LGBT-Rebell_innen machen Geschichte!
Erhobenen Hauptes ist Conchita Wurst allen rechten Unkenrufen zum Trotz beim Songcontest zur gefeierten Siegerin geworden. Sie ist ein stolzer Teil der LGBT-Community, die in allen großen Protestbewegungen der letzten Jahre integraler Bestandteil und oft ein Prüfstein für die moralische und politische Beschaffenheit dieser Bewegungen war.
Lesben, Schwule und Transsexuelle stellten sich mutig in die Mitte der Gezi-Proteste in der Türkei. „Wir waren vom ersten Tag an hier, als die Bulldozer kamen“, erzählte ein junger Homosexueller. Die gesamte Bewegung war ein Anziehungspunkt für Unterdrückte. Kurd_innen, Armenier_innen, Linke und LGBT-Aktivist_innen haben gemeinsam den Widerstand geprägt.
Die LGBT-Bewegung war auch ein wichtiger Teil des Widerstands gegen den Putsch in Honduras im Jahr 2009. Die brutalen Hassmorde, die oft von Polizisten oder Militärs verübt werden, hatten seit dem Putsch zugenommen. Die Community begann sich zu wehren. „Die LGBT-Community hat für eine Revolution innerhalb der Revolution gesorgt“, berichtet Fernando Reyes von der Gruppe Diversitätsbewegung im Widerstand. „Innerhalb der Widerstandsbewegung, die ja nun auch aus Menschen besteht, die in Honduras in einer machistischen, trans- und homophoben Gesellschaft aufgewachsen sind, werden Homosexuelle und Transsexuelle heute als politische Subjekte wahrgenommen. Es herrscht ein unglaublicher Respekt.“ Der Dokumentarfilm „En mis tacones“ (Auf meinen Highheels) zeigt die transsexuelle Lebensrealität nach dem Putsch.
Transgender gegen den Adel
Während des gesamten Mittelalters bis hin zum frühen industriellen Kapitalismus spielten Transsexuelle und der Transvestismus eine wichtige Rolle bei vielen sozialen und politischen Rebellionen gegen die Klassenherrschaft. 1630 griffen zum Beispiel die „Mère Folle“ (närrische Mutter) und ihre Truppe die königlichen Steuerbeamten in Dijon an. In Wiltshire des Jahres 1631 lehnten sich die Bäuer_innen gegen die Einzäunung öffentlichen Landes auf. Angeführt wurden sie von in Frauenkleidern gehüllte Männer, die sich oftmals „Lady Skimmington“ nennen ließen. 1812 führten zwei als Frauen gekleidete Weber, genannt „die Frauen des General Ludd“, eine Menschenmenge bei der Zerstörung von mechanischen Webstühlen und Fabriken in Stockport an. Die walisischen Aufstände der 1830er- und 1840er-Jahre gegen Wegzölle und andere Steuerabgaben wurden von „Rebecca“ und anderen Transvestiten angeführt.
Die Siege der Jeanne d’Arc befreiten Frankreich aus der englischen Besatzung. In dieser Zeit erschütterten Bäuer_innenrevolten – darunter der bedeutende Volksaufstand, der die „Revolte der Jacquerie“ genannt wurde – den europäischen Feudalismus. Als Jeanne von den Burgundern, die mit den englischen Feudalherren verbündet waren, gefangengenommen wurde, verweigerte der französische Adel die Lösegeldzahlung. Als militärische Führerin einer populären Bewegung der Bäuer_innen, hätte sie zur Bedrohung für die feudale Adelsklasse werden können. Mit 19 Jahren wurde Jeanne d’Arc von der katholischen Inquisition im Jahre 1431 auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Sie weigerte sich trotz Angebot auf Strafmilderung damit aufzuhören, sich als Mann kleiden. 1920, fast 500 Jahre später, wurde Jeanne d’Arc vom Vatikan zur Heiligen erklärt, da die Kirche kurz nach der russischen Revolution und im Zuge weltweiter revolutionären Umstürze eine populäre Figur brauchte.
