Linke auf Rechtskurs

Der Aufstieg der extremen Rechten desorientiert die Linke. Der Trend ist, dem gesellschaftlichen Druck nach rechts nachzugeben, anstatt sich ihm zu widersetzen. Dieser Trend findet auch in der Linken statt, bspw. beim Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) oder George Galloways´ Workers Party in England. Wir sollten hingegen betonen, dass eine Kombination aus gesellschaftlich rechter Politik und pseudo-sozialer Wirtschaftspolitik keine Zukunft für die Linke ist. Auch wenn sie bei Wahlen erfolgreich waren.
24. Oktober 2024 |

Die Wahlen in Ostdeutschland – Thüringen, Sachsen, Brandenburg – genauso wie die Europawahl oder der Sieg der Workers Party über die englische Sozialdemokratie in Rochdale zeigen, dass diese Projekte parlamentarische Erfolge einfahren können. Sie setzten auf eine Doppelstrategie: Bei geopolitischen Themen stehen sie links, bei ökonomischen sind sie betont sozial: Gegen die NATO, gegen Waffenlieferungen, für höhere Renten und Löhne usw. Bei Themen wie Unterdrückung von homosexuellen und queeren Menschen, oder von Flüchtlingen, stehen beide Parteien weit rechts.

Ideologische Grundlage

Die ideologische Grundlage ihres Partei-Projekts formulierte Wagenknecht in ihrem 2021 erschienenen Buch „Die Selbstgerechten“. So schlecht das Buch ist, stehen doch einige vernünftige Sachen darin. Beispielsweise, dass hohe Posten in Politik und Medien nach identitätspolitischen Standpunkten immer diverser werden, nach Klassenstandpunkten aber immer abgeschlossener. In Chefetagen finden sich mehr Frauen oder Migrantenkinder, aber immer weniger Arbeiter:innenkinder. Die punktuell richtigen Beobachtungen müssen wir sehen, um die Wirkung von Wagenknecht auf viele Arbeiter:innen zu verstehen.

Bei Wagenknecht spielt der Interessengegensatz zwischen Arbeiter:innen und Kapital keine Rolle mehr. Sie träumt von den Familienbetrieben, wo Chef und Arbeiter:innen nach getaner Arbeit eine Feierabendhalbe trinken, während sie von Großkonzernen ausgenommen werden.

Die US-Politikwissenschaftlerin Nancy Fraser prägte im vergangenen Jahrzehnt den Begriff des „progressiven Neoliberalismus“. Damit meint sie, dass Teile des Kapitals, insbesondere Finanzunternehmen, Hightech-Sektor und Marketingagenturen, Themen wie Diversität und Multikulturalität als neue Akkumulationsfelder entdeckt haben. Finanzunternehmen organisieren Antirassismus-Schulungen, Hightech-Start-ups legen Wert auf sexuelle Vielfalt, die Europäische Zentralbank verlangt von neuen Mitarbeiter:innen den Klimawandel ernst zu nehmen, und Konzerne streiten sich um die besten Plätze auf der Pride. „Go woke not broke“ (lieber politisch korrekt als pleite) war der findige Marketingslogan dieses Trends.

Während bei Fraser klar ist, dass diese Tendenz nur Teile des Kapitals erfasst hat und außerdem eine Reaktion auf eine Linksverschiebung der Gesellschaft ist – das Kapital versucht ursprünglich widerständige Trends in sein System zu integrieren – versteht Wagenknecht das Kapital selbst als die treibende Kraft hinter dem Trend. Dadurch verkennt sie die Realität. Der jahrzehntelange Kampf um Gleichstellung, die noch immer vorhandenen diskriminierenden Gesetze, genauso wie der Hass von Rechtsextremen auf LGBTIQ+ Personen, das alles wird von ihr ignoriert.

Wagenknecht geht davon aus, dass die „Lifestyle-Linke vor allem für Haltung, nicht für Umsetzung gewählt wird“. Eines ihrer Beispiele ist, dass auch linke Regierungen die Grenzen nicht öffnen, sondern massenhaft abschieben. Anstatt hier die linke Kritik anzubringen, dass die solidarischen Worthülsen von Linkspartei und Grünen reine Heuchelei sind, macht sie das Gegenteil und fordert: Entsorgen wir die Solidarität gleich ganz und bekennen uns zum Abschieben. Dadurch verschiebt sie die gesellschaftliche Debatte weiter nach rechts.

