Flüchtlingshelferin in Idomeni: „Man müsste den Zaun niederreißen!“

Flüchtlingshelferin Patricia Velencsics aus Österreich war an der mazedonischen Grenze. Im Gespräch mit der Neuen Linkswende erzählt sie von der ungebrochenen Solidarität und den Schwierigkeiten, konkrete Hilfe zu leisten ohne zum Komplizen des Systems zu werden.
4. April 2016 |

Neue Linkswende: Du warst mehrere Tage in Idomeni. Was war deine Motivation?

Patricia Velencsics: Ich arbeite hauptberuflich mit Flüchtlingen zusammen, ich bin schon seit vielen Jahren bei der Caritas. Und im Sommer, als die Flüchtlinge dann endlich gekommen sind, war ich irrsinnig froh: Endlich sieht man sie und sie müssen nicht mehr gejagt von der Polizei, versteckt in LKWs nach Österreich kommen. Endlich müssen sie sich nicht mehr verstecken. Und dann hat die Regierung das alles wieder rückgängig gemacht.

Als ich gesehen habe, wie schlimm die Zustände entlang der Balkanroute sind, bin ich sofort losgefahren. Und ich war einmal in Röszke, einmal in Zakany und mehrere Male in Spielfeld, und dann zweimal in Idomeni. Beim ersten Mal für zehn Tage, dann war ich zwei Wochen in Wien und dann bin ich nochmal für eine Woche runtergefahren.

Wie kann man sich die Organisation vor Ort vorstellen?

Ich hab mir über Facebook eine Gruppe gesucht, damit ich eine Ansprechperson habe. Man muss sich das so vorstellen: Man fährt einfach eine Straße entlang und dann fängt das Camp an, es ist nicht abgezäunt. Es geht bis weit ins Landesinnere. Überall sind Zelte. In jedem verlassenen Haus wohnen Flüchtlinge, in der ganzen Bahnhofshalle und überall entlang der Gleise.

Am vorletzten Tag, bevor ich gefahren bin, war ein irrsinniger Sturm, da hat es die Zelte wie Kartenhäuser niedergemäht. Wir haben die ganze Nacht versucht die Zelte wieder aufzubauen, das war komplett unmöglich.

Die Freiwilligen, sind die vor allem aus Griechenland oder aus ganz Europa?

Unterschiedlich. Die größeren NGOs bestehen natürlich größtenteils aus Griechen. Die kleineren selbstorganisierten NGOs sind ganz bunt gemischt. Also ich war in einer Gruppe mit fünf, sechs Mitgliedern. Eine Schweizerin, eine Polin, drei Spanier, ein Amerikaner. Vom spanischen Feuerwehrmann, der sich drei Wochen frei nimmt,  bis zum Amerikaner aus einem kleinen Kaff in Colorado, den es einfach unglaublich stört, was hier abgeht, ist alles dort. Die meisten waren eigentlich keine Menschen aus sozialen Berufen. Eigentlich Leute mit ganz normalen Berufen, die sich halt für zwei Wochen frei nehmen.

Wie ist die Stimmung unter den Flüchtlingen?

Also beim ersten Mal war die Grenze zu Mazedonien noch offen. Da ist es noch einigen Flüchtlingen gelungen, die Grenze zu überqueren. Beim zweiten Mal war die Grenze zu, niemand ist mehr durchgekommen. Die Flüchtlinge wussten nicht, was sie tun sollen. Sollen sie hier bleiben? Sollen sie in die Militärcamps gehen oder zurück nach Athen? Ich konnte nur sagen: Die Grenze bleibt zu, und geht bloß nicht zurück in die Türkei.

Die Flüchtlinge haben mir vorgeworfen: „You closed the border!“. Ich habe dann immer geantwortet: „I know, that’s why I am here.“

Was mir zum ersten Mal in meinem Leben passiert ist: Ich wünschte, ich wäre Deutsche gewesen, weil immer wenn ich gesagt habe, ich komme aus „Austria“, haben sie geantwortet: „You closed the border!“. Ich habe dann immer geantwortet: „I know, that’s why I am here.“

Es gab auch immer wieder Proteste von Flüchtlingen. Es wurde versucht, den Grenzzaun zu stürmen. Zwei Syrer haben versucht, sich anzuzünden. Es gab dann logischerweise auch Probleme zwischen Helfern und Flüchtlingen im Sinne von: „Wie kannst du jetzt mit Kindern spielen, zwei unserer Landsleute wollten sich gerade anzünden!“ Dann sind viele in Hungerstreik getreten und wir wurden kritisiert: „Wie kannst du hier Essen austeilen, wir machen einen Hungerstreik!“ Auf einmal gab es den Befehl von den großen NGOs: Freiwillige raus aus dem Camp, ihr werdet bedroht. Es gab zwei Tage keine Essensausgabe.

Warst du mal in Idomeni, hast du mitbekommen wie die Stimmung unter der griechischen Bevölkerung ist?

Der größte Teil der Freiwilligen wohnt in Polykastro, einem Dorf mit ca. 8.000 Einwohnern in der Nähe der Grenze. Jedes Hotel ist vollständig ausgebucht und viele stellen ihre Wohnung für Freiwillige zur Verfügung. Ich habe da in einem Privathaus gewohnt und die Besitzerin hat mir erzählt, dass es vorigen Sommer ganz arg war.

Eigentlich müsste man die ganze Zeit nur schreien, den Zaun niederreißen und ich weiß nicht was tun.

Auf der Straße, in jedem Garten, in den Häusern waren Flüchtlinge, einige Hoteliers haben ihre Hotels geöffnet und Flüchtlinge für zwei bis drei Tage bei sich wohnen lassen. Die Solidarität der lokalen Bevölkerung ist unglaublich beeindruckend. In Restaurants haben Freiwillige „minus zehn Prozent“ bekommen und ich habe dort öfter große Einkäufe gemacht. Wenn ich gesagt habe, es ist für Idomeni, habe ich immer einen Rabatt bekommen. Aber die Leute sind halt logischerweise auch alle ziemlich fertig und hoffen, dass irgendwann wieder Normalität einkehrt. Die Leute, die dort wohnen sind Helden, das ist keine reiche Gegend.

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Wenn man dort ist, denkt man nicht mehr, das ist alles so schrecklich. Du denkst dir, dem muss ich was zu essen bringen, der hat keine Schuhe, das Kind muss zum Arzt usw. Eigentlich müsste man die ganze Zeit nur schreien, den Zaun niederreißen und ich weiß nicht was tun. Aber in Wirklichkeit machst du halt mit als Helfer. In dem Moment, wo man da reingeht, wird man Teil davon. Aber was ist die Alternative? Es nicht zu machen, ist auch keine Möglichkeit.

Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.