Interview mit Laura Miles: Gegen das Pinkwashing des Genozids
Am 8. März haben LGBT+ und antiimperialistische Gruppen in Wien gemeinsam gegen Geschlechterungleichheiten und den Krieg in Palästina demonstriert. Gibt es auch in England eine Solidarität zwischen diesen zwei Bewegungen?
Ja, definitiv. Es gibt eine große Sympathie unter LGBT+ Menschen und Transmenschen für das palästinensische Volk. Man kann die Verbrechen, die gerade in Gaza passieren, nicht übersehen, da entsteht ein Solidaritätsgefühl. Klar gibt es nicht sehr viele Muslime, die sich als LGBT+ identifizieren, aber wir haben einige Organisationen, wie die Wohltätigkeitsorganisation Imaan, die LGBT+ Muslime unterstützt oder das Muslim Network. Beide haben sich sehr für den palästinensischen Kampf eingesetzt und das Muslim Network ist zu einigen der Demonstrationen in London gegangen. Das ist ermutigend, denn vor einigen Jahren gab es ziemlich ernste Vorfälle an Schulen in Birmingham und anderenorts, bei denen religiöse Gruppen versuchten, den nationalen Lehrplan in Bezug auf Sexual- und Beziehungserziehung zu blockieren. Da der Fokus der muslimischen Communities im Vereinigten Königreich inzwischen stark auf der Solidarität mit Palästina liegt, ist dieses Thema jetzt vom Tisch. Ich selbst habe gemeinsam mit anderen LGBT+ Genoss:innen und Transpersonen an den Demonstrationen in Leeds teilgenommen, da gab es überhaupt keine Probleme. Es ist allen klar, dass man sich zusammen gegen den Völkermord in Palästina stellen muss.
Oft kommt das Argument, dass es ein Widerspruch wäre, sich als LGBT+ Person für Palästina einzusetzen, da diese in Gaza unterdrückt werden. Was würdest du darauf antworten?
Es gibt vieles, was man dazu sagen muss. LGBT+ Freundlichkeit ist ein Teil von Israels Image. Das pflegen sie schon seit langem, beispielsweise indem sie Reisen für LGBT+ Personen nach Tel Aviv organisieren. Es ist ganz klar ein Pinkwashing-Ansatz, der darauf abzielt, Sympathien für das Existenzrechts Israels als exklusiv jüdischen Staat zu gewinnen. Ich denke, dass das vielen Menschen im Laufe der Jahre bewusst geworden ist. Natürlich ist es ist nicht zu leugnen, dass es islamistische Gruppen gibt, die LGBT+ Menschen gegenüber ziemlich feindselig eingestellt sind. Aber es gibt auch viele Muslime, die diese feindselige Politik nicht unterstützen und es ist entmündigend, alle in denselben Topf zu schmeißen. Man muss auch deutlich machen, dass es im Kampf um die Befreiung Palästinas um Antiimperialismus geht. Alle unterdrückten Gruppen, ob Palästinenser:innen oder LGBT+ Menschen, haben ein gemeinsames Interesse daran, sich den imperialistischen Zielen im Nahen Osten zu widersetzen und insbesondere dem US-Imperialismus, dem Hauptunterstützer Israels. Währenddessen ist die Regierung des Vereinigten Königreichs damit beschäftigt diesem Krieg jede mögliche Deckung zu gewähren. Dass die USA und UK selbst eine ziemlich schlechte Bilanz haben, was Transrechte angeht, ist ein weiterer Grund, sich gegen diese Regierungen zu stellen.
Der Westen stellt sich beim Thema LGBT+ Rechte in eine moralische Vorreiterrolle. Was ist da dran?
Wenn man sich anschaut, was tatsächlich in einer Reihe von westlichen Ländern vorgeht, ist es scheinheilig, allein zum Beispiel die unterdrückerische Politik in Ungarn und Polen. In den USA attackieren Republikaner weiterhin vor allem die Rechte von Trans- und nicht-binären Menschen. Da kann man nicht von sich behaupten, in dieser Hinsicht progressiv zu sein. Sie drehen die Uhr zurück, bei LGBT+ aber auch bei Frauenrechten. Letztes Jahr konnten die Rechten in den USA einen enormen Sieg erringen, indem sie das Roe vs. Wade Urteil gekippt haben. Jetzt gibt es kein verfassungsmäßiges Recht auf Abtreibung mehr. Im Vereinigten Königreich haben wir mit Rishi Sunak und seiner Regierung, die islamfeindlichste seit Jahrzehnten und das wird sich nur verschärfen, je näher der Wahltag rückt. Sie wissen, dass sie an der Urne vernichtet werden, darum schlagen sie verzweifelt auf jeden Sündenbock ein, den sie finden können: Migranten, Muslime und natürlich Trans-Personen. Jede Behauptung, progressiv zu sein, ist islamophob, wenn sie dazu benutzt wird, muslimische Menschen und Organisationen anzugreifen und genau das passiert gerade. Die britische Regierung hat eine neue Definition von Extremismus erlassen, durch welche größtenteils muslimische Wohltätigkeitsorganisationen angegriffen werden, die nicht einmal radikal aktivistisch sind – ein eindeutiger islamfeindlicher und reaktionärer Angriff.
