Grazer Schule gegen Abschiebung: „Wir wollen unseren Roohi zurück!“

Am 6. März wurde der 20-jährige Roohi mit seiner afghanischen Familie nach Kroatien abgeschoben. Mitschüler_innen und Lehrende von Roohi organisierten eine beeindruckende Solidaritätsaktion. Neue Linkswende hat sich mit Roohis Klassenvorständin Greta Korper und zwei seiner Mitschüler_innen, Christoph Freimaurer (15) und Anna Pichler (16), getroffen und mit ihnen über ihren Umgang mit der plötzlichen Abschiebung, Solidarität und die aktuelle Asylpolitik gesprochen.
30. März 2017 |

Neue Linkswende: Wir waren sehr begeistert von eurer Solidaritätsaktion für Roohi! Wer hat sie organisiert, was hat euch dazu motiviert?

Greta Korper: Dahinter standen die Direktorin Margareta Petermandl, Brigitte Schlick (die im Bereich Eventmanagement an der HLW tätig ist und lange Zeit Politikerin bei den Grünen war) und ich als Klassenvorständin von Roohi, weil wir ein Zeichen setzen wollten. Wir wollten zeigen, dass wir unseren Roohi unbedingt zurück haben wollen und dass wir diese Abschiebungen einfach ungerechtfertigt und ungerecht ihm gegenüber finden. Wir haben uns gedacht, dass wir unserer Betroffenheit Ausdruck verleihen müssen und wollten anregen, dass etwas dagegen unternommen wird.

Christoph Freimaurer: Ich habe eigentlich erst in der Pause von meinen Mitschülern erfahren, dass der Roohi deportiert worden ist. Ich finde das ziemlich arg, weil es einfach so ist, wie es damals mit den Juden war, die hatten eine Stunde zum Packen und wurden einfach mitgenommen. Es ist ziemlich ungerecht.

Anna Pichler: Ich habe bei der „Guided City Tour“ (schulinternes Projekt, Anm.) gesehen, wie Roohi mit seinen Mitmenschen umgeht und wie offen er anderen gegenüber ist. Ich fand das nicht fair, ihn aus seinem Umfeld herauszunehmen.

Habt ihr weitere Aktionen geplant?

Korper: Ja, es gibt mehrere Pläne. Momentan werden gerade Leserbriefe für Zeitungen verfasst und wir geben Interviews.

Christoph: Eine Mitschülerin, die Kathi, hatte die Idee, dass wir eine Demonstration machen.

Korper: Wir warten noch auf neuere Informationen von Roohis Anwalt, Herrn Frühwirth, ob eine Demonstration sinnvoll ist oder eher negative Auswirkungen hat. Die erste Klasse Kongressmanagement hätte sich dazu bereit erklärt, so etwas zu organisieren. Wir finden das als Angebot schon einmal wahnsinnig toll, weil es sichtbar macht, wie viele Menschen Solidarität zeigen und wie sehr sie dieses Ereignis schockiert und bewegt.

© HLW Schrödinger

Wie geht es euch damit, dass Roohi jetzt in Kroatien ist? Habt ihr Kontakt zu ihm?

Anna: Es ist schockierend, dass er jetzt weg ist…

Korper: Ich habe Kontakt zu ihm über Whatsapp und bekomme live mit, wie das dort (im Asylquartier „Hotel Porin“ in Zagreb, Anm.) abläuft, was dort alles passiert und wie schlecht es ihm geht. Sicher nicht nur ihm, sondern auch allen anderen, die in diesem Auffanglager sind.

Wie ist die Stimmung in der Schule, wird in den Pausen viel darüber geredet?

Korper: Die Plakatwand von der Aktion steht noch immer hier, in der ersten Klasse war es ein ganz großes Thema. Eine Stunde lang gab es darüber eine Diskussion auf Englisch.

Anna: Für manche ist es schon ein Thema, aber nicht für alle. In unserer Klasse kannten sie ihn und finden es blöd, auch jene, die seine Freundin kennen.

Christoph: Von meiner Klasse war ich der einzige, der Roohi richtig kennt. Ich habe ihn beim Mathe-Förderunterricht kennengelernt.

Korper: Es ist schade, dass heute niemand von Roohis Klasse, der „Übergangsklasse“, hier sein kann… Aber es birgt einfach zu viele Risiken für Jugendliche in ihrem eigenen Asylverfahren, dass wir niemanden von ihnen dazu holen können (Die „Übergangsklassen“ wurden in der Steiermark eingeführt, damit nicht mehr schulpflichtige jugendliche Asylwerber_innen eine Chance auf Ausbildung haben. In der HLW Schrödinger besuchen derzeit 14 geflüchtete Schüler_innen die Übergangsklasse, Anm.).

Welche Momente mit Roohi habt ihr besonders in Erinnerung?

Christoph: Ich habe eigentlich für letzten Montag noch ein Mathe-Übungsblatt vorbereitet. Normalerweise wäre ich in der 45-Minutenpause runtergegangen und hätte den Roohi geholt, das hatte sich dann aber leider erübrigt… Er wollte im Förderunterricht unbedingt immer alles können. Ich hab es ihm erklärt und dann hat er es durchgerechnet, und er wollte dann immer noch drei weitere Beispiele haben, weil er sicher sein wollte, dass er es auch wirklich versteht.

