Kulturtipps: Starke Frauen machen Geschichte

Karin Wilflingseder besuchte eine sehr gelungene Ausstellung im Wiener Volkskundemuseum über die Institution der Frauenhäuser und ging beim Wiener Frauenspaziergang durch Ottakring mit.
24. Mai 2018 |

Die von Petra Unger entwickelten Frauenspaziergänge sind trotz einer spannenden Fülle an Geschichten ein kurzweiliges Vergnügen. Bedeutenden Frauen lebten als Arbeiterinnen, Künstlerinnen und politische Kämpferinnen über Jahrhunderte bis heute überall in Wien. Petra Unger ist eine von ihnen und zeigt kurzweilig das Wirken ihrer Vorgängerinnen. Die Feministin ist Begründerin der Wiener Frauenspaziergänge und eine ihrer Routen führt durch Ottakring. Die feministische Stadtvermittlerin hat penibel über Pionierinnen recherchiert und präsentiert die spannenden Erkenntnisse wunderbar lebendig.

Wien hatte im Jahr 1850 etwa 600.000 Bewohner_innen, 50 Jahre später lebten hier schon knapp 2 Millionen Menschen. Die Industrialisierung lockte Arbeitssuchende in die Ballungsgebiete. Am Ende des 19 Jahrhunderts verfügten aber nur vier Prozent der Menschen in Ottakring über ein eigenes Zimmer!

Unger beschreibt eindrücklich die ungesunden Arbeitsbedingungen und feiert den Kampf der Textilarbeiterinnen 1893. Kollektiv streikten sie für bessere Löhne, Arbeitsbedingungen und bekamen dazu auch Selbstbewusstsein. Eltern rieten den Söhnen damals, eine der vielen radikalen Arbeiterinnen zu heiraten, denn diese könnten wegen ihrer erfolgreichen Arbeitskämpfe eine Familie ernähren.

Rotes Wien

Petra Unger erklärt vor den Gemeindebauten mit den Namen wichtiger Sozialdemokrat_innen und Künstler_innen den enormen Auf- und Umbruch im „roten Wien“. Einer der fortschrittlichen Gemeindebauten in der Wattgasse trägt den Namen der Gewerkschafterin Wilhelmine Moik.

In der Arbeiter-Zeitung vom 27. April 1931 polemisierte Moik anlässlich des Muttertages gegen das geplante Sparpaket der konservativen Regierung: „Mütter! In Hinkunft sollt ihr eure Kinder nicht mehr durch 26 Wochen stillen, weil Mehrleistungen der Krankenkassen abgebaut werden müssen. Zwölf Wochen Stillprämien genügen […] Die Kinderambulatorien der Krankenkassen sollen gesperrt werden. Was braucht ihr wegen jeder Kleinigkeit, die einem eurer Kinder fehlt, gleich ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen? […] Wenn ihr selbst oder eure Männer erkranken, sollt ihr erst am vierten Krankheitstag das Krankengeld bekommen. Ist es denn zu rechtfertigen, dem Kranken schon vom ersten Krankheitstag geldliche Hilfe zu gewähren? Könnte dies nicht der Anreiz zu öfteren Erkrankungen werden?“

1893: Streik der Textilarbeiterinnen für höhere Löhne: Lauthals demonstrierten sie vor der Fabrik Carl Biehlers © Foto: ÖNB/Kollarz

Dies erinnert unweigerlich an die jetzige Regierung. Petra Unger empfehle ich auch deshalb, weil sie neben soliden Fakten und präzisem Fachwissen auch immer wieder die Verbindung ins Heute zieht. Sie erinnert an die Finanzierbarkeit von Sozialbauten und Frauenförderungsprojekten, argumentiert den Wert der fragilen Demokratie.

Dazu braucht sie wenige Worte, denn die Route ist ein gut gewählter Mix. Ihr Frauenspaziergang umfasst das Erinnern an die Toten des Bürgerkriegs im Arbeiterwohnheim 1934, das Friedensdenkmal für das Mädchen Sadako aus Hiroshima, sowie *peppa, das interkulturelle Mädchenzentrum für Mädchen und junge Frauen.

Am Anfang war ich sehr verliebt

Ohne erhobenen Zeigefinger begeistert die Ausstellung „Am Anfang war ich sehr verliebt“ anlässlich des 40-jährigen Jubiläums der Frauenhäuser. In Österreich galt bis Ende der 1960er Jahre das im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch von 1811 festgeschriebene Familienrecht und häusliche Gewalt galt als Tabuthema.

Ausgehend von den politischen und gesellschaftlichen Umbrüchen der 1970er Jahre, zeigt eine großartige Ausstellung die Entstehung der Wiener Frauenhäuser und zeichnet die Entwicklung der psychosozialen Arbeit mit gewaltbetroffenen Frauen und ihren Kindern bis heute nach.

Am 27. April 1978 wurde der Verein Soziale Hilfen für gefährdete Frauen und ihre Kinder durch fortschrittliche Sozialdemokrat_innen gegründet. Als Vorreiterinnen kämpften Johanna Dohnal und Irmtraud Karlsson für das Projekt. Sie hatten in der damals dynamischen Frauenbewegung ihre wichtigen Verbündeten. Im November 1978 öffnete endlich das erste Frauenhaus in der Wiener Liechtensteingasse.

Wenn Liebe weh tut

Audiodateien, Tätigkeitsberichte, Kinderzeichnungen, Bilder und andere Ausstellungsstücke geben einen genauen und lebendigen Einblick. Deutlich spürbar wird die Notlage einer ins Frauenhaus Geflohenen beim Blick auf deren schnell gepackten Habseligkeiten oder bei den an die Wand projizierten Textnachrichten eines Peinigers. In Interviews berichten Frauen von ihren Gewaltgeschichten und ihrem Alltag im Frauenhaus, aber auch von Empowerment und dem Weg in ein selbstständiges und gewaltfreies Leben.

Die Ausstellung thematisiert den Umgang der Mitarbeiterinnen mit den Belastungen. Die im Museum nachgebaute „Sicherheitsschleuse“, der Eingangsbereich der Frauenhäuser, war für viele Frauen das Ende ihres Leidensweges und ein Aufbruch in ein neues Leben. Die Ausstellung endet aber mit der Frage, warum Frauen in Gewaltbeziehungen bleiben. Mit einem Spiegel wird diese Frage an die Besucher_innen zurückgespielt und gefragt: Was hält man selbst „für die Liebe“ aus?

Die FPÖ ist wenig überraschend empört darüber, dass Frauen einen Ort haben, in den sie vor häuslicher Gewalt fliehen können. „Mittlerweile sind Frauenhäuser an der nachhaltigen Zerstörung von Ehen und Partnerschaften maßgeblich beteiligt“, argumentierte die Amstettner FPÖ breits vor Jahren. Wie notwendig Frauenhäuser nach wie vor sind, zeigen die aktuellen Zahlen: im Vorjahr fanden in den Wiener Frauenhäusern um 60 Prozent mehr Frauen Schutz und Hilfe als vor 20 Jahren.

Ausstellung „Am Anfang war ich sehr verliebt ...“ bis 30.09.2018 im Volkskundemuseum (Laudongasse 15–19, 1080 Wien).

Infos zu den Wiener Frauenspaziergängen: frauenspaziergaenge.at