Beim Marx-is-Muss Kongress 2023 haben wir mit dir über die Gefahr gesprochen, die vom organisierten Rechtsextremismus ausgeht, hinsichtlich der Sicherheit und Freiheit von LGBT+ Personen. Wie hat sich die Lage seitdem entwickelt?
Sie haben weitergemacht. Dabei konzentrieren sie sich auf zwei Fronten: Einerseits die Angriffe auf die Drag Queen Story Hour, wo es ja auch in Wien diese grandiose Gegenmobilisierung gab. Seitdem hat es weitere Versuche von Rechtsextremen gegeben, die Kinderbuchlesungen von Drag-Darsteller:innen zu blockieren, aber da ist inzwischen ein bisschen die Luft raus. In den letzten Monaten haben sie sich stark auf Geflüchtete konzentriert, vor allem dort, wo die lokalen Behörden Geflüchtete in Hotels untergebracht haben oder bei dem viel diskutierten Bibby Stockholm Asylheim, wo Menschen unter schrecklichen Bedingungen in gefängnisartigen Schwimmcontainern leben müssen. Hier lag eindeutig der Hauptfokus rechter Mobilisierung. Antirassist:innen, Stand up to racism und verschiedene linke Gruppen haben sich mit einigem Erfolg dagegen gewehrt. Ich muss aber sagen, dass wir nicht alle diese Aktionen gewonnen haben. Teilweise ist es der extremen Rechten gelungen, über ihre eigenen Reihen hinaus eine beträchtliche Anzahl von Menschen auf die Straße zu bringen. Hier in Leeds und Wakefield haben wir ihnen das ganz schön vermasselt, bei rechten Mobilisierungsversuchen um Hotels herum, hat sich bei jeder Gelegenheit erwiesen, dass wir viel stärker sind. Wir haben es geschafft, sie wirklich zu stören. Zum Beispiel haben sie einen geplanten Protest im November abgesagt – es war ziemlich offensichtlich, dass sie von dem Ausmaß unserer Gegenmobilisierungen eingeschüchtert waren.
Welche Rolle spielen Verschwörungstheorien in rechtsextremer Hetze gegen LGBT+ Personen?
Einige der Leute, die über Covid in die Verschwörungstheorien hineingezogen wurden, waren ein leichtes Opfer für die extreme Rechte. Antisemitische Verschwörungen sind der Dreh- und Angelpunkt rechter Feindbilder, und finden sich insbesondere auch in der so genannten gender-kritischen Bewegung. Ein Beispiel sind die Angriffe auf George Soros und jede Finanzierung, die er für LGBT+-Rechte und LGBT+-Kampagnen bereitstellt. Und auch, weil LGBT+ Rechte und Transrechte im Besonderen subversiv gegenüber dem Bild der traditionellen Familie sind, läuft der rechte Hass gegen LGBT+ Personen parallel zu rassistischen Verschwörungstheorien, wie der des Großen Austauschs. Sie haben diese große Angst der Unterwanderung, für Rechtsextreme läuft es immer darauf hinaus, dass „die Juden dahinterstecken“ – das ist leider sehr gefährlich.
„Niemand kann frei sein, solange es nicht alle sind.“ Was gewinnen wir, wenn wir antiimperialistische und antifaschistische Bewegungen mit den Kämpfen für LGBT+ Befreiung vereinen?
Als Marxisten argumentieren wir, dass es keine natürliche Empathie zwischen unterdrückten Gruppen gibt. Leider gibt es rassistische Frauen und homphobe oder transphobe Schwarze, das ist uns natürlich bewusst. Genau deshalb braucht es aber praktische Solidarität und den Aufbau der breitestmöglichen Einheitsfront gegen Unterdrückung. Tatsächlich ist es entscheidend, dass wir aktiv alle unterdrückten Gruppen dazu ermutigen, sich gegen Herrschaft aufzulehnen. Wir stehen sogar an der Seite von Menschen, mit denen wir ideologisch nicht unbedingt übereinstimmen, zum Beispiel weil sie von der Identitäts- oder der Privilegientheorie beeinflusst wurden. Aber wir stehen zusammen, weil die Rechte sie und uns gleichermaßen angreift. Das ist eine bedingungslose Unterstützung, aber sicherlich keine unkritische. Über die Wurzeln der Islamophobie, der Transphobie und so weiter muss man diskutieren und aufzeigen, dass diese Unterdrückung wesentlicher Bestandteil der politischen Ökonomie des Kapitalismus ist. Dadurch kann sie nicht einfach ignoriert oder durch Aufklärung beseitigt werden. Bei Fragen des Geschlechts und der Sexualität geht es darum, wie im Kapitalismus die nächste Generation von Arbeitskräften produziert wird, die Familie spielt somit eine ideologisch und politisch zentrale Rolle. Das gilt auch für Rassismus und Sexismus. Derzeit arbeiten Donny Gluckstein und ich an einem Artikel über dieses Thema. „Die politische Ökonomie der Unterdrückung“ wird hoffentlich demnächst erscheinen. Der Ausgangspunkt ist die Solidarität mit allen Unterdrückten, ein Angriff auf einen ist ein Angriff auf alle.