Die Nazi-Sängerschaft des Tiroler FPÖ-Chefs Markus Abwerzger
1920 versuchten schlagende Burschenschafter, eine Lesung des Schriftstellers Karl Kraus an der Innsbrucker Universität mit Gewalt zu verhindern und kolportierten die Absicht, Kraus „vom Podium weg mit Knüppeln zur Bahn zu treiben“. Der Senat unterstützte einen rasseantisemitischen, von deutschnationalen Studenten eingebrachten Antrag gegen den Philosophieprofessor Alfred Kastil, der sich für Kraus eingesetzt hatte. Erbost trat Ludwig von Ficker aus der Sängerschaft Skalden aus und warnte, dass die „Macht der Phrase“ Europa schon einmal „in den Krieg und in den Untergang geführt“ habe. Mitglieder der Skalden schickten im Zweiten Weltkrieg hunderttausende Juden in die Gaskammern und führten medizinische Versuche an lebenden Menschen bis zu ihrem Tod durch.
Konterrevolution
Die Skalden waren bereits kurz nach dem Ersten Weltkrieg an der Bildung der konterrevolutionären Heimwehrverbände in Tirol beteiligt. Der „Alte Herr“ der Sängerschaft, Universitätsprofessor Hermann Schullern, nahm im Frühjahr 1920 als Vertreter der Hochschule an einer ersten Gründungssitzung teil. 1921 schlossen sich sieben Skalden dem konterrevolutionären bayrischen „Freikorps Oberland“ zum Kampf in Oberschlesien an. Einer von ihnen, Julius Leitner, wurde von der Sängerschaft „in Anerkennung für sein besonders schneidiges Verhalten“ geehrt. Die Eliten der Innsbrucker Schlesienkämpfer, darunter Leitner, bildeten unter Führung von Ernst Rüdiger Starhemberg den nach dem Freikorps benannten „Bund Oberland Tirol“. Der Bund beteiligte sich 1923 am Hitler-Putsch in München. Die Innsbrucker „Elite-Formation“ des Oberland trat 1933 geschlossen in die SA über.
1921 beteiligten sich Skalden im „Sturmzug Tirol“ an den Kämpfen in Oberschlesien, um praktische Erfahrung für den Bürgerkrieg zu sammeln. Julius Leitner (stehend, dritter von rechts) in Uniform des „Freikorps Oberland“, das ein Jahr zuvor während des Kapp-Putsches gegen die „Rote Ruhrarmee“ gekämpft hat. Foto: Archiv Gehler
Der Antisemitismus radikalisierte sich in den 1920er- und 1930er-Jahren unter Führung der Skalden und weiterer Innsbrucker Burschenschaften. Der Skalde Sepp Koller erinnerte sich, dass es „streng verboten“ war, „in jüdischen Lokalen – Café Schindler (als Beispiel) – zu verkehren oder nicht-arischen Geschäften einzukaufen“. An den Universitäten organisierten Burschenschafter – mit Unterstützung oder zumindest unter Duldung des Rektorats – Aufmärsche gegen jüdische Studierende und Professoren.
Führende Nazi-Kader
1932 waren die Mitglieder der Skalden mehrheitlich im nationalsozialistischen Lager, urteilte der Historiker Michael Gehler, dem die Sängerschaft Ende in den 1980er-Jahren ihre Archive geöffnet hat. Aus den Reihen der Burschenschaften erwuchsen jene fanatischen Nationalsozialisten, die 1938 in der ersten Reihe standen. Als die Nazis von 1933 bis 1938 verboten waren, sicherten Burschenschafter das Erscheinen von Zeitungen und den Druck von Flugblättern der Nationalsozialisten. Der Skalde Karl Meixner deckte als Vorstand der Psychiatrisch-Neurologischen Klinik an der Universität Innsbruck illegale NS-Aktionen im Gerichtsmedizinischen Institut.
