„In die Nieren!“ – Polizeigewalt bei Klimaprotest
Die Sonne brennt vom Himmel. Tausende Schüler_innen ziehen über den Ring. Sie warnen vor dem Klimawandel und fordern die Politik zum Handeln auf. Unter ihnen Greta Thunberg. Die 16-jährige Klimaaktivistin ist aus Schweden angereist, um den Hilferuf der jungen Generation zu unterstützen. Es ist ein „Fridays for Future“, der ob seiner Botschaft denkwürdig hätte werden können. Erinnern wird man sich an diesen Tag. Aber nicht nur wegen der wichtigen Botschaft. Bleiben wird die Erinnerung an Gewalt – ausgeübt von Polizisten. Wie ist das passiert? Ende Geländewagen blockiert während der Demo die Aspernbrückenstraße. Die Polizei rückt an. Die Art, wie sie diesen Protest auflöst, wird die Berichterstattung der kommenden Tage dominieren. Denn es tauchen zwei Videos auf, die zeigen, mit welch brutaler Art die Polizei zur Tat schreitet.
Skrupellose Beamte
Die beiden veröffentlichten Videos lassen keinen Raum für Interpretation offen. Das erste zeigt einen bereits am Boden fixierten Mann, der Schläge durch einen Polizeibeamten kassiert, während im Hintergrund ein Justizbeamter ruft: „In die Nieren, in die Nieren!“ Das Opfer wurde erst in der Nacht wieder frei gelassen. Sein nächster Weg führte wegen seiner Schmerzen ins Krankenhaus.
Die Polizei Wien hat nach Veröffentlichung des Videos in der Presseaussendung mitgeteilt: „Die medialen Darstellungen der Ereignisse, insb. die Vorwürfe um das gestern in den Medien veröffentlichte Video, entbehren sich teilweise dem Grundsatz einer objektiven und faktenbasierenden Berichterstattung.“
Im zweiten Video wird ein Mann mit dem Kopf unter einem Polizeibus fixiert. Der ihn fixierende Beamte gibt dem Fahrer scheinbar ein Handzeichen zum Losfahren, der das auch tut. Im letztmöglichen Moment wird der Kopf der Person unter dem Auto wieder hervorgezogen. Anselm S. war auf der Demonstration, um die Geschehnisse zu dokumentieren, und um die Bewegung auf diese Weise zu unterstützen.
Noch ein Fall: Eine Person meldet, dass ihr von einem Polizisten ein Mittelhandknochen gebrochen wurde. Die Polizei streitet ab, erst ein CT belegte die Verletzung.
Wiens Vizepolizeipräsident Michael Lepuschitz verteidigt in jedem Interview das Vorgehen seiner Beamten. So „schmerzen“ ihn die aufgetauchten Prügelvorwürfe in den sozialen Medien zwar sehr. Man müsse diese Videos aber auch aus einem anderen Blickwinkel sehen, da die Bilder täuschen würden. Anwendung von „Körperkraft“ sei zulässig, da die Polizei dadurch keine Waffen verwenden muss. Darüber hinaus behauptet er felsenfest, dass der Kopf nicht unter dem Polizeiauto gelegen sei.
Fisch stinkt vom Kopf her
Mittlerweile wurden vier Verfahren gegen die Justizbeamten eingeleitet. Drei davon aufgrund der oben genannten Ereignisse. Das vierte bleibt vorerst ein Geheimnis. Ein Blick auf die Zahlen zeigt aber, dass die Hoffnung auf Aufklärung wohl gering ist. Das Austrian Center for Law Enforcement Sciences (ALES) veröffentlichte 2018 eine Studie zu Gewaltvorwürfen gegen Polizeibeamte. Alle 233 Verfahren in Salzburg wurden eingestellt. In Wien wurden von 1.285 ganze sieben gerichtlich verfolgt. Nicht ein Fall aus dem Zeitraum 2012 bis 2015 endete mit einer Verurteilung. Dafür wurde in 10% der Fälle ein Verfahren gegen die Opfer eingeleitet: wegen Verleumdung. Mittlerweile werden die Stimmen, die Lepuschitz zum Rücktritt auffordern, immer lauter. Doch Polizeigewalt ist kein Einzelfall, sie hat einen systematischen Ursprung und ruht tief in den Wurzeln des Kapitalismus.
Gewaltursprung: der Staat
Friedrich Engels schreibt in seinem Werk Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats, dass die Menschheit den Großteil ihrer Entwicklung ohne staatliche Strukturen ausgekommen ist. Dies argumentiert er anhand der Beobachtung von Naturvölkern. Da nicht mit Überschuss produziert wurde, konnte kein materielles Vermögen angehäuft werden. Daher gab es keine Klassenspaltung und die charakteristischen Eigenschaften eines Staates, wie Beamtenschaft, Heer und Polizei, hat es nicht gebraucht. Erst als Privateigentum angehäuft wurde, entstand der Klassenkonflikt. Dadurch, dass eine Klasse Privilegien anhäufte, musste sie diese beschützen. Die Aufgabe des Schützens übernahmen bewaffnete Organe innerhalb des neu entstandenen Staates.
Allerdings ist die Polizei nicht schon mit der Entstehung der antiken Staaten entstanden, sondern ist eine Erfindung der bürgerlichen Klasse im Kapitalismus. Im antiken Rom wurden Sicherheitsaufgaben von den Liktoren (Leibgarden der Herrschenden), beziehungsweise von den Vigiles übernommen. Im Mittelalter gab es Nachtwachen und Stadtwachen, die anders organisiert waren und auch direkt von der Bevölkerung gewählt wurden. Im Feudalismus gab es in Städten keine Notwendigkeit für die Polizei. Städte hatten ein hohes Maß an sozialer Gleichheit, das den Menschen ein Gefühl der gegenseitigen Verpflichtung gab.
Dorn im Auge des Bürgertums
Warum aber muss gerade die Klimabewegung für die Gewaltlust der Polizei herhalten? So unverständlich dies auf den ersten Blick scheinen mag, ist es nicht. Die herrschenden Eliten haben keinerlei Interessen an einer ernstzunehmenden Klimaschutzpolitik. Dies wird über das fehlende Implementieren von Klimazielen ersichtlich. Allerdings wissen sie, dass friedliche Bewegungen, wie Fridays For Future, ein Potenzial haben, sich zu radikalisieren. Das bewusste Einschlagen auf Aktivist_innen der Ende Gelände-Bewegung in Österreich, beziehungsweise der Extinction Rebellion-Bewegung in Großbritannien, soll bewusst die Schüler_innen einschüchtern.
Wir dürfen die Jugendlichen nicht allein lassen und müssen sie in ihrem Kampf für Klimagerechtigkeit unterstützen und ihnen eine Alternative außerhalb des Kapitalismus und von Polizeigewalt zeigen. Darüber hinaus fordern wir den sofortigen Rücktritt von Wiens Polizeipräsident Gerhard Pürstl, der für die Gewaltexzesse seiner Polizisten verantwortlich ist. Aufgrund der Vorkommnisse fordern wir auch den Rücktritt von seinem Stellvertreter Lepuschitz.