Proteste gegen FPÖ-Ball: „Unser Südtirol geht euch nichts an“
David Albrich: Das Motto des diesjährigen Akademikerballs lautet „Südtirol, eine Herzensangelegenheit“. Was regt euch daran so auf?
Anna Gius: Die Südtiroler Schützen, die an diesem Ball teilnehmen, knüpfen hier Kontakte mit der rechtsradikalen Elite. Sie sind politische Akteure, die noch dazu vorgeben, nicht politisch zu handeln, sondern nur „Heimatschutz“ zu betreiben. Sie stellen sich stolz hin, als würden sie die gesamte Südtiroler Bevölkerung vertreten.
„Wir haben uns heuer so explizit mit der Demo solidarisiert, weil wir gegen die Vereinnahmung und gegen die einseitige Darstellung der ‚Südtirol-Problematik‘ sind.“
Das Geschichts- und Weltbild, für das der Akademikerball steht, widerspricht in fundamentaler Weise unserem Verständnis eines demokratischen, antifaschistischen Gesellschaftskonsenses, den wir vertreten. Das Ballmotto vermittelt, dass wir Österreich entrissen wurden und Opfer der Geschichte sind. Wir sehen uns aber nicht ausschließlich als Opfer von Faschismus und Nationalsozialismus, sondern wir kämpfen für ein Geschichtsbild, wo sich jeder seiner Verantwortung gegenüber der Vergangenheit bewusst ist und es nicht so dargestellt wird, als hätten wir ein besonderes Problem, weil wir Teil des Staates Italien sind und weiß Gott wie unterdrückt wären.
Wir haben uns heuer so explizit mit der Demo solidarisiert, weil wir gegen die Vereinnahmung und gegen die einseitige Darstellung der „Südtirol-Problematik“ sind. Es gibt auch eine andere Seite, deshalb sagen wir: Unser Südtirol geht euch nichts an.
Das als unpolitisch darzustellen geht doch auch spätestens seit 2012 nicht mehr, als die FPÖ den vormaligen Ball des Wiener Korporationsrings (WKR) übernommen hat. Das Motto des Balls scheint auch dem Buch des FPÖ-Abgeordneten und Südtirol-Sprechers Werner Neubauer entnommen zu sein („Südtirol – eine freiheitliche Herzensangelegenheit“, 2009).
Im Kontext des Balls und auch im Kontext jener Akteure, die jetzt die Kontakte geknüpft haben, ist klar, dass das der rechte politische Rand ist. Die FPÖ sieht sich offenbar als „Retterin der Südtirol-Frage“. Vor kurzem organisierten Süd-Tiroler Freiheit und (Südtiroler) Freiheitliche eine PR-Aktion in Wien und suchten um die österreichische Staatsbürgerschaft an. Dafür interessierten sich die Medien allerdings nicht, einzig FPÖ-TV war gekommen.
Sie versprachen sich davon politische Vorteile. Aus Südtiroler Perspektive verstehe ich das noch besser. Die Süd-Tiroler Freiheit und die Freiheitlichen arbeiten darauf hin, näher zu Österreich zu rücken, nach dem Motto, in unseren Herzen sind wir ja Österreicher.
Welche Personen und Verbände aus Südtirol nehmen an dem Ball teil?
Voriges Jahr war eine Delegation der Schützenkompanie Olang aus dem Pustertal dort. Sonst war der Ball in Südtirol eigentlich nie Thema. Erst heuer erklärte Pius Leitner, Landtagsabgeordneter und Fraktionssprecher der Freiheitlichen, dass man den Akademikerball schon selbst „einmal im Leben“ gesehen haben sollte. Die Spitze der Süd-Tiroler Freiheit geht interessanterweise lieber auf den Tirolerball. Der Gemeinderat der Süd-Tiroler Freiheit und aktiver Schütze Matthias Hofer hat jedoch angekündigt, auch heuer wieder zum Akademikerball zu kommen.
Warum interessieren sich die deutschnationalen Burschenschafter so für das Thema?
Es gibt prominente Überschneidungen zwischen deutschnationalen Burschenschaften in Wien und Südtiroler Politik. Rechtsradikales Gedankengut ist in Südtirol allgemein ein großes Problem – es wird zu wenig thematisiert und ernst genommen.
Es läuft immer unter dem Deckmantel von „Heimatschutz“ und „Tradition“. Die Grenzlinie wird gezogen zwischen „Mia Südtiroler“ und „de anderen“, also Italiener, Migranten und geflüchtete Menschen. Heimat und Tradition ist ganz stark von einem rechten Geschichtsbild geprägt. So verteidigen die Schützen „unsere Heimat“ und es gibt den „Südtiroler Heimatbund“, der ganz fest in Schützen-Hand ist. Ich würde fast sagen, es ist ein ungebrochener Geschichtskonsens.