Während die Universitäten nach dem „Anschluss“ an Hitlerdeutschland rigoros von Jüdinnen und Juden gesäubert wurden, ging man auch in den Korporationen daran, die letzten „jüdischen Elemente“ zu entfernen. In einem Schreiben der Skalden vom Mai 1938 heißt es an einen Bundesbruder: „Da Vermutungen laut wurden, dass Deine Verbandszugehörigkeit nach den Nürnberger Ariergesetzen und gleichzeitig mit unseren Grundsätzen unvereinbar sind, ersuchen wir Dich um eine ehrenwörtliche diesbezügliche Erklärung, um diesen Vermutungen entgegentreten zu können. Sollte die Erklärung bis zum 13. [Mai 1938] nicht in unseren Händen sein, so müsste Dein Ausschluss am Verbandstage am 14. [Mai] durchgeführt werden.“
1927 half der „Skalden-Zug“ in der Tiroler Heimwehr bei der Niederschlagung des Generalstreiks nach dem Justizpalastbrand. In der Mitte die „Alten Herren“ Vogel, Ketzler und Broschegg. Foto: Stadtarchiv Innsbruck
Ein anderer Skalde wurde aufmerksam gemacht, dass „Deine Heirat mit den Nürnberger Gesetzen und unseren Grundsätzen unvereinbar ist“. Abermals werden „unsere Grundsätze“ betont. Drei weitere „Alte Herren“ der Skalden wurden im April 1938 „einstimmig“ ausgeschlossen. Gehler urteilte: „Diese Dokumente beleuchten ein dunkles Kapitel der Geschichte nationaler Verbindungen, denn es ist nicht auszuschließen, dass sich ähnliche Vorgänge auch bei anderen Korporationen nach dem ‚Anschluss‘ abspielten.“ Die Gewalt- und Terrormaßnahmen wären „Ergebnis einer Entwicklung, der durch das Verhalten breiter studentischer Kreise in Österreich, verkörpert durch die Studentenverbindungen, schon weit vor 1933 Vorschub geleistet wurde“.
Die deutschnationalen Verbindungen wurden 1938 nicht „verboten“, wie sie nicht müde werden zu behaupten, sondern sie gingen ihrer Bestimmung gemäß in der NSDAP auf. Der Skalde Koller berichtete, dass sich ein Großteil der damaligen Mitglieder in einem „Aufbruchstadium“ befunden hätte und sie mit dem „Anschluss“ das Ziel von Generationen vor sich hätten.
Burschenschafter und Korporierte machten im Dritten Reich Karriere. Herbert Feuchter, Alter Herr der Skalden, wurde 1942 zum Zivilrechtsdozenten an der Universität Innsbruck ernannt und bemühte sich besonders um eine rassistische Profilierung seines Fachs. Feuchter war schon 1930 der NSDAP beigetreten und nach 1938 zeitweise Mitarbeiter im Rassenpolitischen Amt, das die Euthanasie und die Reinheit der „deutschen Rasse“ propagierte. In seiner Habilitationsschrift „Satzungsgebundenes und blutgebundenes Denken im Verwandtschaftsrecht“ hatte er 1941 jüdische Autoren nach den Normen des NS-Rassismus markiert. Nach dem Krieg erhielt Feuchter 1949 die Lehrbefugnis als Privatdozent wieder.
Hermann Richter
Ein besonderes Monster der Skalden war der Lagerarzt der Konzentrationslagers Mauthausen, Gusen und Dachau, Hermann Richter. Der Chronist von Mauthausen, Hans Maršálek, dokumentierte, dass Richter chirurgische Eingriffe an Lagerinsassen durchführte und „ihnen innere Organe wie Magen, Leber, Nieren oder Teile des Gehirns“ entfernte, um festzustellen, wie „lange solche Versuchsobjekte ohne diese Organe leben konnten.“
Der Chirurg Josef Prodlaha, der SS-Ärzten oft bei den Eingriffen assistieren musste, berichtete über Richters Versuche im Herbst 1942: „Die Kenntnisse, die sich Dr. Richter bei Operationskursen an Leichen angeeignet hatte, wollte er sofort in die Praxis umsetzen. Da er keine geeigneten Fälle für Bauchoperationen […] vorfand, hat er aus Reihen der Körperschwachen täglich drei bis vier Häftlinge operiert. Er übte Magenoperationen, Entfernung der Galle, Darmresektionen und führte auch Trepanationen (operative Öffnung des Schädels, Anm.) aus. Auf diese Art operierte er binnen weniger Wochen – ohne Indikationen – 300 entkräftete, aber ansonsten gesunde Menschen. Er kümmerte sich nicht weiter um seine Opfer. In ihrer Mehrzahl sind sie an den Folgen dieser chirurgischen Eingriffe verstorben. Die wenigen, die die Operationen überlebten, starben durch Herzinjektionen.“
1941 tötete Richter aus purer Mordlust auf einen Schlag 264 sowjetische Kriegsgefangene mittels Herzinjektion. Hans Maršálek, der selbst in Mauthausen inhaftiert war und als Lagerschreiber gezielt an Sabotageaktion und Hilfsaktionen für Insassen beteiligt war, beschrieb das Töten mittels Herzinjektion: „dem kranken oder körperschwachen Häftling“ wurde vorgetäuscht, „an ihm werde eine Operation vorgenommen“, und er wurde betäubt. „Doch Juden und sowjetische Kriegsgefangene sind nicht narkotisiert worden. Dem Opfer wurde mit einer langen Nadel eine giftige Lösung in das Herz injiziert“, schrieb Maršálek in seinen Schreckensberichten. „Der Tod trat meistens sofort ein. Der leblose Körper wurde vom Tisch abgeschnallt und aus dem Operationssaal entfernt. Dann wurde das nächste Opfer in den Raum geführt.“ Richter mordete kranke Häftlinge nahezu bis zum letzten Tag der Dauer des Lagers; im Mai 1945 soll er sich in der Nähe von Linz selbst getötet haben.
