Marsch auf Rom – Die Sternstunde der ANTIFA

Am 28. Oktober jährt sich zum hundertsten Mal der Marsch auf Rom. Was im Nachhinein zum großen Staatsputsch hochstilisiert wurde, war in Wirklichkeit eine traurige Scharade und die bewusste Machtübergabe an die Faschisten durch einen Staat, der zitternd in Furcht vor der starken Arbeiter_innenbewegung zum letzten Mittel griff. Die antifaschistischen Kampftruppen der Arditi del Popolo hätten den Faschismus locker besiegen können, wären ihr die großen Arbeiter_innenorganisationen nicht in den Rücken gefallen.
13. Oktober 2022 |

28. Oktober 1922.
Etwa 4.000 schlecht bewaffnete Faschisten reisen im strömenden Regen an, um sich an der vorab inszenierten Machtübernahme Mussolinis zu beteiligen. Ohne Nahrung, Wasser und Zelte müssen sie vor den Stadtmauern aussitzen, denn da die Bahnhofsarbeiter_innen im Streik sind, schaffen sie es nicht einmal nach Rom hinein. Benito Mussolini selbst traut sich nicht zu erscheinen: In Stacheldrahtzäunen verbarrikadiert wartet er in Mailand auf das OK aus der Politik. Zu diesem Zeitpunkt waren der König, der Papst, die Wirtschaftsverbände, sowie Orlando, Giolitti und Salandra – die „starken Männer“ der italienischen Politik bereits mit einem faschistischen Ministerpräsidenten einverstanden.

Am 26. Oktober erreichte Mussolini ein Telegramm des Königs, welches ihn damit beauftragte, die neue Regierung zu bilden. Nicht etwa in Form eines übermächtigen Putschkommandos, sondern aus der Not heraus Unterschlupf und Nahrung zu finden, zogen die Faschisten am kommenden Morgen in die Stadt ein. Schätzungen zufolge nahmen nicht mehr als 15.000 Mann an diesem Aufmarsch teil, ihre Versuche in Arbeiter_innenviertel einzudringen wurden gnadenlos zurückgeschlagen.

Der Marsch auf Rom war ein immenser Bluff:

Weder gegen das italienische Militär – das zu jenem Zeitpunkt in Rom 12.000 Mann, Panzer und Luftstreitkräfte zählte – noch gegen die antifaschistischen Kampftruppen der Arditi del Popolo (ADP), die sie erst wenige Monate zuvor aus der Stadt gejagt hatten, hätten die Faschisten den Hauch einer Chance gehabt. Das war auch nicht nötig: Das Establishment hatte sie hereingebeten. Die neue rechtsextreme Regierungskoalition konsolidierte in den Folgemonaten die Macht Mussolinis: das dunkle Zeitalter des Faschismus brach an. Was also hat dazu geführt? Und bedeutender noch: Was können wir für den heutigen antifaschistischen Kampf aus der Geschichte lernen?

Die biennio rosso 1919-1920

Wie gefährlich schnell der Faschismus an die Macht kommen kann, zeigt, wie sehr das politische Kräfteverhältnis in Italien zu Gunsten des Sozialismus ein paar Jahre zuvor noch war. Der Krieg und die wirtschaftliche Zerstörung Europas, die Inflation und Erfahrung des sinnlosen Blutvergießens in einem imperialistischen Krieg führte zu einer gesamtgesellschaftlichen Ablehnung der wirtschaftlichen und politischen Herrscher.


Obwohl Italien auf der Siegerseite gekämpft hatte, hatte es in drei Kriegsjahren keine nennenswerten militärischen Erfolge verzeichnet. Dennoch waren insgesamt über eine Million Soldaten im Krieg entweder gefallen, in Gefangenschaft gestorben oder als Invaliden zurückgekehrt. Dazu kam, dass Italien, welches zuvor wirtschaftlich weit weniger entwickelt war als der Rest Europas, mit der Kriegsaufrüstung massive Industrialisierungsschübe zurücklegte. Der Staat versuchte seine Verluste in den Fabriken zu kompensieren, die mit militärischer Disziplin geführt wurden.

