Reconstruction – Emanzipationsbewegung ehemaliger Sklaven

Während des amerikanischen Bürgerkriegs schaffte US-Präsident Abraham Lincoln mit der Emanzipationsproklamation von 1862 die Sklaverei in den USA ab. Ehemalige Sklaven kämpften in den Reihen der Unions-Armee gegen die Sklavenhalter-Staaten und erhielten während der revolutionären „Reconstruction-Era“ alle Bürgerrechte. Doch am Ende zeigten sich die Grenzen einer „Befreiung von oben“. Der Kampf um Befreiung muss bis heute weitergeführt werden.
22. Februar 2022 |

Der amerikanische Bürgerkrieg nimmt eine prominente Rolle in der Geschichtsschreibung ein. Die Zeit nach dem Krieg findet, obwohl sie prägend für die heutige amerikanische Gesellschaft ist, außerhalb von Historiker-Kreisen kaum Beachtung. Die sogenannte „Reconstruction Era“ wurde lange Zeit als Phase der Korruption und Unruhen schlecht gemacht. Eine grundlegend demokratischere Gesellschaft war aus dem Feuer des Bürgerkrieges und aus der Befreiungsbewegung der Sklaven hervorgegangen.

Die Vorkriegsgesellschaft

Die Industrialisierung hatte die USA bis Mitte des 19. Jahrhunderts stark verändert. Im Norden entstanden viele Fabriken, während im Süden die Baumwoll-Produktion boomte. Die Gewinne aus Textilindustrie- und Agrarwirtschaft fußten hauptsächlich auf der Versklavung Schwarzer. Die Unabhängigkeitserklärung und die Einführung des Wahlrechts für weiße Männer brachten eine Politisierung der Gesellschaft.

Einige fortschrittliche Bürgerliche hatten moralische Bedenken gegenüber der Versklavung von Menschen innerhalb einer „befreiten“ Nation. Diese „Abolitionisten“ begannen den Kampf um die Abschaffung (abolition) der Sklaverei. Sie waren ein wichtiger Flügel der 1854 gegründeten Republikanischen Partei. Im Gegensatz dazu hatte die Demokratische Partei ihre Wurzeln in der Sklavenhalter-Elite der Südstaaten und ging daran, die Sklaverei in weiteren Staaten einzuführen.

Die bis 1860 dominanten Demokraten verloren gegen den Republikaner Abraham Lincoln im Präsidentschaftswahlkampf. Nach seiner Angelobung zum US-Präsidenten verkündeten mehrere Südstaaten ihre Abspaltung als Konföderation und begannen den Bürgerkrieg gegen die Nordstaaten-Union.

Befreiungskrieg der Sklaven

Zu Kriegsbeginn lebten vier Millionen Schwarze als Sklaven und mussten auf den Plantagen schuften, eine halbe Million Afroamerikaner waren „freie Menschen“ mit stark beschnittenen Rechten. Während des Krieges flüchteten Sklaven zu Tausenden in den Norden. Der schwarze Historiker W.E.B. Du Bois beschrieb das in seinem Monumentalwerk Black Reconstruction als „Generalstreik“ gegen die Konföderation.
Der radikale Abolitionist Thaddeus Stevens war einer der wichtigsten bürgerlichen Revolutionäre. Er war der erste Republikaner, der die Aufnahme von befreiten Schwarzen in die Unionsarmee in einer Rede am 2. August 1861 forderte: „Unser Ziel ist es, die Rebellen zu bezwingen… So erschreckend es auf Ehrenmänner wirken mag, Sklaven zu bewaffnen; das ist mein Grundsatz und bevor zwei Jahre um sind, wird es der Grundsatz aller Menschen des Nordens sein.“

Im amerikanischen Bürgerkrieg kämpften über 180.000 Schwarze auf der Seite der Union gegen Sklaverei. Foto: Library of Congress

Kurze Zeit später, im November 1861 legte er einen Gesetzesentwurf zur Befreiung der Sklaven vor, ein Jahr vor Lincolns Emanzipationsproklamation. Ab diesem Zeitpunkt veränderte sich der amerikanische Bürgerkrieg zu einem Befreiungskrieg. Bis Mitte 1862 war Lincoln noch strikt gegen die Befreiung aller Sklaven. Seit Kriegsbeginn war das Hauptziel für die Union unter Lincoln, die Abspaltung weiterer Staaten zu verhindern, in denen Sklaverei noch erlaubt war. Der Druck durch die zur Unionsarmee geflohenen Afroamerikaner zwang ihn schließlich, die Emanzipation der Sklaven auf Konföderierten-Gebiet auszurufen und die Rekrutierung Schwarzer in die Armee zur ermöglichen.

