Kathrin Weßling: Super, und dir?
„Etwas funktioniert nicht mehr, und dieses Etwas bin ich“ – das auszusprechen, in unserer modernen, durchgeplanten Arbeitswelt, in der kein Unterschied mehr besteht zwischen Freizeit und Job und ständige Selbstoptimierung zur selbstverständlichen Qualifikation wird, das passt irgendwie nicht. Genauso wenig wie Drogenprobleme oder Müdigkeit. Es ist eben immer alles „super“.
Bei Marlene, der Protagonistin in Kathrin Weßlings neuem Roman Super, und dir?, ist es das meistens. Und wenn nicht, dann hilft sie einfach ein bisschen nach: Ritalin für die Konzentration, Koks zum Wachwerden und Speed, um den Tag zu überstehen. Der Arzt verschreibt Antidepressiva. Jeder Rest Zweifel lässt sich mit einem glücklichen Selfie auf Facebook vertreiben, das Zusehen der steigenden Like-Zahl zeigt: Die Anderen finden es super, dass es mir super geht!
Und eigentlich ist Marlene ja auch wirklich glücklich. Sie hat einen tollen Freund und mit ihrem hart erarbeiteten 1,1-Abitur und dem in Regelstudienzeit abgeschlossenen Marketing-Studium hat sie ihren Traumjob bekommen. Als Volontärin betreut sie den Firmenauftritt in den Sozialen Medien und koordiniert unbezahlte Kooperationen mit Bloggerinnen.
Jeden Tag sitzt sie mit ihrer Kollegin in ihrem engen, fensterlosen Büro (genannt „der Schlauch“); wer von beiden den Job letztendlich bekommt, wird Chef Stefan entscheiden, wenn er weiß, wer die „Bessere“ ist. Klingt doch fair, oder? Da bleibt man gerne mal länger, verzichtet auf die Mittagspause und unterhält sich bei einem „After-Work-Drink“. Denn „nach dem Büro ist im Büro“, auch mal 70 Stunden die Woche. Aber natürlich alles freiwillig, alles flexibel.
Mit dem ständigen Zwang, sich für die die eigene Verwertung auf dem Arbeitsmarkt zu perfektionieren, um ein wertvolles Mitglied der Gesellschaft zu sein, wird Privatleben zum Fremdwort. Nichts wird „einfach nur so“ gemacht. Yoga gegen die Anspannung und im Fitnessstudio heißt es: „Du machst keinen Sport, du machst dich glücklich“. Eine App kontrolliert das Ganze.
Kathrin Weßling schafft einen Sog, der mit jedem Satz an Wirkung zunimmt. So wie Marlene sich immer mehr in einem Netz aus Drogen, Lügen und Verzweiflung verliert, so werden auch die Leser_innen immer tiefer in diesen Teufelskreis neoliberaler Absurdität gezogen. Jede Sekunde rechnet man mit dem Zusammenbruch der Protagonistin, wartet auf Risse in ihrem Tarnanzug aus Funktionalität.
Wohin uns 12-Stunden-Tag und massive Kürzungen von Sozialleistungen bringen, führt Weßling ebenso schmerzlich wie realistisch vor Augen. „Lächeln, winken – und zur Arbeit gehen“, weiter die Präsentation halten, die das eigene Leben ist, immer am Handy, immer beschäftigt wirken – bis zum Burnout.