Kid Pex: „Es gibt keine Gnade“
Was macht die SOS Balkanroute?
SOS Balkanroute entstand spontan. Wir hatten Kontakt mit deutschen Aktivisten, die damals im bosnischen Horror-Camp Vucjak auf der Müllhalde neben Minenfeldern aus dem Jugoslawienkrieg halfen. Anfangs waren wir noch naiv und dilettantisch. Aus einem Pickup und einem VW-Bus wurden mittlerweile 50 LKW-Hilfstransporte nach Bosnien und eine starke Initiative, die sich für einen menschenwürdigen Umgang für Flüchtlinge einsetzt. Der Winter wird ein Horror, da brauchen wir dringend wieder Hilfe! Unser Ziel ist letztlich die Aufnahme der Schutzsuchenden in der EU.
Diese Menschen konnten wegen Grenzschließer wie Sebastian Kurz nicht mehr vor und zurück. Ihr habt ja viele Augenzeugenberichte über die Versuche zur Weiterreise. Die Betroffenen nennen das Unterfangen „the Game“.
Ja, der Begriff stammt von den Geflüchteten und der Begriff „das Spiel“ ist absurd. Beim Versuch die Grenzen zu überwinden werden die Menschen von der kroatischen Polizei – Schlägertrupps – schlimm misshandelt und illegal zurück abgeschoben. Dann versorgen die gestrandeten Verzweifelten ihre Wunden und versuchen wieder ihr Glück. Es gibt keinen anderen Weg, es gibt auch keine Gnade für Schwangere, Kinder oder Alte. Bosnien ist die Lagerstätte für Probleme der EU, mit denen sie sich nicht konfrontieren will.
Was sind das für Menschen, die vor Ort mit euch kooperieren und Flüchtlingen helfen?
Das sind sehr bewundernswerte einfache Menschen, die selbst kämpfen müssen angesichts der eigenen schlechten Lage und dem gesellschaftlichen Umfeld. Es gibt zum Beispiel eine Oma, eine arme Bäuerin, die den von der Polizei blutig geschlagenen Flüchtlingen nach brutalen Pushbacks hilft. Die Unterstützenden da wie dort sind vor allem Frauen. Oft sind es muslimische Frauen mit Kopftuch, die von denen da oben selbst rassistisch verurteilt werden.
Wir haben uns an ihnen orientiert, denn sie kennen sich am besten aus. Wir haben nicht die Attitüde, dass wir vom Westen alles wissen und sagen, wo es lang geht. Wir konnten diese Frauen durch das Gewicht, welches wir im Laufe der Zeit bekamen, stärken. In allen wichtigen Positionen sind ja echte Patriarchen und jeder weiß: Wir halten für diese Helferinnen unsere Hand ins Feuer und verwehren uns gegen die Kriminalisierung von Flüchtlingshilfe.
Am Weltflüchtlingstag habt ihr mit Partner-Organisationen wieder Beweise für Menschenrechtsverletzungen an österreichische Politiker_innen übergeben. Zum letzten Mal, warum?
Weil wir enttäuscht über den Umgang der Politik sind. Im Vorjahr haben wir der Justizministerin Alma Zadic die Beweise des Border Violence Monitoring Network über die Grenzgewalt gegen Schutzsuchende an der kroatischen Grenze übergeben. Damals hatten wir Hoffnung, aber die Gewalt hat sich im nächsten Jahr verdoppelt.
Heuer übergaben wir zusammen mit dem Border Violence Monitoring Network die 2 Bände Black Books of Pushbacks mit 900 Zeugenaussagen und 13.000 dokumentierte Grundrechtsverletzungen an die Menschenrechtssprecherinnen von ÖVP, Grüne und Neos sowie Nurten Yilmaz, die engagierte Integrationssprecherin der SPÖ. Bei der Pressekonferenz berichteten die Schwestern Amina und Merdijja Kobilica aus erster Hand. Jetzt ist Schluss, alle wissen Bescheid. Trotzdem gibt es keinen Stopp der Menschenrechtsverletzungen. Es bleibt also die Verantwortung dafür.