Filmtipp: Glory (1989)
Der heldenhafte Einsatz des 54. Regiments im Kampf um Fort Wagner füllt das zweistündige Meisterwerk von Edward Zwick. Obwohl er sich nicht an alle historischen Fakten hält – die Soldaten waren nicht wie im Film befreite Sklaven, sondern freie schwarze Männer aus den Nordstaaten, die bewusst am Krieg teilnahmen, um die Aufnahme geflohener Sklaven in die Nordstaatenarmee zu ermöglich – vermittelt er die entscheidende Rolle, die Afroamerikaner im Kampf für die Abschaffung der Sklaverei eingenommen haben.

Trotz massiver Einschüchterungsversuche von weißen Konföderierten-Milizen strömten Schwarze zu Zehntausenden aus den Südstaaten in die Unions-Armee. Dazu kamen 34.000 aus den Nordstaaten, was 15% der gesamten freien schwarzen Bevölkerung ausmachte. Insgesamt kämpften über 180.000 Schwarze im Bürgerkrieg. Für sie war es von Anfang an ein bewusster Krieg gegen die Sklavenhalter – ein Kampf um die eigene Freiheit. Während des Kriegs bauten viele weiße Soldaten und Offiziere ihre Vorurteile gegenüber Schwarzen ab.

Besonders stach das 54. Regiment hervor, in dem schwarze Soldaten aus den Nordstaaten erstmals in einer eigenen Einheit kämpften. Es hatte sich in der Schlacht um Fort Wagner besonders verdient gemacht, wo es den Angriff angeführt hatte. Der größte Anteil waren freie Afroamerikaner mit einem höheren Bildungsstand als durchschnittliche Weiße. Die Entschlossenheit mit der die schwarzen Soldaten in diese Schlacht gegangen waren, bildete den Startschuss für den Zustrom Schwarzer in die Unionsarmee.

Obwohl sie die entscheidende Wende im Krieg gebracht hatten, mussten sie darum kämpfen, den gleichen Sold wie ihre weißen Kameraden zu bekommen. Es kam zu gemeinsamen Protestaktionen, bei denen weiße Soldaten sich solidarisch weigerten ihren Sold anzunehmen, wenn nicht alle dasselbe erhielten. Der Kampf der Sklaven um ihre Befreiung strahlte auf ihr Umfeld aus. Er wurde zum Kampf der ausgebeuteten Klassen aller Hautfarben gegen die herrschenden Verhältnisse. Die Integration von Afroamerikanern in die Reihen der Unionsarmee legte den Grundstein für die allgemeine Abschaffung der Sklaverei. Zuerst hatten die befreiten Sklaven der Unionsführung die Aufnahme in die Armee aufgezwungen, dann machte der überzeugte Kampf für ihre Freiheit die Rückkehr zu Vorkriegsverhältnissen undenkbar.

Die Landfrage

Eine der wichtigsten und radikalsten Forderungen der Abolitionisten wie Thaddeus Stevens fand weder unter den radikalen Republikanern und schon gar nicht im Kongress eine Mehrheit: Land für die befreiten Sklaven. Die Menschen, die seit ihrer Geburt dazu gezwungen worden waren, sich auf den Feldern für den Wohlstand ihrer Peiniger zu Tode zu rackern, sollten sich nach ihrer Befreiung ein neues Leben aufbauen können.
Der Druck durch die befreiten Sklaven erzwang schließlich eine Entscheidung. Die Befreiten hatten eine gute Vorstellung davon, welchen Reichtum sie und ihre Vorfahren für die Plantagenbesitzer und in Folge für die Händler und Fabrikanten im Norden geschaffen hatten. Jetzt forderten sie ihren Anteil in Form bewirtschaftbaren Landes.

Unionsgeneral William Tecumseh Sherman erließ schließlich die „Special Field Orders No. 15“ nach denen jedem befreiten Sklaven „40 acres and a mule“, also rund 16 Hektar Land und ein Maultier zur Bewirtschaftung zustünden. Zu diesem Zweck wurden rund 1.600 Quadratkilometer Land in South Carolina enteignet.