Die Schwerindustrie schlug hohe Profitraten daraus, dennoch führte nach dem Krieg die Herausforderung der Umstellung auf Friedensproduktion zu einer Massenarbeitslosigkeit, die noch dadurch verstärkt wurde, dass mit Österreich-Ungarn das für Italien wichtigste Import- und Exportland wegfiel. Die gesellschaftlichen Widersprüche gipfelten in dem biennio rosso, den zwei roten Jahren 1919 und 1920.
Allein im Jahr 1919 beteiligten sich eine Million lndustriearbeiter_innen an insgesamt 1.663 Streiks und obwohl die Kämpfe sich hauptsächlich auf die Maschinenbaufabriken konzentrierten, erfasste der tiefgreifende Klassenkonflikt das ganze Land. Im Juni und Juli 1919 kam es in vielen Regionen zu Aufständen gegen die hohen Lebensmittelpreise. Die sozialistische Partei Italiens (PSI) avancierte von nur 50.000 Mitgliedern in 1914, zur stärksten Partei im Parlament 1919 und konnte bis 1921 ihre Mitgliederzahl auf 216.000 vergrößern.

Der Geist des Kommunismus, der durch die Erfolge der russischen Revolution europaweit zu spüren war, inspirierte Arbeiter_innen die Zügel selbst in die Hand zu nehmen. 

Die Rolle der PSI

Nachdem Aufstände von Staatsgewalt niedergeschlagen und Arbeiter_innen aus Fabriken ausgesperrt wurden, gingen diese dazu über, die Kontrolle über die Produktion mit Waffengewalt selbst zu verteidigen. Auf die Unterstützung der PSI konnten sie, außer in Turin, wo Antonio Gramsci eine wichtige Führungsrolle einnahm, nicht hoffen. Der entscheidendste Punkt kam im September 1920 als hunderte Fabriken in Turin von Arbeiter_innen besetzt wurden.

Seit 1919 gab es ein stadtweites Fabrikkomitee, Fabrikräte organisierten während der Besetzungen die fortgesetzte Produktion, Frauen versorgten die Arbeiter_innen mit Waffen und Essen und rote Garden verteidigten sie.  Damit die Arbeiter_innen die wirtschaftliche Macht erlangen konnten, war eine nationale Organisation absolut notwendig, denn sie konnten ihre Güter zwar selbst produzieren, wichtige Handelsinstitutionen lagen jedoch in den Händen des Staates und auf unbegrenzte Zeit konnten die Fabriken nicht besetzt werden. Doch die Rätebewegung in Turin um Gramsci und die Ordine Nuovo blieb isoliert, da die Führer der Bewegung, die PSI und der Gewerkschaftsbund CGL, weiterhin passiv blieben.

Anstatt die revolutionäre Situation zu nutzen, handelten sie in den wichtigsten Betrieben einen Kompromiss zwischen den Konzernchefs und Arbeitnehmern aus, woraufhin die Bewegung in sich zusammenbrach. Eine immense Demoralisierung, sowie Spaltungen innerhalb der sozialistischen Bewegung waren die Folge. 1921 gesteht Giacinto Serrati, zu jener Zeit wichtige Führungsperson in der PSI, in einem persönlichen Brief an einen Freund die Fehler seiner Partei ein: „Wir leben in schrecklichen Zeiten. Und nichts kann gegen diese ungestrafte Arroganz [der Faschisten] unternommen werden, denn unglücklicherweise hat zu dem Zeitpunkt, als alle von der Revolution geredet haben, sie niemand vorbereitet. […] Die Bourgeoisie, zu Tode geängstigt von unserem Gebell, beißt zurück.“ 

Aufstieg des Faschismus

In Angst vor der mächtigen Arbeiter_innenbewegung suchte die Bourgeoisie nach radikaleren Mitteln, diese zu zerschlagen. Mit der finanziellen Unterstützung der Regierung, sowie Industrieller und ausländischer Diplomaten, gründete Benito Mussolini die Zeitung Il Popolo d’Italia und im März 1919 bei einem Treffen in Mailand die antisozialistische faschistische Bewegung, die zunächst nur eine politische Randgruppe darstellte. Und doch war diese erste Phase sehr blutig. Die faschistischen „Schwarzhemden“ attackierten Sozialist_innen in Straßenkämpfen und führten Brandanschläge auf ihre Zentralen aus. Während des Wahlkampfs im April 1920 töteten sie 57 Antifaschist_innen, bis Ende Mai stieg diese Zahl auf über 100 an. Die Unterstützung der herrschenden Klasse war den Faschisten dadurch gewiss.