Erkämpfte Rechte
Die erste gesetzliche Legalisierung von homosexueller Liebe wurde 1791 im Umwälzungsprozess der Französischen Revolution verabschiedet.
Die Russische Revolution wurde zu einem Festival der Unterdrückten. Erstmals legalisierten die Bolschewiki gleichgeschlechtliche Liebe, Schwangerschaftsabbruch wurde kostenlos, Scheidungen wurden erleichtert, ledige Kinder gesetzlich gleichgestellt und dergleichen. Der Erste Weltkrieg war zu Ende, die Revolution hatte die bürgerliche Moralordnung mit sich gerissen. Das neue Russland inspirierte revolutionäre Bewegungen überall auf der Welt.
Als in Deutschland der Kaiser verjagt war, erlebte die neu entstandene Weimarer Republik sexuelle Freiheit. Nach dem Ersten Weltkrieg entstanden in vielen Städten Freundschaftsvereine für Homosexuelle. Die Emanzipationsbewegung hatte ihren Anfang schon im niedergehenden Kaiserreich. 1897 hatte sich in Berlin das Wissenschaftlich-humanitäre Komitee um Magnus Hirschfeld gegründet und leistete wichtige Aufklärungsarbeit. Der Reformismus aber siegte über die Revolution. Mit der bisher größten Krise des Kapitalismus wuchsen die Faschisten in den 1930er-Jahren an. Die Machtergreifung der Nazis brachte den Terror. Von widerlichen „Umerziehungsmaßnahmen“ über Kastrationen bis hin zu unmenschlichen medizinischen Versuchen mussten Homosexuelle in den KZs alles über sich ergehen lassen.
Polizeiterror und Streik
In den 1960er-Jahren des letzten Jahrhunderts formierte sich eine atemberaubende, neue Bewegung. Als 1969 die Straßenkämpfe mit der Polizei beim Stonewall Inn in der New Yorker Christopher Street um die Welt gingen, war dies ein erfreulicher Schock, eine Inspiration für Diskriminierte. Zu sehr hatten sich die Bilder von passiven und versteckten Trans- und Homosexuellen bereits etabliert. Schwarze, Latinos und Queers aus der Arbeit_innerklasse kämpften eine Woche erfolgreich gegen Polizeirepression. Kampfrufe wie „We’re the Pink Panthers“ und „Gay power“ zeigten die Verbindung zur antirassistischen Black Panther-Bewegung. Stonewall wurde zum Symbol einer neuen Widerstandsbewegung, aus der unter anderem auch die Regenbogenparade entstand. Die sozialistische Gay Liberation Front (GLF), die erste Organisation, die das Wort „Gay“ im Namen trägt, orientierte sich an der vietnamesischen Widerstandsbewegung gegen die US-Besatzung. Die 1968er-Bewegung erkämpfte viele Rechte. Seit dem Stonewall-Aufstand sind LGBT-Menschen sichtbarer denn je, ob in Discos oder auf der Straße.
Als in England die neoliberale Thatcher-Regierung die Arbeiter_innenbewegung angriff, kam es zum heroischen Bergarbeiterstreik 1984/85. Der lange Kampf konnte nur durch eine Welle der Solidarität ausgestanden werden.
Ideologie und Religion
Dass uns die sexistischen Ideen und Vorurteile in unserer Gesellschaft als schon ewig bestehend vorkommen, hat auch heute eine wichtige Funktion. Alle Ideen, die den Glauben an die Unveränderlichkeit der jeweiligen Gesellschaftsform stärken, werden durch die herrschende Klasse gefördert, da sie natürlich das größte Interesse am Erhalt des Status Quo hat.