Rückschläge nach Kriegsende

Nur wenige Wochen vor dem Sieg der Union wurde Abraham Lincoln von einem fanatischen Südstaatler erschossen. Kurz davor hatte er noch den 13. Verfassungszusatz verabschieden lassen und damit die Sklaverei in den USA verboten. Der auf die Ermordung Lincolns als Präsident folgende Sklavenhalter und Demokrat Andrew Johnson suchte nach Kriegsende die Versöhnung mit den Südstaaten-Führern. Er forderte von ihnen nur die Ratifizierung des 13. Verfassungszusatzes (Abschaffung der Sklaverei) und gab ihnen enteignetes Land zurück. Er handelte damit nicht nur im Sinne der besiegten Plantagenbesitzer, sondern auch der Kapitalisten aus den Nordstaaten. Diese beriefen sich auf die Logik des freien Marktes, forderten die langsame Akkumulation von Eigentum und sahen in den Schwarzen neue, billige Arbeitskräfte.

Die Festigung der politischen Macht der ehemaligen Sklavenhalter durch Johnson schürte Massaker an schwarzen und weißen Republikanern in den Südstaaten. Die Mid-Term-Wahl 1866 schaffte große Mehrheiten für die Republikaner in Senat und Repräsentantenhaus. Die folgenden Jahre gingen als die Zeit der „Radical Reconstruction“ (radikaler Wiederaufbau), oft die zweite amerikanische Revolution genannt, in die US-Geschichte ein.

Die Zeit des Wiederaufbaus 1868-1877

Johnsons Präsidentschaft hatte die eigentlich besiegte Sklavenhalter-Elite und ihre Demokratische Partei neu erstarken lassen. Die radikalen Republikaner sahen in der Besatzung durch Truppen die einzige Lösung eine Rückkehr zu Vorkriegsverhältnissen zu verhindern. Ab 1868 waren die Südstaaten in fünf Militärdistrikte unterteilt. Unter der Leitung des „Freedmen‘s Bureau“ wurden neue Regierungen gewählt. Alle Männer, auch schwarze, erhielten das passive und aktive Wahlrecht und in fast allen Bezirken waren danach die Republikaner an der Macht. Der Erfolg war sichtbar: über 800 lokale Politiker waren schwarz, vierzehn Kongress-Abgeordnete und zwei Senatoren. Viele von ihnen hatten im Krieg gekämpft.

Die erste Wahl, an der Afroamerikaner teilnehmen durften. November 1867. Foto: Library of Congress

Diesen Machtausbau der Republikaner war alleine durch die Wahlbeteiligung der Schwarzen nicht zu erklären. Es wurden Wahlkämpfe geführt, die sich an die gesamte arme Bevölkerung richteten. Ein Wahlspruch lautete: „Lasst euch von der Sklavenhalter-Aristokratie nicht länger beherrschen. Wählt für eine Verfassung, die euren Kinder freie Bildung bietet und die Armen von ihren reichen Gläubigern befreit.“
Und tatsächlich arbeiteten die neuen Regierungen im Sinne der Mehrheitsbevölkerung und nicht mehr im Sinne der alten Herrscher. Es vollzog sich ein gesellschaftlicher Wandel in den Südstaaten. Überall entstanden Schulen: nicht nur für die großteils in Analphabetismus gehaltenen ehemaligen Sklaven, sondern auch für viele arme Weiße gab es erstmals Möglichkeiten zur Bildung.

Im Zuge der politischen Bildung hatte es bereits ab 1865 zahlreiche Versammlungen von Schwarzen mit Hunderten Beteiligten gegeben. Die Hauptziele waren die Staatsbürgerschaft und das damit verbundene allgemeine Wahlrecht für alle. Der 14. und 15. Verfassungszusatz, die Staatsbürgerschaft und Wahlrecht für Schwarze ermöglichten, waren wichtige Erfolge dieser Emanzipationsbewegungen in der Zeit der Reconstruction. Doch die ökonomischen Verhältnisse blieben unangetastet. Die Reichen waren dieselben weißen Plantagenbesitzer wie vor dem Krieg und die meisten Afroamerikaner_innen waren gezwungen, weiter auf deren Feldern zu schuften. Der Abzug der Nordstaaten-Armee läutete das Ende der Reconstruction-Ära ein. Die Nordstaaten-Kapitalisten setzten die Soldaten im Norden gegen einen Streik der Eisenbahner ein.

Hier zeigte sich eine wichtige Schwäche der Befreiung von oben. Die Arbeiter_innen aus dem Süden und Norden waren zwar organisiert, aber nicht über die Grenzen hinweg. Es hatte nicht die Notwendigkeit gegeben, gemeinsam das alte System loszuwerden. Diese Schwäche ermöglichte die Konterrevolution im Süden.

Konterrevolution und Ku Klux Klan

Der Geheimbund Ku Klux Klan und die offen auftretende White League verbreiteten weißen Terror und wurden dafür von den Demokraten mit Posten belohnt.