Der kapitalistische Staat, dessen Legitimation in den biennio rosso in Frage gestellt wurde, kämpfte nun Seite an Seite mit den Faschisten gegen Sozialist_innen und die Arbeiter_innenbewegung. Es wird geschätzt, dass während des Aufstiegs des Faschismus insgesamt über 100.000 Gewehre und Musketen aus dem Militärarsenal an die Faschisten übergeben wurden.

Die zweite Welle des Faschismus rollte von September 1920 bis Mitte des Jahres 1921 hauptsächlich in ländlichen Gegenden und stand zu großen Teilen nicht unter der Kontrolle Mussolinis.

Die antisozialistischen Schlägertrupps handelten im Interesse der großen Landbesitzer, die sie finanzierten.

Sie gingen vorrangig auf Bauern los, die radikalisiert vom Krieg, schwachen Ernten und Lohnminderungen Ländereien besetzten (insbesondere die ländlichen Regionen Italiens standen in einer starken anarchistischen Tradition).

Das Ziel dieser Schwarzhemden war es, die traditionellen Ordnungen wieder herzustellen. Diese Richtung beunruhigte Mussolini: seiner Ansicht nach sollte nicht das Alte wieder hergestellt, sondern eine vollkommen neue Weltordnung geschaffen werden. Dennoch profitierten auch die städtischen Faschisten von dieser zweiten Welle, da Industrielle sie in dieser Zeit als ernstzunehmende Gegner des Sozialismus erkannten und begannen, sie finanziell noch viel stärker zu unterstützen.


Eine dritte Welle des Faschismus entstand ab 1921 in urbanen Regionen. Sie bestand vorrangig aus kleinbürgerlichen Jugendlichen und Langzeitarbeitslosen, die in der faschistischen Bewegung eine Möglichkeit sahen, an Essen zu kommen.

Durch das immer noch sehr vage Programm Mussolinis, das sich in erster Linie aus Patriotismus und Antisozialismus auszeichnete, erhielten sie Unterstützung von ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen, von liberalen Politikern, über Industrielle bis hin zu ehemaligen Soldaten und Privatpersonen, die von der Stärke und Radikalität der Linken eingeschüchtert waren. In dieser Zeit verübten die Schwarzhemden unzählige Massaker an sozialistische Institutionen: hunderte Gewerkschaftsgebäude (Camere del Lavoro), Vereinshäuser, Druckereien und Kulturzentren fielen den faschistischen Angriffen zum Opfer. Sozialist_innen verteidigten ihre Zentren und viele wurden verwundet oder getötet. Die PSI hingegen rief scheinheilig zum Kampf auf, tat aber nichts, um eine militärische Verteidigung zu organisieren.

Arditi del Popolo

Die Organisation, die sich als einzige erfolgreich gegen die Faschisten zur Wehr setzte, waren die Arditi del Popolo. Es die erste antifaschistische Bewegung der Geschichte. Viele Gründungsmitglieder der ADP hatten im 1. Weltkrieg in den Sturmtruppen, genannt Arditi, gekämpft, deren gefährliche Aufgabe es war, in militärischen Offensiven durch die feindlichen Reihen zu brechen. Die praktischen Erfahrungen des Krieges führten dazu, dass sich im politischen Bewusstsein der Arditi sowohl militärische Radikalität, als auch die Ablehnung des parlamentarisch-demokratischen Staates, dessen Willkür sie zu spüren bekamen, formierten. Diese Kombination war es, in der sowohl rechte als auch linke radikale Gruppen das Potential sahen, Arditi für sich zu gewinnen. Tatsächlich waren ehemalige Arditi in der Nachkriegszeit maßgeblich am Aufbau des Faschismus beteiligt, andere wiederum, wie der Anarchist Argo Secondari, bauten 1921 die antifaschistischen Kampftruppen der ADP auf.

Dies war die große Stärke der Arditi del Popolo: fern vom Sektierertum der großen Arbeiterorganisationen CGL und PSI stellte sie eine militante Einheitsfront aus Kommunist_innen, Anarchist_innen, Republikaner_innen und Sozialist_innen dar, aber eben auch Kriegsveteranen und Arbeiter_innen, die sich unabhängig von Parteipolitik zusammenschlossen, um den faschistischen Terror auf der Straße zu bekämpfen.

