Panzerkreuzer Potemkin

Unsere neue Serie „Perlen des linken Kinos“ beginnen wir so, wie jede Zusammenstellung linker oder revolutionärer Filme beginnen muss; mit Panzerkreuzer Potemkin.
1. Mai 2015 |

Der Streifen aus dem Jahr 1925 ist kraftvolle, revolutionäre Propaganda im besten Sinne des Wortes. Er ist ein Beispiel für den Ausbruch von Kreativität nach der Russischen Revolution und vor der Zeit des furchtbaren „sozialistischen Realismus“. Der Regisseur Sergej Eisenstein schrieb in seinen Memoiren: „Die Revolution gab mir das wertvollste Ding in meinem Leben – sie machte einen Künstler aus mir.“

Charlie Chaplin behauptete, Panzerkreuzer Potemkin sei der beste Film aller Zeiten. Bertolt Brecht schreibt über eine Aufführung in Berlin: „Ich habe erlebt, wie neben mir selbst die Ausbeuter ergriffen wurden von jener Bewegung der Zustimmung angesichts der Tat revolutionärer Matrosen.“

„Ich habe erlebt, wie neben mir selbst die Ausbeuter ergriffen wurden von jener Bewegung der Zustimmung angesichts der Tat revolutionärer Matrosen.“

(Bertolt Brecht)

Angehörigen der Armee war es verboten, den Film zu sehen. Ebenso durfte er in Teilen der USA nicht gezeigt werden, weil er US-Matrosen „die Blaupause für die Meuterei“ liefern würde. In Frankreich verbrannten die Behörden jede Kopie, die sie finden konnten, in Großbritannien war er sogar bis 1954 illegal. Die Angst der Eliten vor der Bildgewalt, vor dem revolutionären Feuer, aber noch mehr von den emotionalen Szenen gelebter Solidarität, war nicht unberechtigt. Die Verzweiflung über das unnötige Massensterben im Ersten Weltkrieg und das Beispiel der Russischen Revolution, hatten Arbeiterinnen und Arbeiter in ganz Europa gegen „ihre“ Staaten aufgebracht. Noch 1933 löste eine Vorführung des Films einen Aufstand Indonesischer Matrosen gegen ihre Holländischen Offiziere aus.

Die Treppe von Odessa

Panzerkreuzer Potemkin, Sergej Eisensteins berühmtestes Werk, schildert die kollektive Auflehnung der Matrosen auf einem russisch-zaristischen Kriegsschiff im Zuge der Revolution von 1905. Die Ereignisse des „Blutigen Sonntags“, als der Zar in eine unbewaffnete, friedliche Demonstration von Arbeitern und Arbeiterinnen schießen ließ, hatten auch den jungen Eisenstein in den revolutionären Sog gezogen.

Die bekannteste und meist-kopierte Szene in Panzerkreuzer Potemkin nimmt auf das Massaker des „Blutigen Sonntags“ Bezug: Auf den engen Treppen des Hafens von Odessa wird eine aufmüpfige Menschenmenge, darunter Frauen und Kinder, zwischen feuernden Soldaten und den Säbeln der Kosaken eingeklemmt. Die Leute werden gnadenlos niedergemetzelt. Dabei kommt es zu der berühmten Schnittsequenz, in der ein Kinderwagen, den die angeschossene Mutter nicht mehr halten kann, die Treppen hinunter stürzt.

Klassenkampf

Eisenstein stellt die grundlegenden Klassenkonflikte im Mikrokosmos des Kriegsschiffs dar: Die aristokratischen Offiziere lassen die einfachen Matrosen voller Verachtung schuften und unter der Peitsche leiden, der Arzt unterstützt die Offiziere und hilft beispielsweise, die Matrosen zum Verzehr von völlig wurmigem Fleisch zu zwingen.

Unter den Matrosen streiten Revolutionäre mit zaudernden und autoritätshörigen Kameraden, bis schließlich alle meutern und die Kontrolle über das Schiff an sich reißen. Als die einfachen Menschen im Hafen beginnen, sich mit den aufständischen Matrosen zu solidarisieren, ruft ein teuer gekleideter Mann scheinbar unmotiviert: „Bringt die Juden um!“. Kennt man die Geschichte der Pogrome in Russland, zu denen die zaristische Regierung immer wieder hetzte, um revolutionäre Ideen zu bekämpfen, versteht man diese Szene.

Marxistischer Film

Eisenstein begründete eine völlig neuartige Art des Filmschnitts, ja der Art, wie im Film überhaupt Handlung und Gefühle vermittelt werden. Auf der dramaturgischen Ebene gab es bei ihm keine klassischen Protagonisten oder Identifikationsfiguren mehr. Das Kollektiv spielte die Hauptrolle. Bei allem, was Eisenstein künstlerisch. tat, nahm er sich die marxistische Dialektik zur Grundlage – eine Philosophie, die auf dem Aufeinanderprallen von Gegensätzen basiert, aus denen etwas Neues entsteht. Auf die Gesellschaft angewandt, stoßen Arbeiterklasse und Kapitalisten aufeinander, und aus diesem Aufeinanderprallen kann erst eine völlig neue Gesellschaft entstehen. Eisenstein wandte diese Ideen ganz praktisch an, seine Schnitttechnik beruht darauf, dass jede Einstellung der Widerspruch zur Vorangegangenen sein muss.

Dieser marxistische Zugang hat Eingang in die Standardwerke der Filmtheorie gefunden. So wird etwa auch das Verhältnis zwischen Schauspieler und Rolle oft als eines von dialektischen Gegensätzen gesehen, aus deren Aufeinanderprallen etwas völlig Neues entsteht, nämlich die Figur im Film. Von der Wirksamkeit dieser Techniken kann man sich noch heute überzeugen. Wenn sich im Film die Matrosen anderer Schiffe, die eigentlich Befehl haben, ihre Geschütze auf die Potemkin abzufeuern, jubelnd mit den Meuterern verbrüdern, spürt man die Kraft, die ein alter S/W-Stummfilm entfalten kann!

Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.