Leslie Feinberg, aktiv für Transgender Liberation, schreibt: „Vor der Aufteilung der Gesellschaft in Klassen verbanden die alten Religionen gemeinsam geglaubte Ansichten mit materiellen Beobachtungen über die Natur. Das Christentum als Massenreligion hatte seinen eigentlichen Ursprung unter den Armen der Städte des römischen Reiches, und nahm auch Elemente des Kollektivismus und einen Hass gegen eine reiche herrschende Elite in sich auf. Doch über mehrere hundert Jahren hinweg verwandelte sich das Christentum von einer revolutionären Bewegung der städtischen Armen in eine mächtige Staatsreligion, die den Interessen der Reichen diente. Transgender in all seinen Ausprägungen wurde zum Feindbild.“
Überall beendete Kolonialisierung die sexuelle Vielfalt mit dem christlichen Moralkontext der Imperialisten. Die Gay American Indians (GAI) dokumentierte alternative Rollen für Männer und Frauen in über 135 verschiedenen Nationen der nordamerikanischen Ureinwohner_innen. Die vielen transsexuellen Frauen und Männer bei den Ureinwohner_innen wurden von den Kolonialisten „Berdache“ (Halbmann, Halbfrau) genannt. Ein Jesuit schrieb 1670 über die Berdache: „Sie werden zu jeder Ratssitzung gebeten, und nichts darf ohne ihren Zuspruch beschlossen werden.“ Barcheeampe, die berühmteste Crow-Kriegerin, hatte mehrere Ehefrauen und viele Lieder lobten ihre Tapferkeit. Sie war Dritthöchste in der Rangordnung der 160 Stammeshäuptlinge des Nationalrats der Crow. Wewha, ein Mitglied des Stamms Zuni, war sechs Monate in Washington DC und traf den Präsidenten Grover Cleveland und andere Politiker_innen, die nicht merkten, dass sie eine Berdache war.
Rollenmuster nicht natürlich
Die Anthropolog_innen des 20. Jahrhunderts erkennen die Tatsache an, dass kommunale, nach dem Mutterrecht organisierte Gesellschaften in einem frühen Stadium der sozialen Entwicklung überall auf dem Globus existierten. Oft standen Frauen den „Gens“ oder Clans als Oberhäupter vor und das heutige Familienbild war nicht existent.
1861 veröffentlichte Johann Bachofen sein berühmtes Buch Das Mutterrecht, eine wissenschaftliche Abhandlung über die Familie als sich entwickelnde soziale Einrichtung. Lewis Henry Morgan, einer der Gründer_innen der Anthropologie, schrieb 1877 sein bedeutendes Werk Ancient Society (Die Urgesellschaft) – eine ausführliche Studie kommunaler Gesellschaften mit ihren Verwandtschaftssystemen. Heute zum Teil überholt, waren diese Werke damals revolutionär.
Die Studien von Bachofen und vor allem von Morgan waren auch die Basis für Friedrich Engels 1884 erschienenes Buch Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates. Für Engels waren die neuen Erkenntnisse auch Beweis dafür, dass die Unterdrückung der Frau ihren Ursprung in der Aufspaltung in Klassengesellschaften hatte. Der moderne Mensch lebte über 90 Prozent der über 100.000 Jahre seiner Existenz ohne Diskriminierung.
Engels argumentierte mit Karl Marx, dass die Abschaffung des Privatbesitzes zugunsten kommunaler Eigentumsformen die Grundlage für eine Revolutionierung zwischenmenschlicher Beziehungen bilden würde. Marx berühmter Satz „Das gesellschaftliche Sein bestimmt das Bewusstsein“ erklärt, dass die gesamten materiellen Lebensumstände und Lebensbedingungen unsere Vorstellung und Moral prägen. Was uns heute „natürlich“ vorkommt, kann zu anderer Zeit als unnatürlich gelten. Unterdrückung und Rollenmuster ändern sich in der Geschichte. Vor allem Revolutionen und Massenbewegungen können eben noch akzeptierte, herrschende Ideologien auf den Misthaufen der Geschichte verbannen.
Echte Solidarität zwischen unterdrückten und ausgebeuteten Menschen kann echte Befreiung erkämpfen. LGBT-Aktivist_innen sollten Teil jeder progressiven Bewegung sein und den Reaktionären das Fürchten lehren. Regenbogen und Revolution gehören zusammen!