Erich Hackl: Am Seil. Eine Heldengeschichte
Wenn das Wort „Held“ fällt, kommt einem vieles in den Sinn. Außergewöhnliche Personen, teils mit übermenschlichen Kräften ausgestattet, die Taten vollbringen, von denen ein Normalsterblicher nur träumen kann. An wen man dabei nicht zuerst denkt, ist Reinhold Duschka, ein eher ruhiger Typ, passionierter Bergsteiger und Kunsthandwerker in Wien. Ein ganz normaler Mensch, der zwei anderen das Leben rettete. Denn von 1939 bis 1945 versteckte er die jüdische Chemikerin Regina Steinig und deren kleine Tochter Lucia, um sie vor der Deportation durch die Nazis und dem Tod zu bewahren.
Erich Hackl, der für sein Buch „Abschied von Sidonie“ bekannt wurde, schafft in knapp über 100 Seiten Großes. In seiner Erzählung „Am Seil“ schreibt er nicht nur über einen Helden, der eigentlich keiner sein wollte. Hackl schuf dabei eine Familiengeschichte, die sich über Jahrzehnte spannt: von der Zeit vor Lucias Geburt, in der Reinhold Freundschaft mit Lucias Vater schloss; eine Zeit, in der man im Freundeskreis über das Rote Wien, den Expressionismus und die Russische Revolution debattierte; weiter zu den Jahren der Nazi-Schreckensherrschaft, in denen vom alten, normalen Leben nichts mehr übrig blieb; bis hin zur Gegenwart.
Trotz des Risikos, dem Reinhold sich dabei aussetzte, als er Regina und Lucia in seiner Werkstatt versteckte, zögerte er nicht, das Richtige zu tun und das alles ohne Heldenpathos. Er selber wollte keine Würdigung für seinen Mut. Lucia, die die Jahre des Nationalsozialismus überlebte und heute stolze 89 Jahre alt ist, hatte trotzdem den Wunsch ihn dafür zu würdigen. Ihre Erinnerungen an diese Geschehnisse bilden die Grundlage für Hackls Erzählung. Was diese so unglaublich macht, ist, dass er es nicht nur schafft, auf wenig Text eine ergreifende Geschichte zu erzählen, sondern auch durch scheinbar nebensächliche Informationen Liebe zum Detail zeigt und die Erzählung dadurch authentisch macht.
„Am Seil“ ist nur ein kleines Buch, dennoch zeigt es große Wirkung am Leser und ruft diesen zur Zivilcourage auf. Denn es braucht in schlimmen Zeiten keinen außergewöhnlichen Helden, sondern nur ganz normale Menschen, die sich für andere einsetzen, wenn es die Menschlichkeit verlangt. In Zeiten wie heute, in denen Flüchtlinge zu Hassobjekten gemacht werden und in Herkunftsländer abgeschoben werden, in denen ihnen der sichere Tod droht, steht Reinhold für Mut, an der man sich ein Beispiel nehmen sollte.