Nackt unter Wölfen – von Bruno Apitz

Gute Bücher erfüllen meistens eine von zwei Komponenten: Entweder der Autor kann schreiben oder er hatte ein spannendes Leben. Auf Apitzs „Nackt unter Wölfen“ trifft beides zu. Apitz, selbst in Buchenwald inhaftiert, berichtet über das „Internationale Lagerkomitees“, ein Widerstandsnetzwerk im Lager. Die Figuren des Buches sind fiktiv, die Erzählungen jedoch real. So auch die Geschichte eines kleinen Kindes, das ohne Wissen der SS ins Lager geschmuggelt wird. Noch spannender wird das Buch durch den erinnerungspolitischen Streit innerhalb der SED um die Buchenwalder.
12. Juni 2025 |

Apitz Leben ist symptomatisch für kommunistische Kader Anfang des 20. Jahrhunderts. Am 28. April 1900 wurde er als 12. Kind in eine Arbeiterfamilie geboren. Wut, Solidarität und Lebenslust trieben ihn in die Reihen der Arbeiter:innenbewegung. Mit 17 Jahren wurde er zu seiner ersten Gefängnisstrafe verurteilt. Nach seiner Entlassung trat er der SPD bei, wandte sich nach deren Verrat an der Revolution 1919 jedoch der KPD zu. Autodidaktisch begann er sich als Schriftsteller zu üben. Aus den Fraktionsstreitigkeiten der KPD hielt er sich heraus und folgte der offiziellen Linie. Im Nationalsozialismus war er durchgehend in Konzentrationslagern inhaftiert. Nach der Befreiung Buchenwalds gehörte Apitz zu den Gründungsmitgliedern der SED (= Sozialistische Einheitspartei Deutschlands) und arbeitete innerhalb des Literaturbetriebs der DDR.

Helden oder Kollaborateure

Aufgrund ihrer Organisiertheit und Widerstandsbereitschaft wären die Buchenwald-Häftlinge naheliegende Führungsfiguren innerhalb der SED gewesen. Doch die SED-Führung, welche den Nationalsozialismus in der Sowjetunion überlebt hatte, kooperierte mit Stalin, und isolierte die Buchenwalder im neuen Machtbetrieb: Der Buchenwalder Ernst Busse wurde in der Sowjetunion ermordet, Erich Reschke jahrelang inhaftiert. Der Vorwurf an die Buchenwalder war, dass sie durch die Organisation des Lagerlebens indirekt mit der SS zusammengearbeitet hätten. Apitz Buch war ein Versuch die Buchenwalder innerhalb der SED wieder in ein positiveres Licht zu rücken.

Kind oder Aufstand

Das Buch beginnt mit der Entdeckung eines Kindes in einem Koffer durch Häftlinge. Schnell müssen sie sich entscheiden. Das Kind der SS melden oder es im Lager verstecken. Innerhalb des kommunistischen Lagerkomitees entbrennt ein Streit. Um diese Entscheidung zwischen individueller und kollektiver Moral dreht sich das Buch. Durch diese Brille betrachtet Apitz auch die Frage der Kooperation mit der SS. Die Buchenwalder wissen, dass sie mit dem Aufstand warten müssen, bis die Alliierten nahe genug sind. Gleichzeitig verlangt die SS, das Lager so schnell wie möglich zu räumen. Der Leiter des Widerstandskomitees erstellt Listen mit Häftlingen, welche die SS auf Todesmärsche schicken wird. Gleichzeitig versucht er alles, den Abmarsch der Häftlinge zu verzögern oder ihnen notfalls Waffen zur Verteidigung mitzugeben. Auf den letzten 200 Seiten ist die Frage: „Wann beginnt endlich der Aufstand?“ omnipräsent. Die Stärke des Buches ist, dass es kein Urteil spricht. Das Kind wurde gerettet, doch war es die Opfer wert? War das Warten auf den Aufstand richtig? Hätte man sich vor dem ersten Todesmarsch zum Kampf bereit machen müssen und die Vernichtung des ganzen Lagers riskieren sollen?
1963 wurde ein Film zum Buch gedreht und das Unglaubliche passierte. Journalisten fanden Stefan Jerzy Zweig, das Kind, auf welchem die Geschichte basierte. Erneut wurde das Buch zu politischem Sprengstoff. DDR-Dissidenten attackierten die Retter von Zweig als Stalinisten und argumentierten, er hätte nur überlebt, weil ein Roma-Junge an seiner Stelle vergast wurde. Zweig wehrte sich gegen die Unterstellungen. Neben der literarischen Qualität machen diese Vielfalt an erinnerungspolitischen Auseinandersetzungen Apitz-Werk zu einem der lesenswertesten der deutschen Nachkriegsliteratur.