Lobau bleibt! Interview mit Alex Weidenauer

Die „Lobaubleibt-Bewegung“ fordert den sofortigen Baustopp der Stadtautobahn Aspern. Deswegen hält sie seit August 2021 ein angemeldetes Protestcamp in der Anfanggasse und besetzt zusätzlich mehrere Baustellen. Linkswende war vor Ort und hat mit dem Aktivisten Alex Weidenauer von System Change not Climate Change über die Bewegung gesprochen.
22. März 2022 |

Ein Argument, das ja in der öffentlichen Debatte zum Lobautunnel immer wieder ins Feld geführt wird, ist der Verkehr. Die SPÖ versucht das Großbauprojekt zu rechtfertigen, indem sie argumentiert, dass der Bau einer zusätzlichen Autobahn angeblich gut für das Klima ist, weil es dadurch „weniger Stau und Abgase“ gibt. Wie würdest du die verkehrstechnischen Auswirkungen des Lobautunnels einschätzen?

Das ist eigentlich ziemlich eindeutig und auch erstmal ne relativ banale Feststellung, dass mehr Straßen immer zu mehr Verkehr führen. Das Phänomen ist in den Verkehrswissenschaften extrem gut untersucht und heißt induzierter Verkehr. Wir Aktivist_Innen arbeiten ja auch eng mit Verkehrswissenschafter_innen wie Ulrich Leth oder auch Barbara Laa zusammen, die uns auch alle zeigen, dass der Bau der Stadtautobahn vor Ort auch zu mehr Verkehr führen wird.

Es ist Fakt, dass die Menschen, die kein Auto haben, also die sozial schwächer gestellten Haushalte, dann neben größeren Straßen wohnen und vor allem dann Lärm und Verschmutzung ausgesetzt sind. Auch das sind Bevölkerungsgruppen, die durch Autobahnen strukturell benachteiligt werden.

Das Projekt ist ja wirklich eins aus dem letzten Jahrtausend und schon zu Beginn der 2000er Jahre hat es da einen Bürger_innenbeteiligungsprozess gegeben, wo damals schon die derzeitige Straßenführung der Lobauautobahn als die schlechteste für Mensch und Natur bewertet wurde und trotzdem wurde an ihr festgehalten. Ich glaube das zeigt halt, dass von vorneherein nicht der Wille da war, auch mit der Bevölkerung vor Ort Politik zu machen.

Der Verkehr ist ja nicht das einzige, sehr fadenscheinige Argument der Stadt Wien, Bürgermeister Ludwig behauptet unter anderem ja auch, dass die Lebensqualität in der Donaustadt vom Bau des Lobautunnels abhängig ist. Insbesondere Arbeiter_innen, die auf den Autoverkehr angewiesen sind und Anreiner_innen sollten entlastet werden. Wer würde denn vom Bau der Stadtstraße Aspern und vom Lobautunnel wirklich profitieren?

Das ist natürlich ein extrem scheinheiliges Argument der Sozialdemokratie, die hier wirklich Klientelpolitik betreibt. Man kann natürlich zuallererst festhalten, dass es ein Privileg ist, in Wien ein Auto zu besitzen. 47 Prozent aller Haushalte haben kein Auto und das ist halt die soziale Dimension dieser Verkehrspolitik, die wir auch immer wieder versuchen stark zu machen und zu zeigen, dass ökologische und soziale Anliegen zusammenlaufen.

Das ist ein demokratiepolitischer Skandal, wie hier die SPÖ versucht, legitimen politischen Protest mundtot zu machen

Es ist auch ein Fakt, dass die Menschen, die kein Auto haben, also die sozial schwächer gestellten Haushalte, dann neben größeren Straßen wohnen und vor allem dann Lärm und Verschmutzung ausgesetzt sind. Also auch das sind Bevölkerungsgruppen, die durch Autobahnen strukturell benachteiligt werden. Da zeigen ja die Zahlen, dass in allen Bezirken, wo es einen guten öffentlichen Nahverkehr gibt, der Motorisierungsgrad auch sinkt. Also Menschen haben nicht von sich aus Lust, sich in diese Blechkarre zu setzen und dann im Stau zu stehen, sondern das liegt natürlich an dem strukturellen Rahmen und deswegen ist es auch Aufgabe der Politik diesen Rahmen klimapolitisch und sozial gerecht zu gestalten.

