Musliminnen sind keine passiven Opfer – Unser Platz ist im Widerstand!

Begüm Gördü hat am 13. Jänner in Wien mit 70.000 Menschen gegen die neue schwarz-blaue Regierung demonstriert. In einem Leserinnenbrief fordert sie Solidarität als eine Selbstverständlichkeit ein und feiert die Proteste: „Gerade wir, Musliminnen und Muslime, die am stärksten von den Vorhaben der neuen Regierung betroffen sein werden, waren sichtbar, hörbar und wir waren laut!“
17. Januar 2018 |

„Wir haben es satt, als Ablenkungsmanöver herzuhalten für eine asoziale Politik, die uns allen schadet – von der Arbeitszeitverlängerung bis hin zu der Forderung, Geflüchtete in Massenquartiere einzusperren!“ durchfluteten die ersten Worte der großartigen Rede vom Netzwerk Muslimische Zivilgesellschaft die Menschenmasse auf der Großdemo gegen die  schwarz-blaue Regierung am 13. Jänner 2018 am Heldenplatz. Diese Worte voller Stärke und Widerstand waren gleichzeitig ein Zeichen von Hoffnung, Zusammenhalt und Menschlichkeit.

Gerade wir, Musliminnen und Muslime, die am stärksten von den Vorhaben der neuen Regierung betroffen sein werden, waren präsent auf dieser Demo. Wir waren sichtbar, hörbar und wir waren laut!

Sündenböcke der Politik

Mit jeder Scheindebatte über Burka, Burkini, das Kopftuch oder islamische Kindergärten wurden wir ein Stück mehr zu Sündenböcken für jede wirtschaftliche und gesellschaftliche Misere verantwortlich gemacht, es wurde mit jedem neuen antimuslimischen Diskurs der Grundriss eines perfekt konstruierten Feindbildes vervollständigt. Wir wurden gegeneinander aufgehetzt. Die Armen gegen die Ärmeren und die Mehrheit der Gesellschaft war sich dessen nicht einmal bewusst. Während Sozialleistungen und Arbeiterrechte immer weiter in den Hintergrund gedrängt werden, sollten wir nämlich damit beschäftigt sein einander zu beschuldigen. Die Mehrheitsgesellschaft sollte ihren Hass auf die Minderheiten konzentrieren, Minderheiten auf andere marginalere Minderheiten und diese wiederum auf Geflüchtete.

Währenddessen soll die elitäre Utopie von FPÖVP erblühen, ganz wie im Bilderbuch: elitäres Schulsystem, Studieren nur für Privilegierte, Gesundheitssystem zweier Klassen, immer weniger werdende soziale Leistungen und wer sich keine Wohnung leisten könne der solle doch in ein Eigenheim investieren. Auf TV-Sendungen und in Boulevardmedien wurde diskutiert über die Integrationsfähigkeit von Musliminnen und darüber, ob der Islam denn zu unserer Gesellschaft gehöre. Während wir wie gelähmt gebannt vor unseren Fernsehern und Zeitungen sitzen und zustimmten oder uns über die Inhalte echauffierten, sollten Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger immer mehr unter Kontrolle des Staates geraten und nach neuen Schlupflöchern gesucht werden um den Datenschutz zu umgehen.

Nein, wir haben uns gewehrt! Wir lassen nicht zu, dass diese Politik der Rückschrittlichkeit, der Überwachung und der Verbote auf unseren Rücken ausgetragen wird, auf unsere Kosten. Wir haben- und werden uns weiterhin dagegen wehren. Mit einem Selbstbewusstsein über unsere Rechte Bescheid zu wissen.

Solidarität als Selbstverständlichkeit

Mit dem Selbstverständnis in Solidarität mit Gewerkschaften und anderen Bündnissen zu sein. Unsere Rolle ist nicht die der passiven Opfer, die für uns von der Regierung maßgeschneidert wurde. Unser Platz ist im Widerstand. Wir dürfen nicht vergessen, dass der Abbau sozialer Sicherheit und das Streben nach elitären Systemen uns als Minderheit am Meisten betrifft. Nicht nur, dass wir für die Verwirklichung dieser Ziele instrumentalisiert werden und Rassismen auf allen Ebenen ausgesetzt sind, sondern auch unsere Lebensrealitäten sind größtenteils davon betroffen.

Diese großartige und überwältigende Solidarität am Heldenplatz – der in der Geschichte Schauplatz vom Beginn der dunkelsten Zeit dieses Landes geworden war – hat mit gezeigt, dass wir viel stärker sind, als wir es uns selbst anmaßen würden, sie gab mir Hoffnung darauf, dass wir Worte nutzen können für Gerechtigkeit zu kämpfen und diese zu erlangen. Solidarität sollte bedingungslos sein und darf keinen Maßstab haben. Wir dürfen uns von Machtpositionen nicht einschüchtern lassen.

An meine Schwestern!

Auf der Demo waren im Block Netzwerk Muslimische Zivilgesellschaft größtenteils Musliminnen anwesend und ich bin stolz auf meine Schwestern, die es als selbstverständlich empfinden, für ihre Rechte und gegen Ungerechtigkeiten jeder Art einzustehen. Gerade wir als Musliminnen dürfen nicht schweigen. Wir dürfen uns dem Versuch, unsichtbar gemacht zu werden, nicht beugen. Wir sind sichtbar, wir sind hörbar und wir werden weiterhin jede Möglichkeit nutzen, es zu bleiben!

Begüm Gördü

Leser_innenbriefe spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider