Musliminnen gegen Kopftuchverbot: „Ihr habt keine Obrigkeit über unsere Leben!“
Am Dienstag, 15. Mai haben wir uns in die Besuchergalerie des Parlaments begeben um hautnah miterleben zu können, wie wieder einmal über uns Musliminnen in Österreich ein Verbotsgesetz diskutiert und anschließend abgestimmt wird.
Dieses Mal ging es um das Kopftuchverbot für Mädchen in den Volksschulen.
Ein Abgeordneter nach dem Anderen stellte sich zum Rednerpult und fing an, seine rassistischen und menschenverachtenden Aussagen von sich zu geben. „Weiße“ und ältere Herren, die selbst eine sexistische Äußerung nach der anderen von sich gaben, aber im gleichen Atemzug behaupteten, dass ihre Absicht folgende sei: Musliminnen und muslimische Mädchen vor „einer frauenfeindlichen und rückschrittlichen Religion“ zu schützen.
Dabei zitierten sie nicht etwa wissenschaftlich fundierte Studien, sondern Menschen, deren Motivation ihre eigenen schlechten Erfahrungen mit dem Islam sind, sogenannte „Erfahrungsexperten“, zum Beispiel Susanne Wiesinger („Kulturkampf im Klassenzimmer“).
Es reicht also, einzelne Erfahrungen und Befindlichkeiten einer sichtlich überforderten und mit tief verwurzelten Rassismen behafteten Lehrerin als „Expertin“ heranzuziehen, um ein Verbotsgesetz zu legitimieren – im PARLAMENT. Eine sehr beschämende Situation!
Das war aber nicht der einzige Faktor, der das Niveau im Hohen Haus unerträglich werden ließ. Die Sprache, der sich die Abgeordneten bedienten, die Wortwahl, die Wut in ihren Stimmen und Gestik – sie sprachen nicht über Bürgerinnen dieses Landes, nicht über die größte religiöse Minderheit dieses Landes. Nein! Sie verlangten säbelrasselnd von allen anwesenden Abgeordneten, dass diese sich dem Kampf gegen diese Umstände, die schon viel zu lange geduldet wurden, anschließen mögen. Auf diese Kampfansage folgten Beifall und Zustimmung aufseiten von ÖVP und FPÖ.
Es wurde zugegeben, dass dieses Verbot nur ein Symbol ist, ein wichtiges Symbol und vor allem ein Anfang. Der Anfang? Der Anfang von was denn?
Es sollen also weitere Verbote folgen, was das Kopftuch angeht. Wer weiß aber, was außerdem noch alles in diesen rassistischen Köpfen abgeht.
Mehrere sichtbare Musliminnen waren an diesem Abend anwesend.
Es störte diese Politikerinnen und Politiker, die von der österreichischen Bevölkerung gewählt wurden, um auch die Bevölkerung, also auch uns Anwesende zu vertreten, keineswegs, dass die Personen, über die sie gerade so abfällig und menschenverachtend sprachen, anwesend waren.
Ganz im Gegenteil, um das angebliche Machtgefälle und ihre phantasierte Leitkultur zu demonstrieren, orderten sie bis zu acht (!) Mann an Security-Personal nach oben, die sich dann alle direkt hinter uns, den sichtbaren Musliminnen, postierten. Nur hinter uns! Man stelle sich das einmal vor!
Die Reden sorgten dafür, dass wir noch einmal hautnah erleben konnten, wie unerwünscht wir hier sind und dass wir das Feindbild sind, das es zu bekämpfen gilt. Sie konnten uns nicht einmal als interessierte Zuschauerinnen dulden! Wir mit dem Kopftuch, die sie als „ein Symbol der Unterwerfung“ sehen.
Die Security tat den Rest. Wir fühlten uns bedroht und unwohl und das war auch das Ziel.
An diesem Abend hat uns die Sprache, die wir hörten, und die Wut, die wir sahen, Angst gemacht. Aber noch mehr hat uns schockiert, dass kein einziger Abgeordnete und keine einzige Abgeordnete während dieser gewaltvollen Reden aufgestanden ist, um darauf hinzuweisen, dass diese Sätze der Demokratie nicht würdig und menschenverachtend sind.
Es wurde wieder einmal für uns über unseren Köpfen hinweg entschieden, was uns unsere religiöse Bekleidung bedeutet. Und das Groteske ist: Es wurde entschieden, während wir anwesend waren. Das bedeutet, dass wir als sichtbare Musliminnen nicht einmal anwesend das Recht haben, selbst über uns zu entscheiden.
Diese Menschen wollen uns erklären, dass unsere Spiritualität unsere persönliche Kleiderwahl fremdbestimmt und frauenverachtend ist, dass wir unterdrückt seien von angeblich radikalen rückschrittlichen Strukturen. Das wir uns unterwerfen. Das wir gerettet werden müssen und schwach sind.
Wir aber sagen: Wir sind stark! Wir sind hier! Wir sind selbstbestimmt! Wir sind diejenigen, für die ihr dort sitzt und arbeiten sollt, anstatt uns zu diskriminieren und aus der Gesellschaft zu drängen!
Ihr habt keine Obrigkeit über unsere Leben, über unsere Entscheidungen.
Der einzige Moment in unseren Leben als sichtbare Musliminnen, in dem wir uns wirklich unsichtbar, unterdrückt, fremdbestimmt und bedroht gefühlt haben, war dieser Abend im Hohen Haus.
Zehra B. und Begüm G.