©Lobau Bleibt

Ministerin Gewessler hat den Bau des Tunnels ja offiziell abgesagt. Wie fix ist dieser Baustopp denn, welche anderen Bauprojekte müssen noch verhindert werden und warum ist es so wichtig jetzt weiterzukämpfen?

Erst Mal ist es natürlich super, dass die Lobauautobahn, zusammen mit dem Tunnel jetzt abgesagt wurde und das haben wir auch als historischen Erfolg gefeiert und ist auf jeden Fall unserem Protest und dem jahrzehntelangen Protest der Bürger_inneninitiative zu verdanken. Trotzdem ist die Absage natürlich nicht so fix, wie wir sie gerne hätten. Die Autobahn steht immer noch im Bundesstraßengesetz und hängt halt immer noch sehr eng mit der Person Gewessler zusammen. Das heißt, es ist schon möglich, wenn sie nicht mehr im Amt ist, dass dann die nächste Regierung entscheidet, die Autobahn doch zu bauen, und darauf baut ja grade so bisschen die Wiener Sozialdemokratie. Uns ist es halt ein Anliegen, klar zu machen, dass wir nicht jeden neuen Autobahnbau, durch eine Besetzung verhindern müssen, sondern es liegt uns daran, zu einem radikalen Umdenken zu führen, und da ist es vielleicht auch wichtig, sich noch einmal in Erinnerung zu rufen, warum wir eigentlich hier sind.

Brandanschlag auf Aktivist_innen:
In der Nacht vom 31. Dezember fand ein Mordanschlag auf das Lobauprotestcamp statt. Zwei unbekannte, vermutlich rechtsextreme Täter verwendeten Brandbeschleuniger, um eine zweistöckige Holzhütte, in der sich Aktivist_innen befanden, in Flammen zu setzen. Die acht jungen Aktivist_innen entkamen dem Tod nur knapp, weil sie zum Zeitpunkt des Anschlages um zwei Uhr morgens zufällig noch wach waren und rechtzeitig die Türe öffnen und dem Feuer entkommen konnten. Die Wiener SPÖ, die die Klimabewegung seit Beginn der Besetzung schikaniert und angreift, schaffte es nicht, sich eindeutig von dem Terrorismus zu distanzieren. So kommentierte etwa Bügermeister Michael Ludwig den Anschlag mit den Worten, dass er „auf jeden Fall ein Zeichen [sei], dass ein rechtsfreier Raum in einer Stadt nicht von Vorteil ist.“ Ähnlich empathisch reagierte auch ein sein Parteikollege Herbert Steyrer, der in einer geschlossenen Facebookgruppe wiederholt gegen die Bewegung hetzte. Unter anderem bezeichnete er den Mordanschlag als „super“ und ging sogar so weit einen „Orden für den Täter“ zu fordern. Die SPÖ stellt sich Seite an Seite mit Rechtsextremen, wenn sie Attentate relativiert und Jugendliche, die sie als ihre politischen Gegner ansieht, frontal attackiert und erniedrigt.

Klar, es geht um dieses lokale Straßenprojekt, dass das klimazerstörerischste Infrastrukturprojekt Österreichs ist, aber es geht uns vor allem um globale Klimagerechtigkeit, und da sagen uns halt auch die Zahlen und sagen uns die Scientists for Future, dass Österreich die Klimaziele nicht erreichen wird, wenn dieses Projekt umgesetzt wird und das bedeutet dann, dass wir auf drei, vier Grad Erderwärmung zusteuern und gegen Ende des Jahrhunderts 83 Millionen Klimatote haben, und das wollen wir auf jeden Fall verhindern.

Ihr habt ja auch schon wahnsinnig viel erreicht in dieser Zeit. Die Stadt Wien versucht extrem aggressiv dagegen zu arbeiten und euch mit Klagsdrohungen in Millionenhöhe einzuschüchtern. Schließlich sind dann zwei der Drohbriefe zurückgenommen worden, aber eben nur gegen die beiden jüngsten Aktivistinnen (die 14-jährige Rosa und ihre 13-jährige Kollegin aus dem Klimarat). Unzählige weitere Anzeigen stehen noch. Wie geht ihr mit dieser offenen Repression der Stadt um?