Ferdinand von Sammern-Frankenegg
Eine weitere Bestie aus den Reihen der Skalden war Ferdinand von Sammern-Frankenegg. Als SS- und Polizeiführer von Warschau organisierte er innerhalb von nur zwei Monaten (vom 22. Juli bis zum 21. September 1942) die Deportation von 300.000 Jüdinnen und Juden in das Vernichtungslager Treblinka – das waren durchschnittlich 5.000 Menschen pro Tag, die er in die Gaskammern trieb. Danach stellte er gegenüber der Kreishauptmannschaft Warschau-Land in einem Schreiben klar, dass ihm SS-Reichsführer Heinrich Himmler die „Erfassung und Verwertung des jüdischen Vermögens“ übertragen hätte, also des Eigentums, das von den ermordeten Juden übrigblieb. Er bestand darauf, dass er der „Beauftragte zur Festigung deutschen Volkstums“ wäre.
Im März 1943 rief er zur Jagd auf die übrig geblieben Juden auf und versprach Kopfgelder („in jedem einzelnen Falle bis zu einem Drittel des Zustande gebrachten Vermögens“). Er schickte an alle Kreishauptmänner die Anordnung, dass „sofort mit größter Energie alle noch in den einzelnen Städten bzw. auf dem Land befindlichen Juden, besonders die ohne Armbinde sich frei bewegenden, die also durch die bisherigen Aussiedlungsaktionen nicht erfasst werden konnten, festzustellen und der Gendarmerie zur Liquidierung zuzuführen sind.“ Der Befehl war bis ins letzte Detail ausgeführt: „Bei der Festnahme solcher Juden sind deren Vermögenswerte dem zuständigen Gendarmerie-Zugführer zuzuführen und diese Werte, ohne Unterschied, ob Mobilien, Bargeld oder sonstige Wertgegenstände, meiner Werteerfassung“ zu übergeben. Sammern-Frankenegg wurde im September 1944 von jugoslawischen Partisanen tödlich verletzt.
Tat-Elite des Faschismus
Mit solch bestialischer Präzision und Mordlust haben Korporierte die Vernichtung der europäischen Juden geplant und durchgeführt. „Tat-Elite“ war die Selbstbezeichnung der SS. Die Burschenschafter geben heute gerne zu, dass die Mensur, die mit Säbeln gefochten wird und von denen die hässlichen Schmisse im Gesicht stammen, dazu dient, den „Paukanten“ auf Extremsituationen vorzubereiten. Sie verstehen sich als Teil einer Elite, die bereit ist durchzuführen, wovor der weniger entschlossene Teil zurückschreckt. Ihr elitäres Denken, ihr Ehr- und Pflichtbewusstsein verlangen und erlauben ihnen das „Notwendige“ zu tun, egal wie verabscheuungswürdig diese Taten sind.
