisation in China verfolgen, auch unsererseits theilzunehmen“. Die Sozialdemokratische Arbeiter-Zeitung war die einzige Stimme, welche die Intervention in fernen Ländern verurteilte.

Habsburgs Imperialismus

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich der habsburgische Kolonialismus inhaltlich nicht von jenem der anderen europäischen Großmächte unterschied. Eine Kombination aus ökonomischen und machtpolitischen Interessen gemischt mit der rassistisch-missionarischen Note, den Wilden die Kultur zu bringen. Der Unterschied bestand darin, dass die Habsburger ab dem Wiener Kongress immer weiter an innereuropäischer Macht verloren. Die kolonialen Projekte wurden nicht aus einer Position der Stärke durchgeführt, sondern aus einer der Schwäche. Die Interventionen waren vom Drang beseelt, machtpolitische Potenz zu simulieren, die das Reich in Wahrheit nicht mehr besaß. Ab der Entstehung Deutschlands musste das Habsburgerreich seinen Anspruch auf eine Hegemonie über Mitteleuropa aufgeben und wurde zusehends zum Anhängsel des Deutschen Reiches. Dass das Reich, welches den 1. Weltkrieg losgetreten hatte, in ihm auch sein Ende fand, war der verdiente Abschluss einer unrühmlichen Geschichte.