Besonders erfolgreich war die ADP in Arbeiter_innenviertel, wie Livorno, Parma und Rom, die eine starke anarchistische oder syndikalistische Tradition hatten. Anstatt unabhängig von den Volksmassen zu kämpfen, arbeitete die ADP mit den Bewohner_innen der Stadtteile zusammen, was es ihnen erlaubte an bereits bestehende Traditionen der Illegalität und des Widerstandes anzuknüpfen und Allianzen mit Teilen der linken, kämpferischen Mittelschicht zu schließen.

Parma

Der bedeutendste gewonnene Kampf der ADP in Parma 1922 zeigt dies unmissverständlich. Auslöser war ein landesweiter antifaschistischer Generalstreik, der jedoch nur wenig später vom sozialdemokratisch beeinflussten Zentralkomitee des Bündnisses abgebrochen wurde, als Mussolini mir Repressalien drohte.

Einzig Parma entschloss sich, entgegen den Anweisungen der Führungsriege, weiterzumachen und bereitete sich darauf vor, die Stadt gegen die Schwarzhemden zu verteidigen.

Als am 1. August 20.000 bewaffnete Faschisten anrückten, um die Stadt, die sie als ideologisch uneinnehmbar erkannten, unter ihre Kontrolle zu bringen, hatte sich die lokale Polizei bereits unter dem Vorwand, sie könne nichts ausrichten, aus den Polizeistationen zurückgezogen. Sofort übernahmen Arbeiter_innen, Männer und Frauen, junge und alte, politische und parteilose die Straßen. Priester spendeten Kirchenbänke zur Errichtung von Barrikaden, von denen einige elektrifiziert wurden. Wichtige Straßen und Plätze wurden vermint, Schützengräben gebaut und Telefonleitungen über Straßen gespannt, um Kavallerieangriffe zu verhindern. Etwa 300-400 Arditi wurden mit Musketen, Pistolen und Granaten bewaffnet und in Gruppen von jeweils 8 – 10 ausgesandt. Die Zivilgesellschaft unterstützte die ADP beim Umgraben der Straßen und Errichten von Stützpunkten und stellte die medizinische Versorgung sicher, ebenso wie Lebensmittel und benötigte Materialien. In der gesamten befestigten Zone ging die Macht auf das Kommando der ADP über: Entscheidungsträger waren eine kleine Anzahl von Arbeiter_innen, die zuvor von den Truppen gewählt worden waren.

Auf Kompromisse mit dem italienischen Militär, welches auf einen Rückzug der Arditi ein Zurücktreten der Faschisten in Aussicht stellte, ließ sich die ADP nicht ein. Auf diese Weise gelang es der ADP, obwohl stark in der Unterzahl, die Faschisten zurückzuschlagen. Am 6. August, dem finalen Angriff der Schwarzhemden dauerten die Kämpfe bis in die Nacht hinein und endeten damit, dass die Faschisten besiegt und verängstigt, ohne militärisches Rückzugskommando aus der Stadt fliehen mussten.

Wer hat uns verraten?

Am 3. August 1921 – noch während Arbeiter_innen für den Schutz Parmas kämpften, unterzeichneten die Führer der PSI und CGL einen Friedenspakt mit Mussolini.

In diesem wurden „Sofortige Maßnahmen zur Beendigung von Drohungen, Angriffen, Repressalien, Racheakten und persönlicher Gewalt jeglicher Art“ von beiden Seiten für die „gegenseitige Achtung“ aller „Wirtschaftsorganisationen“ gefordert . Der naive Glaube der PSI, man könne in einem Staat, der den Faschismus unterstützt, diesen auf parlamentarischen Weg schlagen, führte dazu, dass sich die stärkste Arbeiter_innenorganisation Italiens selbst entwaffnete – und somit ihre Möglichkeit den aufsteigenden Faschismus zu stoppen, endgültig verspielte.

Nur wenige Stunden danach, setzte die Parteiführung der kommunistischen Partei (PCI) ein Verbot um, das es Mitgliedern untersagte, sich der ADP anzuschließen. 1919, als Reaktion auf die Fabrikbesetzungen, wurde die kommunistische Partei Italiens gegründet, ähnlich wie in Deutschland, um sich von den reformistisch sozialdemokratischen Kräften zu lösen.

Von diesem Standpunkt ist es nachvollziehbar, warum die frisch gegründete Partei jegliche Zusammenarbeit mit dem, was sie als bürgerliche Kräften ansah, verweigerte und auf einen ideologischen Purismus pochte, der sie jedoch von den praktischen Kämpfen der Arbeiter_innenbewegung vollkommen isolierte. Viele PCI-Mitglieder und sogar einige Führungsfiguren sympathisierten jedoch offen mit der ADP und schlossen sich, entgegen dem Willen der Parteiführung, ihr an.