Die „Opferthese“ wurde in Österreich zumindest ein bisschen aufgearbeitet. Das gab es in Südtirol nie. Das Problem ist eigentlich bei uns noch verstärkt, da wir zwischen zwei faschistischen Regimen standen. Unter dem Deckmantel von „Tradition“ und „Südtiroler Kultur“ findet deshalb allerlei Gedankengut fruchtbaren Boden – was die Deutschnationalen und Freiheitlichen unterstützen und eben genau dem Weltbild der Ballbesucher entspricht.
Zuerst prahlte Hitler, ein Schutzpatron der Südtiroler gegen Mussolini zu sein, um sie dann fallen zu lassen. Nach dem Zweiten Weltkrieg spielten sich die Burschenschafter wieder als Kämpfer für Südtirol auf. Wie wurde das aufgearbeitet? Welche Rolle spielt das für junge Menschen heute?
Es wurde viel zu wenig aufgearbeitet. Südtirol war in der Nachkriegszeit vor allem dadurch geprägt, dass nicht über die Spaltungen in der Vergangenheit geredet wurde. Die Südtiroler Volkspartei (SVP) stand gewissermaßen unter Druck, weil sie wussten, dass sie womöglich wieder von den Italienern regiert werden würden.
Sie haben allerdings in eine Richtung gearbeitet, die alle Unterschiede in der deutschsprachigen Bevölkerung verdeckte und den antifaschistischen Widerstand de-thematisierte und sogar noch kriminalisierte. Sie haben bewusst an der Konstruktion der Opfer-These gearbeitet, um zu rechtfertigen, dass wir selbstbestimmt sein müssen. Die SVP begann damit schon während des Zweiten Weltkriegs, und hörte damit nie mehr auf. Erst 2015 hat der Landeshauptmann Arno Kompatscher das erste Mal offiziell gesagt, dass wir in der Geschichte nicht nur Opfer waren.
„In allen politischen Auseinandersetzungen geht es um die Identitätsfrage: in der Grenzziehung zwischen den Parteien, zwischen links und rechts.“
Schon bevor ich politisch aktiv geworden bin, habe ich immer gespürt, dass – egal ob du dich für Politik interessierst oder nicht – die Identitätsfrage bestimmend ist. In allen politischen Auseinandersetzungen geht es um die Identitätsfrage: in der Grenzziehung zwischen den Parteien, zwischen links und rechts. Es gibt italienische und deutsche Schulen, das italienische Kulturamt, das deutsche, usw. Die Rechtskonservativen arbeiten ganz stark daran, dass diese Ordnung aufrechterhalten bleibt.
Das ist auch der Grund, weshalb es für deutschsprachige Menschen in Südtirol schwieriger ist, sich antifaschistisch zu positionieren. Auch die Schützen würden sagen, sie sind „antifaschistisch“, weil sie ja gegen den italienischen Faschismus sind. Das macht Südtirol zu einem ganz delikaten Terrain, was Geschichtsbegriffe und Umdeutungen angeht. Die Frage bleibt brandaktuell.
Was macht ihr diesbezüglich im Kulturverein?
Wir wollen eine inter-ethnische Gesellschaft fördern. Es ist nicht wichtig, in welcher Muttersprache du sprichst, sondern was du sagst. Wir verstehen uns ja alle. Es enttäuscht mich immer, wenn Leute zu stolz sind, andere Sprachen zu sprechen. Uns geht es um ein Zusammenleben mit gegenseitigem Respekt und das Niederreißen der ethnischen Grenzen, die im 21. Jahrhundert keinen Sinn mehr machen – falls sie das jemals getan haben. Mit kulturellen Initiativen zu verschiedenen Themen, die wir auch zweisprachig gestalten und nicht immer simultan übersetzen, haben wir bisher großen Erfolg.
Anna Gius ist Mitgründerin des Vereins „Diverkstatt“ in Bruneck, Südtirol. Der Verein wurde 2015 in Bruneck gegründet und hat bereits über 100 Mitglieder. Anna ist außerdem Mitglied der Studienvertretung Politikwissenschaft an der Universität Wien.
Die Vereine „Diverkstatt“ (Kulturverein Bruneck), Merano Resite, DADA Rose (Kulturverein Bozen) und die Südtiroler HochschülerInnenschaft Wien (sh.asus wien) mobilisieren zur Demo und eigenem Block gegen den FPÖ-Akademikerball am Freitag, 29. Jänner um 16:45 Uhr, Treffpunkt Sigmund-Freud-Park.