Historiker Eric Foner schreibt in seinem Werk Reconstruction: America‘s Unfinished Revolution über das Wesen des Ku Klux Klans(KKK): „Der Klan war eine militärische Macht und diente dem Interesse der Demokratischen Partei, der Plantagenbesitzer-Klasse und all jenen, die sich eine Wiederherstellung der Vorherrschaft der Weißen wünschten.“ Entstanden nach Ende des Bürgerkrieges verbreiteten KKK-Mitglieder Terror unter politischen Gegnern und besonders Afroamerikaner_innen. Politische Führer wurden gezielt ermordet, andere kamen mit dem Leben davon und wurden „nur“ verprügelt. Es kam auch regelmäßig zu Hetzjagden wie im Oktober 1870 als 150 Menschen aus ihren Häusern geholt und von einem Klan-Mob vor sich hergetrieben und 13 von ihnen ermordet wurden.

Das gemeinsame Ziel des KKK war der Sieg über die Republikaner und die Umkehr der Reconstruction. Der wichtigste Grund, sich dem Klan anzuschließen, war die Überwachung der schwarzen Bevölkerung.

Weißer Terror aus der Mittelklasse

Wie die Untersuchungen von Michael W. Fitzgerald ergaben, kam eine große Mehrheit der Klan-Mitglieder aus Sklavenhalter-Familien oder deren Umfeld. Beispielsweise Aufseher besaßen meist kleinere Plantagen und ihr gesamter Besitz waren Sklaven. Durch die Abschaffung der Sklaverei verarmten sie schlagartig. Söhne dieser Familien sahen sich ihres Erbes beraubt und traten dem Klan bei. In den Entstehungsjahren des KKK machten sie den größten Teil der Mitglieder aus. In den folgenden Jahren schlossen sich Anwälte, Redakteure und Demokraten-Politiker an, die sich von den Gesetzgebungen der Reconstruction ihrer Privilegien beraubt fühlten.

Protofaschismus

Immer wieder veranstaltete der Klan auch Massenaufmärsche um Gegner_innen einzuschüchtern. Es lassen sich durchaus Parallelen zu weit später entstandenen faschistischen Bewegungen ziehen. Klan-Führer verlangten die Wiedereinführung der Sklavenarbeit für Schwarze und verfolgten das Ziel, diese von Bildung, politischer Beteiligung und Organisationen fernzuhalten. Gezielte Ermordungen politisch Aktiver, Zerschlagung politischer Versammlungen und Beeinflussung von Wahlen durch Terror waren Mittel um schwarze Arbeiter_innen kleinzuhalten.
Der dauerhaft herrschende weiße Terror war so erfolgreich, dass im Laufe der 1870er-Jahre der noch im Geheimen agierende Klan in der offen auftretenden aber nicht weniger mörderischen White League und den Red Shirts aufging. Nach erfolgreichen Wahlen für die Demokraten wurden diese Paramilitärs mit Posten in der Nationalgarde belohnt.

Die Lehren ziehen

Die Reconstruction Era zeigt nicht nur die Möglichkeit für ein friedliches Zusammenleben von Schwarzen und Weißen trotz Jahrhunderten der Versklavung. Zahlreiche Verbesserungen für die Mehrheitsbevölkerung wurden in wenigen Jahren umgesetzt. Die Grundlage dafür war der gemeinsame Kampf Schwarzer und Weißer gegen die Föderation. Die Aufnahme von ehemaligen Sklaven in die Armee und die weiteren Fortschritte wie Enteignungen, Wahlrecht, Staatsbürgerschaft und Bildungszugang waren immer durch den Druck der schwarzen Bevölkerung ausgelöst worden.

Dass schlussendlich die Konterrevolution der Demokratischen Partei, mit Hilfe des weißen Terrors, siegen konnte, lag vor allem an der Abhängigkeit der Fortschritte vom parlamentarischen System und den Republikanern. Die Befreiung von oben hatte die Bildung von Basis-Kampforganisationen gebremst. Als die Union sich aus den Südstaaten zurückzog, fehlten diese, um die Erfolge gegen die alten Herrscher zu verteidigen.

Seither hat es zahlreiche Kämpfe um Gleichstellung von Schwarzen in den USA gegeben. Dass diese immer noch notwendig sind, hat seinen Ursprung in der Niederlage der revolutionären Bewegung während der Reconstruction-Ära. Um die Überreste der Sklavenhaltergesellschaft endgültig loszuwerden, braucht es eine erneute Revolution, die unabhängig von den etablierten Parteien agieren muss.