Die Ablehnung der ADP durch die PSI und die CGL hat dazu geführt, dass die Gruppe politisch isoliert war und massive Repressionen seitens der Regierung und der Faschisten begegnete.

Doch die Arbeiter_innen waren nicht gewillt, den Faschisten freie Hand zu lassen: Im folgenden Jahr leisteten sie immer wieder erbitterten Widerstand.

Erster Marsch auf Rom

Der erste Marsch auf Rom fand im November 1921 statt, zum dritten faschistischen Nationalkongress. 35.000 Schwarzhemden reisten an und attackierten in gewohnter Schlägertruppmanier Arbeiter_innen auf den Straßen. Die ADP rief ihre Mitglieder aus den umliegenden Gebieten auf, nach Rom zu kommen und nach der Ermordung eines Bahnhofarbeiters kam es zu einer enormen Solidarisierungswelle der Arbeiter_innenklasse. Zwischen 9. und 13. November herrschten guerillakriegsähnliche Zustände.

Es kam zu Auseinandersetzungen zwischen Polizisten, Antifaschist_innen und Faschisten, ein Generalstreik wurde ausgerufen, sodass sich die Faschisten, die es schafften ins Stadtzentrum vorzudringen, ohne öffentlichen Verkehr, Postsystem und Bäckereien fanden. Durch den nicht endenden Streik und den Widerstand der Arbeiter_innen in den Stadtteilen war Mussolini gezwungen, anzuordnen, die Faschisten sollten in dem Hotel bleiben, indem der Kongress stattfand. Am Ende des Kongresses musste Mussolini unter Polizeischutz aus der Stadt eskortiert werden und die Schwarzhemden abziehen. Der militärische Sieg der Antifaschist_innen war jedoch nur ein Teilerfolg, da die Faschisten den Kongress genutzt hatten, um sich aus einer Bewegung zu einer Partei, der Partito Nazionale Fascista (PNF) zu formieren.

Die Machtübernahme war verhinderbar

Was in die Geschichte als der biennio nero einging – die schwarzen Jahre 1920-1922 ­­­­– in denen der Faschismus die Überhand über die Straßen behielt, war in Wirklichkeit eine Zeit, in der die relative Stärke Mussolinis sehr fragil war: trotz der Niederlage der Arbeiter_innen am Ende des biennio rosso waren Millionen von Arbeiter_innen in Gewerkschaften und sozialistischen Parteien organisiert, während die Mitgliederzahl der faschistischen Bewegung von gerade einmal 20.000 in 1920 auf nicht mehr als 250.000 in 1921 anstieg.

Es war also weder der Wille der Massen noch eine militärische Übermacht des Faschismus, sondern allein der politische Wille der großen Parteien, der Mussolini am 28. Oktober 1922 ins Amt gehoben hatte. Dennoch: die militärische Stärke der Schwarzhemden auf den Straßen, die Massaker an Sozialist_innen waren es, die dem Faschismus die Sympathien der Herrschenden einbrachten. Schätzungen zufolge wurden zwischen 1917 und 1922 insgesamt 6.000 Arbeiter_innen im etwa gleichen Ausmaß von Polizisten und Faschisten getötet.

Lektionen für heute

Auch heute noch ist der Aufstieg des Faschismus eine akute Gefahr. Bei den italienischen Parlamentswahlen am 25. September erhielt das Rechtsaußen-Bündnis aus Fratelli d’Italia, Lega und Forza Italia um Silvio Berlusconi insgesamt 44 Prozent der Stimmen und somit eine absolute Mehrheit im Abgeordnetenhaus und im Senat. Hauptgewinner ist die in faschistischer Tradition stehende Partei Fratelli d’Italia unter der Führung von Georgia Meloni, die mit 26 Prozent die stimmenstärkste Partei darstellt.