Flugblätter des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbunds (NSDStB) aus dem Jahr 1931, gezeichnet von den Hochschulgruppenführern Otto Storch (Burschenschaft Brixia) und Wolfgang Otto Leopoldsberger (Sängerschaft Skalden). Rechts zu lesen: „Juden bleiben zu Hause!“ Foto: Stadtarchiv Innsbruck
Neben den bereits genannten Skalden stiegen weitere Mitglieder der Sängerschaft in der Nazi-Bürokratie auf (eine Übersicht hat Markus Wilhelm auf dietiwag.at erstellt): Max Skarka wurde SS-Oberscharführer der 4. SS-Totenkopfstandarte „Ostmark“ in Mauthausen; Heinz Wolfer verteidigte als SS-Hauptscharführer in der 11. SS-Division Berlin bis zum letzten Tag (er fiel am 2. Mai 1945); Gustav Bald arbeitete sich vom Leiter des Referats für Volkspflege in Arnsberg zum Chef der Propagandaabteilung bei der Heeresgruppe Nord empor; Wolfgang Otto Leopoldsberger gründete 1930 die SS in Innsbruck, wurde 1932 Hochschulgruppenführer des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbunds (NSDStB) in Innsbruck und NSDAP-Gauredner; Egon Schönpflug war enger Mitarbeiter von Adolf Eichmann im „Judenreferat“ im Reichssicherheitshauptamt (RSHA) und damit mitverantwortlich für die systematische Ermordung von sechs Millionen Jüdinnen und Juden.
Der Historiker Gehler schlussfolgerte für die Corps und Burschenschaften, dass deren Engagement „weit über die damals übliche parteipolitische Sympathie hinaus“ ging: „Ihr nazifaschistischer Charakter in den dreißiger Jahren dürfte wohl unbestritten sein.“
Braune Kontinuität
Die Ausrede des heute wohl bekanntesten Skalden Österreichs, des Tiroler FPÖ-Chefs Markus Abwerzger, die Sängerschaft hätte ihre Vergangenheit aufgearbeitet, nur weil sie Gehler in den 1980er-Jahren ihre Archive geöffnet hatte, ist völlig absurd. Heribert Schiedel vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW) führte den Nachweis, dass die Skalden 1992 aus ihrem Dachverband Deutsche Sängerschaft austrat, weil dieser erlauben würde, dass „auch ein Chinese, falls er sich zur Pflege des deutschen Kulturguts verpflichtet“, in eine Verbindung aufgenommen werden könne. Die Skalden erachteten dies als „unakzeptabel“ und wollten ihre völkische Tradition „nicht auf dem Altar einer ‚multikulturellen‘ Verwirrungsideologie opfern“.
Bis heute ehrt die Sängerschaft auf ihrer Homepage ihr Mitglied Artur Kanetscheider, der Lieder komponierte wie: „Sieg Heil unserm Führer. Es lebe das Reich! Großdeutschland muss ewig bestehen!“ Skalden bekennen sich explizit „zur ganzen (!) deutschen Geschichte“ (also inklusive des Nationalsozialismus) und zur „deutschen Sprach- und Kulturgemeinschaft“ über „alle Staatsgrenzen hinaus“. Sie lehnen eine „multikulturelle Gesellschaft“ ab und erteilen allen, die das in Frage stellen, eine Absage: „Wir halten an unseren überkommenen Normen fest.“
Der erschreckende Einblick in die Parallelgesellschaft der deutschnationalen Korporationen, den uns die Skalden erlaubt, muss Anstoß für die antifaschistische Bewegung sein, die deutschnationalen Verbindungen vollständig aus der Regierung und allen Ämtern zu verjagen.
Anmerkung: Zur besseren Lesbarkeit wurde auf Fußnoten verzichtet (geben wir gerne auf Anfrage bekannt). Details und Belege: ● Michael Gehler, Studenten und Politik – Der Kampf um die Vorherrschaft an der Universität Innsbruck 1918-1938 (Innsbruck, 1990) ● Peter Goller in: Johannes Koll (Hrsg.), „Säuberungen“ an österreichischen Hochschulen 1934-1945: Voraussetzungen, Prozesse, Folgen (Wien/Köln/Weimar, 2017) ● Hans Maršálek, Die Geschichte des Konzentrationslagers Mauthausen (Wien, 1995) ● Hans Maršálek, Gusen – Vorraum zur Hölle. Ein Nebenlager des Konzentrationslagers Mauthausen (Wien, 1987) ● Josef Wulf, Das Dritte Reich und seine Vollstrecker (Berlin, 1961) ● Herbert Schiedel, Der rechte Rand. Extremistische Gesinnungen in unserer Gesellschaft (Wien, 2007) ● Albin Kulhanek, Die Mitglieder des Akademischen Gesangsvereins Innsbruck und der Sängerschaft Skalden von 1907 bis 1945 (Innsbruck, 2008)