Es sind viele Flüchtlinge aus Afghanistan am Balkan gestrandet und wissen nicht wie weiter. Was ist deren Perspektive nach der US-Niederlage in Afghanistan jetzt?
Sehr viele von den Schutzsuchenden sind aus Afghanistan. Im wilden Familiencamp in Velika Kladuša, einer bosnischen Grenzstadt, leben viele afghanische Familien in den Wäldern oder in Abbruchhäusern. Wir waren mit der Sozialistischen Jugend und mit Nonnen vom Franziskanerorden von der Schmerzhaften Mutter dort. Wir haben dort sehr gebildete Menschen getroffen, die sich sehr leicht integrieren könnten.
Wir brauchen offene Grenzen und Familienzusammenführungen für die dahinvegetierenden Menschen. Die Kinder haben keinen Schulunterricht, die Eltern sind hoffnungslos. Die einzige Hilfe, die wahrhaftig ankommt, ist die von kleinen NGOs wie unserer und das dank der bosnischen Hilfsnetzwerke, die dort täglich aktiv sind. Dass drei Autostunden von Österreich weg Familien und Kinder in derartigem Elend leben müssen, ist für uns – egal wie oft wir in Bosnien sind – erschütternd.
Was ist mit Innenminister Nehammers Hilfe vor Ort und internationalen Abkommen?
Es gibt keine Hilfe vor Ort wie Innenminister Nehammer gerne vorgaukelt. Es geht ihm ums Abschieben, nicht um Menschen. In Griechenland ist das evident, weil es eine große Inszenierung gab. Alle wissen, bei den Menschen kommt nichts an. In Bosnien haben wir auch mit der grünen Abgeordneten Ewa Ernst-Dziedzic bei den Bürgermeistern und Regionalpolitikern nachgefragt. Keiner weiß, wo das Geld hinkam und keiner hat Interesse, daran was zu ändern. Die österreichische Botschaft behauptet, es sei an die Internationale Organisation für Migration geflossen, wo laut Berichten die miesesten Bedingungen herrschen.
Du kommst ja auch aus Ex-Jugoslawien und hast Fluchterfahrung. Ist das eine besondere Ebene die dich verbindet?
Ja, ich bin mit meiner Familie halb Kriegs- und halb Wirtschaftsflüchtling. Zagreb wurde zwar bombardiert, aber nicht so schlimm wie anderswo. Mein Vater hätte zur Armee müssen und wollte nicht in den Krieg. Eine Generation an Männern wurde als Spielball der Kriegstreiber missbraucht. Sie bilden jetzt den traumatisierten und kaputten Teil einer Gesellschaft, in der Waffen- und Kriegsprofiteure noch immer die Nachfolgestaaten dominieren.
Meine Verbundenheit mit den Menschen dort, vor allem mit den mutigen Frauen, ist eine Reise in die Vergangenheit. Für mich sind sie die letzten Mütter Europas. Sie übernehmen Verantwortung für etwas, wofür nicht sie verantwortlich sind und sind die Einzigen, die die europäische Menschenrechtskonvention verteidigen. Der Krieg und die Massaker konnten nicht alles Gute in den einfachen Menschen umbringen.
Du warst heuer bei dem von Esra Özmanin und Herwig Zamernik kuratierten Popfest künstlerisch und politisch präsent. Was machst du musikalisch neben deinem Engagement?
Ich hatte wenig Zeit für die Musik. Den ersten Lockdown habe ich dann genutzt und einen in der Zeit entstandenen Song, Nazis mit Def Ill, Fuchs MC und dem ehemaligen Falco- und Dradiwaberl-Musiker Bernhard Rabitsch.
Dass es beim Popfest um Haltung ging, hatte natürlich mit Esra zu tun. Wer an den Hebeln sitzt, entscheidet auch in der Kulturszene, ob man sich was traut. Ich war immer ein Netzwerker und habe gerne zusammengearbeitet. Es geht auch darum, andere nach vorne zu lassen und die Bühne zu teilen. Ich brauch den ganzen Zirkus, das ist meine Familie. Vielleicht nennt mich Rabitsch deshalb den Stefan Weber des Rap. Es wird demnächst noch einiges kommen!
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