Tausende in Wien für offene Grenzen: „2015 haben wir gezeigt, dass es geht“

2015 kann und muss sich wiederholen. In Wien protestierten am Freitagabend über 3.000 Menschen für die sofortige Öffnung der Grenzen zwischen Griechenland und der Türkei. Linkswende jetzt hat mit Teilnehmer_innen auf der Demonstration gesprochen.
6. März 2020 |

Laut, wütend und entschlossen zogen  am Freitagabend am 6. März tausende Menschen vom Platz der (gebrochenen) Menschenrechte über den Ring zum „Polizeianhaltezentrum Roßauerlände“, einem von Wiens berüchtigten „Schubgefängnissen“ und verlangten die Öffnung der Grenzen für Flüchtlinge. Jung und alt, Österreich und Nicht-Österreicher protestierten gemeinsam gegen das mörderische Grenzregime der Europäischen Union (EU) und die besonders schändliche Vorreiterrolle des österreichischen ÖVP-Kanzlers Sebastian Kurz und dessen Innenminister Karl Nehammer.

„Es ist doch Schwachsinn, dass Menschen aus verschiedenen Kulturen nicht zusammenleben können. Das wollen uns ÖVP und FPÖ nur einreden“, erzählt Issa aus Afghanistan gegenüber Linkswende jetzt. Er zeigt sich mutig: „Irgendwelche Grenzen werden uns nicht davon abhalten, gemeinsam gegen diese unmenschliche Politik zu kämpfen.“ Besonders junge Demonstrant_innen riefen immer wieder Sprüche wie „Fick die ÖVP“ oder „Mauern einreißen, ÖVP geh scheißen“. Aufgerufen hatte die Allianz Cross Border Solidarity.

Mörderische EU-Grenzpolitik

Die 13-jährige Roxi erzählt, dass sie in der Schule gerade den Zweiten Weltkrieg behandelt haben, und damals „so viele ermordet wurden, weil sie anders waren“. Jetzt würden „wieder Menschen ausgegrenzt, nur weil sie woanders geboren wurden. Wir sind doch alle Menschen!“ Dies dürfe nie wieder passieren. Roxi engagiert sich im Jugendrat und bei Fridays for Future Wien. Unter den Demonstrant_innen waren auch die Grün-Abgeordneten Ewa Ernst-Dziedzic, Faika El-Nagashi und Süleyman Zorba, und die stellvertretende SPÖ-Bezirksvorsteherin der Inneren Stadt, Mireille Ngosso, sowie die ehemalige Skirennläuferin Nicola Werdenigg.

Aktivist_inenn der Plattform für eine menschliche Asylpolitik mit der ehemaligen Skirennläuferin Nicola Werdenigg (Zweite von links). Foto: Plattform für eine menschliche Asylpolitik

Leo, Student der Germanistik, fragt sich, welche Werte die EU vertritt: „Sie unterstützt die Ermordung von Menschen. Das Leid ist ihr einfach egal.“ Das beschäftigt auch Bauchtechniker Max: „Die EU ist einfach nur ein Wirtschaftszusammenschluss, der keine Werte hat. Eine Währung ist kein Wert.“ Die Soziologie-Studentin Alina sieht Europa in der Pflicht: „Wieso gibt es diese Scheiß-EU eigentlich, wenn nicht um gemeinsam zu helfen?“ Sie fordert zum sofortigen Handeln auf.

2015 muss sich wiederholen

Altenpflegerin Christa kann es noch nicht fassen, was gerade an den Grenzen passiert. Sie war schon 2015 in der Flüchtlingshilfe aktiv: „Ich habe die euphorische Stimmung erlebt, als wir die Flüchtlinge willkommen geheißen haben. Wir haben gezeigt, dass es geht!“ Sebastian Kurz, die FPÖ und die Neonazis der „Identitären“ haben jahrelang Stimmung gemacht, dass sich das (in ihren Augen) Schreckgespenst 2015 nicht mehr wiederholen darf. Die Demonstration bewies das Gegenteil: 2015 kann sich wiederholen.

Die Plattform für eine menschliche Asylpolitik mobilisierte bereits für die nächste Großdemo am UN-Tag gegen Rassismus, 21. März, und organisierte eine Fotoaktion unter dem Hashtag #WirHabenPlatz. Schülerin Lisa sagt, dass wir Menschen in Not helfen müssen und können: „Es würde niemandem weh tun, wenn wir die Grenzen einfach aufmachen und die Flüchtlinge bei uns in Sicherheit bringen. #WirHabenPlatz bringt das gut auf den Punkt!“

#WirHabenPlatz

Innsbrucks grüner Bürgermeister Georg Willi hat bereits angekündigt, 200 Flüchtlinge aufzunehmen. Vizebürgermeisterin Birgit Hebein zog nach, sie will auch in Wien Menschen aufnehmen, ebenso wie die grüne Landessprecherin im Burgenland, Regina Petrik. In Oberösterreich hat die SPÖ die Allianz BürgermeisterInnen mit Herz gegründet. Auch immer mehr ÖVP-Bürgermeister wollen Menschen in Not zu sich holen.

Bautechniker Max ist entsetzt, wie Menschen an der Grenze als Druckmittel eingesetzt werden. Dabei hätten wir Platz, meint Max: „Wir könnten so viele Flüchtlinge aufnehmen. Wie kann sich Österreich das Recht herausnehmen, einfach die Grenzen zu schließen und mit Waffen bewachen zu wollen?“

Polizei versuchte einzuschüchtern

Bereits auf der Auftaktkundgebung am Platz der (gebrochenen) Menschenrechte provozierte die Polizei unter Karl Nehammer mit einem besonders engen, durch mehrere Mannschaftswägen rund um die Demo aufgestellten Kordon und halbierte dadurch den Sammelplatz – offenbar, um den Platz möglichst unattraktiv zu machen (die Kundgebung staute sich bis weit in die Mariahilfer Straße hinein) und Menschen durch martialische Präsenz einzuschüchtern.

Foto: Linkswende jetzt

Es dauerte nicht lange, da verhaftete die Polizei schon am Auftakt einen ersten Aktivisten. Gegen Ende hat die Polizei auch noch einen größeren Teil der Demonstration angegriffen und mindestens einen weiteren Aktivisten verhaftet, zuvor flogen ein paar faule Eier und Kracher auf die ÖVP-Zentrale. Von der Polizeirepression ließen sich die Teilnehmenden aber nicht einschüchtern. Bis in die späten Abendstunden, nach Ende der Kundgebung, protestierten noch immer hunderte Menschen vor dem Schubgefängnis.

Redaktionelle Mitarbeit: Katharina Anetzberger.
Demonstration am UN-Tag gegen Rassismus, 21. März 2020,
14:00 Uhr, Karlsplatz Wien.