Aus ihren Sympathien für Mussolini macht Meloni keinen Hehl. Bereits 1996 erklärte sie in einem Interview mit dem französischen Nachrichtensender Soir 3, dass „Mussolini ein guter Politiker gewesen sei, der beste der letzten 50 Jahre.“

Die zu erwartende Regierungskoalition mit Matteo Salvini, der noch vor wenigen Jahren die führende Kraft der extremen Rechten war wird dramatische Folgen haben für Lohnabhängige, Geflüchtete und alle unterdrückten Gruppen. Der Aufstieg der extremen Rechten in Italien ist das direkte Resultat der jahrzehntelangen neoliberalen Politik, die sozialen Verfall, Massenarmut und Politikverdrossenheit hervorgebracht hat, sowie dem Scheitern der Linken in Italien eine kämpferische Gegenfront aufzubauen.  

In Österreich sitzt mit der FPÖ die „indirekte Nachfolgepartei der NSDAP“ (Politikwissenschafter Anton Pelinka) im Parlament, die in den letzten 10 Jahren einen Großteil der Führungspositionen mit Burschenschaftern besetzt hat. Mit Walter Rosenkranz stellen sie ein Mitglied der neofaschistischen Libertas, die der Neonazi-Organisation Bund Freier Jugend einen Preis verliehen hat, als Kandidaten für die Bundespräsidentschaft. Die Anzahl antisemitischer Vorfälle in Österreich ist jährlich am Steigen und obwohl Neonazigruppen wie die Identitären auf den Straßen keine Chance gegen die starke antifaschistische Bewegung haben, schlägt sich das Establishment wie im Italien der 1920er Jahre auf die Seite der Faschisten: Während der Corona-Demonstrationen konnten sie selbstbewusst Naziparolen skandierend auf den Straßen marschieren und wurden sogar von der Polizei hofiert. Gleichzeitig sehen wir in den aktuellen Krisen, dass sich Arbeiter_innen weltweit gegen ihre Unterdrückung auflehnen. Nach der Ermordung einer kurdischen Frau durch den Staatsapparat haben die Proteste im Iran das Ausmaß einer revolutionären Bewegung gegen das Regime angenommen.

In Großbritannien überrollen massive Streikwellen das Land. Die heldenhaften Bewegungen, die im letzten Jahr im Sudan, in Sri Lanka und Myanmar stattgefunden haben, zeigen, dass es der Arbeiter_innenbewegung weder an Klassenbewusstsein, noch an Entschlossenheit mangelt. Was also können wir als Linke aus der Zerschlagung der starken italienischen Arbeiter_innenbewegung und dem verhinderbar gewesenen Aufstieg Mussolinis im Italien der 1920er Jahre lernen?

Faschismus in Österreich

  1. Staat und Polizei beschützen die Faschisten

Die italienischen Faschisten waren zahlenmäßig immer eine kleine Minderheit. Ihre relative Macht begründete sich nur darauf, dass die Polizei an ihrer Seite kämpfte, das Militär sie mit Waffen versorgte und der Staat sie ins Amt gebeten hatte.

Auch heute noch ist die Polizei für rechte Gewalt auf beiden Augen blind, während linke Demonstrant_innen mit Schmerzgriffen von der Polizei gefoltert, geknüppelt und inhaftiert werden. Faschismus lässt sich nicht „wegwählen“ und auch nicht auf parlamentarischem Weg schlagen, da der Staat, der im Interesse der wirtschaftlichen Elite agiert, im Faschismus einen Verbündeten gegen Sozialist_innen und Arbeiter_innen sieht.

2. Starke linke Bündnisse sind die einzige Möglichkeit den Faschismus zu schlagen.

Der Politik der kommunistischen Partei in den späten 1920ern in Italien fehlte vor allem eins: Klarheit. Noch während die großen Arbeiter_innenorganisationen die antifaschistische Bewegung der ADP als bürgerlich oder unstrategisch diskreditierten, wurde 1921 auf dem Kongress der dritten Internationalen eine Strategie entwickelt, die die Macht gehabt hätte, den Lauf der Geschichte in Italien zu ändern: Die Einheitsfrontpolitik.

Hätten PCI, PSI und CGL gemeinsam mit der ADP den Kampf gegen den Faschismus geführt, wäre Mussolini nie an die Macht gekommen. In Zeiten wo Sozialist_innen, Kommunist_innen, Anarchist_innen, Arbeiter_innen der gleichen Gefahr gegenüberstehen ist kein Platz für innerlinke Theoriespalterei.

Einzig eine vereinte, in starken Bündnissen organisierte Linke kann den Aufstieg der extremen Rechten bekämpfen. Die Arditi del Popolo haben es vorgezeigt: „Getrennt marschieren – vereint schlagen!“