Mich hat seit der Abschiebung am meisten die Solidarität bewegt, weil man schon gesehen hat, dass es sehr viele Schülerinnen und Schüler gibt, die bereit sind, dafür aufzustehen.

(Greta Korper, Lehrerin)

Anna: Ich erinnere mich, dass wir am Ende der City Tour eigentlich schon zu spät dran waren, aber er wollte unbedingt in den Moser (Buchhandlung, Anm.) ein Schulbuch kaufen fürs Lernen…

Korper: Mich hat seit der Abschiebung am meisten die Solidarität bewegt, weil man schon gesehen hat, dass es sehr viele Schülerinnen und Schüler gibt, die bereit sind, dafür aufzustehen. Was mich auch bewegt hat, war die Reaktion der Übergangsklasse dazu. Ich musste ihnen natürlich sagen, was da jetzt passiert ist. Die Reaktionen von ihnen waren im Gegensatz zu den Regelschülern sehr abgeklärt – das ist ihre Lebensrealität. Sie rechnen jeden Tag damit, dass sie abgeschoben werden können und dementsprechend tut ihnen der Roohi natürlich sehr leid, aber sie schieben das einfach sehr weit von sich weg, weil es ihnen einfach jeden Tag selbst passieren kann.

Christoph: Der Roohi war eineinhalb Jahre in Österreich. Wenn man erst seit zwei Monaten da ist, kann man die Sprache noch nicht und man hat noch nicht so viele Freunde, aber der Roohi war auch im Sportverein und war irrsinnig integriert, wo er gelebt hat.

Anna: Ja, er hat sich sehr bemüht mit uns zu reden, er hat uns gefragt, wo wir herkommen und was wir so machen und was wir werden wollen.

Was denkt ihr über die aktuelle Asylpolitik?

Christoph: Das ist schwierig…

Korper: Ich verstehe viele Dinge, aber ich finde, dass das große Problem ist, dass alles sehr viel schneller passieren müsste. Jemanden nach eineinhalb Jahren nach Kroatien zurück zu schieben, ist einfach unfair. Der baut sich ein Leben auf, der integriert sich, fasst beinahe wieder Fuß, er schafft es sich ein Leben aufzubauen und dann sagt man nach so langer Zeit: Doch nicht. Nicht bei uns.

Abgesehen davon, dass der Staat Österreich jetzt natürlich in ihn investiert hat – er konnte hier zu Schule gehen, was wirklich super für ihn ist – kann er mit unserer Schulbildung, die er jetzt hier bekommen hat (Deutsch), in Kroatien wenig anfangen. Das heißt, er startet dort jetzt wieder bei Null mit einer komplett neuen Sprache. Ich denke, man darf nicht vergessen, dass wir hier von Menschen sprechen – das sind keine Waren, die ich eineinhalb Jahre irgendwo liegen lasse und dann woanders hinschiebe, sondern ein Mensch.

Christoph: Es macht einfach keinen Sinn – er hat eineinhalb Jahre in Österreich gelebt und jetzt ist er einfach weg, weil die sich gedacht haben, nö.

Wenn er zurückkommen darf, dann ist das ein Erfolg der Solidarität. Mit diesem guten Beispiel könnten wir in Österreich vorangehen.

(Anna, Mitschülerin)

Korper: Man denkt sich, man hat diese Interviews, in denen man sich jeden Fall anschaut. Ich verstehe das, wenn die Kapazitäten beschränkt sind – aber dann braucht es einfach mehr Kapazitäten. Man muss sich jeden Fall individuell anschauen. Ein Paradebeispiel für Integration kann ich nicht abschieben! Das ist dem Mensch gegenüber unfair und auch für Österreich komplett unlogisch. Wenn man sich Kanada zum Beispiel anschaut, die extreme Auflagen haben, welche Leute sie nehmen, dann machen wir den kompletten Fehler, wenn wir Menschen, die gut ausgebildet sind, die sich integrieren möchten und Arbeit finden würden, abzuschieben.

Habt ihr noch abschließende Worte an die Politik oder die Öffentlichkeit?

Christoph: Ich weiß nicht, ob bei Roohi alles ganz mit rechten Dingen zugegangen ist, dass er abgeschoben worden ist. Ich kann mir nicht vortellen, dass das wirklich gesetzlich korrekt ist. Er hatte eine Wohnung und war beim Sportverein, er war super integriert und es gab für mich keinen Grund für die Abschiebung.

Anna: Wenn er zurückkommen darf, dann ist das ein Erfolg der Solidarität, dann können wir sagen: Wir haben ihn wieder zurück geholt. Mit diesem guten Beispiel könnten wir in Österreich vorangehen.

Erste Afghanistan-Abschiebungen nach wütenden Protesten verhindert

Erste Afghanistan-Abschiebungen nach wütenden Protesten verhindert

Korper: Ich denke mir, dass die Politik sehen sollte, dass hinter Roohi eine wahnsinnige Masse an Menschen steht, die Schule, Leibnitz als Stadt, sein Umfeld. So viele wollen ihn zurück! Die müssen doch sehen, dass es einen Grund hat, warum wir ihn zurückwollen, und das nicht willkürlich ist.

Das Interview führte Astrid Schmalzhofer.

Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.