Don Quijote – von Miguel de Cervantes

Obwohl Don Quijote 2002 vom Osloer Nobelinstitut zum „besten Buch der Welt“ erklärt wurde, ist es das Gegenteil eines anstrengend zu lesenden Klassikers. Cervantes versucht nicht zwanghaft komplex oder intelligent zu schreiben, sondern direkt und mitreißend. Durch den Fokus auf das alltägliche Leben, was für die damalige Zeit, als Bücher nur für eine winzige Oberschicht geschrieben wurden, völlig revolutionär war, lebt in der Geschichte eine Vielschichtigkeit, die Menschen seit über 400 Jahren zu brillanten und saudämlichen Interpretationen bringt.
11. Mai 2024 |

Cervantes (1547-1616) ist das Paradebeispiel für einen gescheiterten Schriftsteller. Sein Studium brach er ab, als er aus Madrid nach Rom flüchtete, vermutlich weil er einen Kommilitonen im Duell verletzt hatte. Völlig mittellos musste er sich als Soldat im Kampf gegen das Osmanische Reich verdingen, wurde gefangengenommen und als Sklave nach Algerien verschleppt. Nach 5-jähriger Gefangenschaft freigekauft, arbeitete er als Steuereintreiber, vergriff sich jedoch am Eigentum der Kirche, wurde exkommuniziert und ins Gefängnis geworfen. Auch der Roman Don Quijote den er 1605 veröffentlichte, brachte ihm keinen Reichtum und so starb er 1616 verarmt in Madrid. Trotz jahrhundertelangen Ausbuddelns von Skeletten inklusive DNA-Tests wurden seine Gebeine bis heute nicht mit Sicherheit identifiziert. Sehr zum Ärger des spanischen Staates, der nur allzu gerne eine literarische Pilgerstätte – mit kleinen Souvenirs für die Steuereinnahmen – aus den Gebeinen des bekanntesten Verlierers Spaniens machen würde.

Die Realität ist falsch

Unabhängig davon, für welche Interpretation des Romans man sich entscheidet, klar bleibt, dass Quijote der „Ritter von der traurigen Gestalt“ und sein Knappe Sancho Panza Verlierer sind. Vom scheiternden Kampf gegen Riesen (Windmühlen), dem Versuch allein ein feindliches Heer (Schafherden) in die Flucht zu schlagen, bis zur heldenhaften Sklavenbefreiung (verurteilte Galeerensklaven) erfolgreich ist das Team nie.
Nachdem Quijote nur gegen Ritter kämpfen darf, schickt er für alle echten Bedrohungen Sancho ins Feld. Zum Dank dafür verspricht er ihm, die zweite Hand seines zukünftigen Königreichs zu werden. Obwohl Sancho realisiert, dass niemand mehr Ritter braucht, geschweige denn Respekt vor ihnen hat – Wirte weigern sich, die Regeln der fahrenden Ritterschaft einzuhalten und verlangen Bezahlung für Kost und Logis – bleibt er treu bei seinem Herren. Nochmals schwieriger wird diese Treue dadurch, dass Quijote nicht nur scheitert, sondern in einer anderen Realität lebt. Die Realität der Ritterbücher, die er gelesen hat und deren Regeln er folgen will, auch wenn es keine Burgen mehr, noch Prinzessinnen, noch Ungeheuer gibt. Quijotes Erklärung für das Auseinanderfallen seiner Realität mit der objektiven ist von bestechender Logik: Ein böser Magier verzauberte ihn oder die Realität oder alle anderen. Doch nachdem Quijote nicht wissen kann, was Zauber und was echt ist, nützt ihm diese Erkenntnis herzlich wenig.

Der Roman bietet endlos Interpretationsstoff: Karl Marx und Georg Lukács sahen in ihm die Abrechnung des entstehenden Bürgertums mit der vergangenen Traumwelt des Feudalismus. Sigmund Freud der extra Spanisch lernte, um das Buch im Original zu lesen, diskutierte den Konflikt zwischen Fantasie und Realität mit seinen Überlegungen zum Unterbewussten. Literaten sahen in Quijotes den perfekten Leser, der versucht, die Bücher Wirklichkeit werden zu lassen und der scheitert, weil die Realität nicht mit der Fiktion mithalten kann. Die Einzigen die das Buch dezidiert nicht verstanden haben, sind Faschisten: vom Diktator Franco – der Cervantes zu einem Nationalheiligen machen wollte, bis zu aktuellen, die Quijote in einen Kämpfer der Reconquista verwandeln wollen. Wobei wir mit Cervantes darüber lachen sollten, dass Rechte in ihrem Wahn wirklich so blöd sind, ein Buch in das zu verwandeln, was es verspottet: einen Heldenepos.