“Ich erkenne Antisemitismus, wenn ich ihn sehe.”

Ich wurde in eine jüdische Familie in Jerusalem geboren. Ich betrachte mich nicht als Israeli, da Israel ein zionistischer Staat ist und ich den Zionismus ablehne, da er meinen Grundwerten des Miteinanders und der Gleichheit widerspricht. Angesichts der Geschichte der Juden in Europa bin ich zu dem Schluss gekommen, dass ich den Unterdrückten und Verfolgten überall und immer beistehen muss. Dazu gehört auch Palästina.
9. Februar 2024 |

Während weltweit Proteste gegen den israelischen Völkermord in Gaza und zur Unterstützung Palästinas ausbrachen, behauptete Bibi Netanjahu, dass Kritik an Israel antisemitisch sei. Netanjahu hat einmal behauptet, der Holocaust sei das Werk von Palästinenser:innen und der Großmufti von Jerusalem habe Hitler von der Endlösung überzeugt. Netanjahu hat den Holocaust benutzt, um israelische Kriegsverbrechen zu rechtfertigen. Netanjahu ist mit Victor Orban verbündet, der eine antisemitische Verschwörung propagiert, nach der jüdische Eliten wie Georg Soros, Araber und Afrikaner nach Europa schleusen, um die “überlegene Rasse” auszutauschen.

Netanjahu arbeitet mit Antisemiten zusammen und missbraucht den Holocaust, weshalb er sich disqualifiziert, Antisemitismus zu definieren.

Auch in Österreich verleumden Politiker die Pro-Palästina-Bewegung als antisemitisch. Ich erkenne Antisemitismus, wenn ich ihn sehe. Die eigene faschistische Vergangenheit unter den Teppich zu kehren, das ist antisemitisch. Eine Partei, die von ehemaligen SS-Mitgliedern gegründet wurde, als demokratische Partei zu bezeichnen, ist antisemitisch. Das Lied der Germania Burschenschaft – „Wir schaffen die siebte Million” ist Antisemitismus. „Mehr Mut für unser Wiener Blut” ist menschenverachtend und antisemitisch. Nazis durch Migrantenviertel in Wien marschieren zu lassen, ist rassistisch und erinnert an den Höhepunkt des Antisemitismus. Ich warte immer noch darauf, dass Martin Engelbert angeklagt wird, weil er den Holocaust verharmlost hat, indem er sagte, die Hamas sei schlimmer als die SS.

Österreichische Politiker haben mir nicht zu sagen was Antisemitismus ist.

Zu sagen, dass Kritik an Israel antisemitisch ist, ist antisemitisch. Sie impliziert, dass alle Juden eine einzige politische Ideologie und einen einzigen Staat unterstützen. Gräueltaten im Namen von Juden zu begehen und gleichzeitig Israelkritik mit Antisemitismus gleichzusetzen, ist gefährlich, denn es lenkt von der wahren Bedeutung des Antisemitismus ab und gibt Antisemiten Deckung, indem man Israel unterstützt.
Immer mehr Juden distanzieren sich von Israel. Sie sind beunruhigt über die anhaltende Besatzung, die ethnischen Säuberungen und die Massaker, die im Gazastreifen verübt werden, während Israel, wie sie sagen, “den Rasen mäht”.

Der Holocaust-Überlebende Gabor Matte erklärt in einem aktuellen Interview, dass „Tausende von jüdischen Rabbinern, Historiker:innen und Intellektuellen … einen Brief unterzeichnet haben, in dem sie die gegenwärtige Situation eindeutig als Apartheid bezeichnen … der ehemalige Chef des Mossad hat gesagt, dass die gegenwärtige Situation der Palästinenser:innen unter der Besatzung Apartheid ist.”
Die Times of Israel berichtete am 13.08.23, dass „der ehemalige IDF-General (Amiram Levin) argumentiert, dass Israels Kontrolle über das Westjordanland Ähnlichkeiten mit der diskriminierenden Politik unter Nazi-Deutschland hat.”

Der israelische Historiker Ilan Pappe fordert: „Man muss Israel entzionisieren, um den Palästinenser:innen ein normales Leben zu ermöglichen”, d.h. den kolonialistischen Apartheidstaat abbauen und einem säkularen demokratischen Staat mit gleichen Rechten für alle Platz machen. Das ist Anti-Kolonialismus und Pro-Gleichheit, kein Antisemitismus.

Diese kritischen Stimmen sind jüdisch, einige israelisch, nicht antisemitisch.
Der ehemalige Menschenrechtsanwalt der Vereinten Nationen, Craig Mokhiber, verurteilt Israel scharf für seine Menschenrechtsverletzungen. In einem Interview wies er auf die Unaufrichtigkeit hin, Israelkritik und pro-palästinensischen Aktivismus mit Antisemitismus in einen Topf zu werfen. „Kritik an israelischen Menschenrechtsverletzungen ist nicht antisemitisch, so wie Kritik an saudischen

enschenrechtsverletzungen nicht islamfeindlich und Kritik an Menschenrechtsverletzungen in Myanmar nicht antibuddhistisch ist”, sagte Mokhiber. Weiter erklärt er: „Zu sagen, dass Zionisten das gesamte Judentum repräsentieren, ist eine antisemitische Behauptung.” Er weist darauf hin, dass „wenn die Forderung nach gleichen Rechten für Christen, Muslime und Juden Antisemitismus ist, dann gibt es keine Grundlage für ein Gespräch.”

Das ist genau das, was Israel versucht, nämlich Gespräche über Frieden, Gerechtigkeit und Gleichheit in Palästina unmöglich zu machen.

von Ron Oppenheim, 31.12.2023