Das ist natürlich zu allererst Mal ein demokratiepolitischer Skandal, wie hier die SPÖ versucht, legitimen politischen Protest mundtot zu machen, und auch die Aussage ist natürlich extrem gefährlich in einer Demokratie, weil dann eben junge Menschen Angst haben müssen, sich politisch zu engagieren.

Dann muss man natürlich auch sagen, dass das Ganze auch zeigt, wie verzweifelt die SPÖ ist, und wie erst zu nehmen wir mittlerweile sind als Bedrohung und als ernst zu nehmende politische Akteure. Die Klagsdrohungen haben ja nicht nur Aktivist_innen bekommen, sondern auch Menschen von denen die SPÖ behauptet, dass sie mit dem Protest in Verbindung stehen, auch Menschen wie die Barbara Laa eben, Verkehrswissenschafterin oder auch Oliver Ressler, ein freier Künstler, also hier wird nicht nur die politische Versammlungsfreiheit, sondern eben auch die Wissenschaft- und Kunstfreiheit bedroht, und deshalb war es so wichtig, dass es auch diesen zivilgesellschaftlichen Aufschrei gab, mit der Gegenkampagne, mit der Petition, mit über 20.000 Unterschriften und die haben wir auch letzte Woche im Rathaus Ulli Sima überreicht.

Ja also die Politik hat ganz klar gezeigt, dass sie Klimaschutz und somit unsere Zukunft nicht ernst nimmt. Ihr leistet seit Monaten Widerstand, übt Druck auf die Verantwortlichen aus: Welche Erfolge habt ihr denn in dieser Zeit schon erzielt?

Was für Erfolge haben wir erzielt? Naja, viele von uns haben in ihrer politischen Laufbahn zum ersten Mal realpolitische Erfolge erzielt, eben mit der Absage der Lobauautobahn und ich glaube das gibt uns eben wirklich eine Geschichte, die uns unglaublich viel Kraft gibt für die weiteren Kämpfe, die wir führen müssen und führen werden, weil wir jetzt halt spüren, dass Aktivismus sich auszahlt und dass, wenn Menschen auf die Straßen gehen und wir uns organisieren, dass wir es dann schaffen für gerechte Politik einzutreten. Das heißt es geht einerseits um diese konkreten realpolitischen Erfolge und andererseits passiert hier natürlich extrem viel Wertvolles für die Bewegung, also Vernetzung, einerseits innerhalb der Klimagerechtigkeitsbewegung zwischen Gruppen, aber auch über die politische Bewegung hinaus, hinein in ganz andere politische Spektren.

In den fünf Monaten, die wir jetzt schon hier sind, sind eben auch viele neue Menschen hier angekommen, die davor eben noch nicht politisiert waren und die jetzt eben auch ein Teil der Bewegung sind und auch in Zukunft für eine klimagerechte und klimasoziale Welt eintreten werden.

Weil du gerade gesagt hast, es passiert ganz viel Vernetzung: Wie seid ihr eigentlich organisiert, wie trefft ihr Entscheidungen als Bewegung?

Ja, sehr gute Frage. Das Camp wurde ja gegründet und wird getragen von den vier Organisationen Jugendrat, Extinction Rebellion, System Change not Climate Change und Fridays for Future und darüber hinaus gibt es eben viele Menschen, die nicht in diesen Organisationen sind und sich auch beteiligen. Das heißt, es ist ein relativ breites Bündnis, zusammen eben auch mit den Bürger_inneninitiativen. Was man hier vor allem beobachten kann ist, dass es eben ein freier Raum ist, in dem radikale Selbstorganisierung stattfindet, das heißt alles muss selbst in die Hand genommen werden. Als zentrale Institution gibt es außerdem das Plenum, als basisdemokratischen Ort, an dem alle Menschen zusammenkommen und wo strategisch Entscheidungen getroffen werden.

Das Interview führte Lisa Hasenbichler
Freitag, 25. März 2022 ab 13:30 Uhr: Weltweiter Klimastreik #DontFuelWar #PeopleNotProfit