DDR zur BRD Nostalgie

Oft tappen Linksradikale in die Falle und kritisieren Wagenknecht nur für ihre gesellschaftspolitischen Einstellungen, während sie ihre ökonomischen Positionen loben. Dadurch entsteht der Anschein, Wagenknecht wäre ökonomisch auf unserer Seite. Doch Wagenknechts Fundament ist nicht sozialdemokratisch, geschweige denn sozialistisch. Gewerkschaften und Arbeitskämpfe spielen in ihrem Buch wie auch in ihrer politischen Praxis keine Rolle. Während sich Wagenknecht bis zur Finanzkrise 2008 als soft-Stalinistin inszenierte und über die 1963 versuchte Reform der Planwirtschaft in der DDR diskutierte („Neue Ökonomische System der Planung und Leitung“) trat sie danach als Anhängerin der „sozialen Marktwirtschaft“ des CDU-Poster-Boys Ludwig Erhard auf.

Konsequent spielt der große Interessengegensatz zwischen Arbeiter:innen und Kapital in ihrem ökonomischen Weltbild keine Rolle mehr. Viel eher träumt sie von den Familienbetrieben, wo Chef und Arbeiter:innen nach getaner Arbeit eine Feierabendhalbe trinken, während sie von Großkonzernen ausgenommen werden. Gegen diese Großkonzerne tritt Wagenknecht an, nicht gegen den Kapitalismus.

Krieg und Frieden

So falsch die Strategie von Wagenknecht auch ist, sollten wir nicht den Fehler begehen, sie als Rechtsextreme zu beschimpfen. Der meistens sehr intelligente Sozialwissenschaftler Oliver Nachtwey bezeichnete das BSW in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung als „Vorfeldorganisation der AfD“. Diese Vereinfachung ist falsch, weil sie die Ablehnung der Unterstützung für die Politik der NATO und EU ignoriert. Ignoriert wird auch, dass das BSW kaum AfD-Wähler von sich überzeugen konnte – wofür es aber angetreten ist – sondern eher frustrierte SPD und CDU-Wähler:innen abholt. Insofern stoppt sie den AfD-Aufstieg nicht, sondern verlangsamt ihn nur.

Während sich Wagenknecht bis zur Finanzkrise 2008 als Soft-Stalinistin inszenierte und über die 1963 versuchte Reform der Planwirtschaft in der DDR diskutierte („Neue Ökonomische System der Planung und Leitung“) trat sie danach als Anhängerin der „sozialen Marktwirtschaft“ des CDU-Poster-Boys Ludwig Erhard auf.

In Kriegen sterben Arbeiter:innen für ein Vaterland, das ansonsten nur den Reichen hilft. Dass sich an dieser Regel bis heute nichts geändert hat, sieht man daran, dass in den hunderten Feuilletonbeiträgen deutscher Journalist:innen zu dem Thema, warum man Deutschland mit der Waffe verteidigen sollte, keinen einzigeen Autoren findet, der dies auch selbst tun würde. Viel eher erklären sie, es ist wichtig, dass es solche Männer gibt, aber für den Schützengraben sind sie zu feinfühlig. Dass tendenziell Menschen mit geringerem Bildungsniveau der westlichen Unterstützung für den Krieg in der Ukraine skeptischer gegenüberstehen als Menschen mit Universitätsabschlüssen, ist darum auch nicht Ausdruck einer Putin-Freundlichkeit, sondern eine vernünftige Einschätzung der Lage. Wenn Deutschland wieder Krieg führt, werden die körperlichen Arbeiter:innen, nicht die geistigen, sich im Schützengraben wiederfinden. Gerade darum war Kriegsgegnerschaft neben Antikapitalismus und Widerstand gegen Unterdrückung historisch das dritte Standbein der Linken.

Kontrast Palästina Ukraine

Verstärkend kommt noch hinzu, dass die Doppelmoral der westlichen Staatsraison zu offensichtlich geworden ist. Während die Ukrainer für Widerstand bis zum letzten Mann gefeiert werden, sollen sich die Palästinenser kampflos ergeben. Die Antikriegsrhetorik von Wagenknecht steht mit ihrem Beharren auf Diplomatie anstatt internationaler Solidarität zwar eher am Standpunkt der CDU der 50er-Jahre als auf jener der revolutionären Solidarität, doch auch das ist besser als Nichts. Wenn die Linke wieder erfolgreich sein will, muss sie bei diesen Themen wieder klar Stellung beziehen – gegen die Positionen der herrschenden Eliten in der EU und den USA.

Blick nach vorne fehlt

Zusammenfassend ist Wagenknechts Politik keine geeignete neue Strategie für eine Linke, die die Gesellschaft verändern will. Viel eher träumt sie davon, die Zeit zurückzudrehen. Ihr politisches Projekt will nicht die Zukunft erkämpfen, sondern die Vergangenheit, gegen die wir angetreten sind, bewahren. Darum versucht sie auch nicht die progressivsten Menschen und überzugtesten Kämpfer:innen für eine sozial gerechte Zukunft zu organisieren, sondern die Resignierten, denen eine Perspektive fehlt. Diese Perspektive müssen wir wieder erschaffen.