Trumps Sieg verstehen

Der Wahlerfolg Donald Trumps schockierte Millionen Menschen in den USA und rund um den Globus. Doch Wut und Besorgnis, so berechtigt sie auch sind, sollten nicht in Panik oder Hoffnungslosigkeit münden. Wir müssen protestieren, aber auch verstehen, wie das passieren konnte – um unseren Widerstand jetzt und in der Zukunft besser organisieren zu können.
23. November 2016 |

Das Wahlergebnis ist Teil einer politischen Polarisierung, die international zu beobachten ist und die aus einer tiefen Krise des globalen Kapitalismus resultiert. Neoliberalismus produzierte eine Gesellschaft, in der der Reichtum des obersten 1 Prozent in schwindelnde Höhen schnellte, während die Löhne seit 1973 stagnieren, 48 Millionen Menschen in den USA unter der Armutsgrenze leben, 8 Millionen seit dem 2008er-Crash ihr Zuhause verloren und 12 Millionen nur mit Lebensmittelmarken überleben. Das ist der Kontext in dem manche „rebellieren“, wenn auch auf furchtbare Weise, gegen das, was sie als den Status Quo und das Establishment begreifen. Gleichzeitig sollten wir nicht den Schluss ziehen, dass Trumps Sieg bedeutet, dass die Mehrheit der US-Amerikaner_innen komplett anfällig für Rassismus und Sexismus wären.

Erstens ist die Auffassung, dass „alle Amis“, oder alle „dummen“ US-Amerikaner_innen Trump gewählt hätten, vollkommen falsch: Von den rund 325 Millionen Menschen in den USA sind – aufgrund vielfacher Hürden für Arme und Dunkelhäutige – nur 230 Millionen als Wähler_innen registriert. Von denen sind nur rund 124 Millionen tatsächlich zur Wahl gegangen, eine weitaus geringere Beteiligung als 2008 und 2012 als Obama gewonnen hat, und nur 59 Millionen haben Trump gewählt. D.h. weniger als ein Viertel der erwachsenen Bevölkerung und weniger als 20 Prozent aller in den USA lebenden Menschen hat für Trump gestimmt.

Außerdem hatte Trump sogar um rund 200.000 Stimmen weniger als Clinton, lediglich aufgrund des „Wahlmännermechanismus“ hat er die Wahl gewonnen. Insofern ist die wichtige Frage, warum Trump die sogenannten „Swing States“ – Florida, North Carolina, Ohio und, entscheidend, Wisconsin, Michigan und Pennsylvania gewonnen hat? Diese letzten drei wurden 2008/12 noch von Obama gewonnen, sind „normalerweise“ demokratisch und werden von 46 der Wahlmänner repräsentiert. Hätte Clinton sie halten können, wäre sie jetzt am Weg ins Weiße Haus. Wieso hat Trump in diesen Staaten gewonnen?

Rostgürtel

Diese Staaten, mit Ausnahme von Florida und North Carolina, sind Teil des gemeinhin bekannten „Rust Belt“ (Rostgürtel). Diese Bezeichnung bezieht sich auf den dramatischen wirtschaftlichen Abschwung und städtischen Verfall aufgrund der Abwanderung von Industrie seit den 1980er-Jahren. Diese Regionen wurden zu wirtschaftlichem und sozialem Brachland und die dort lebenden Menschen, speziell Weiße aus der Arbeiter_innenklasse, fühlen sich völlig sitzengelassen und sind äußerst wütend. Einige von ihnen – keinesfalls alle – wählten Trump.

Für sie war Hillary Clinton so ziemlich die schlechteste Kanditatin, die die Demokratische Partei aufstellen hat können. Sie fühlten sich schon von Obama im Stich gelassen, dessen „Hoffnung“ sich niemals materialisierte. Und Clinton, die Karriere-Politikerin aus dem Establishment, unterstützt von Wallstreet und Washington, bedeutete nur mehr vom selben. Clinton sah Wisconsin, Michigan und Pennsylvania mehr oder weniger als selbstverständlich an, während Trump dort seine Chance witterte und sie geschickt anvisierte. Er versprach Jobs und „Amerika wieder groß“ zu machen.

Die Wahltagsbefragung der New York Times zeigte eine der stärksten Korrelationen zwischen jenen, die die wirtschaftlichen Bedingungen als exzellent oder gut betrachten und Clinton wählten (86% bzw. 76%) und jenen, die sie als schlecht einschätzen und Trump wählten (79%). Bernie Sanders, der die Wallstreet und das oberste 1% angriff und zu einer „politischen Revolution“ aufrief, hätte bei diesen Menschen eine Chance gehabt. Und viele, die nicht Trump wählten, wählten auch nicht Clinton. Sie bekam um 10 Millionen weniger Stimmen als Obama 2008 und um 6 Millionen weniger als Obama 2012 bekam. Doch die obersten Reihen der Demokratischen Partei wollten um jeden Preis eine „sichere“, pro-kapitalistische Hillary Clinton als einen „gefährlichen“, sozialistischen Sanders.

Rassismus und Sexismus

Wie passt Trumps Rassismus und Sexismus da hinein und deutet das auf eine rassistische und sexistische Arbeiter_innenklasse hin? Diese Frage ist komplex aber wichtig. Zunächst ist es wichtig festzuhalten, dass Sozialist_innen nicht nur aus Solidarität mit den Betroffenen gegen Rassismus und Sexismus kämpfen, sondern auch um zu verhindern, dass Arbeiter_innen so abscheuliche Reaktionäre wie Donald Trump unterstützen, der ihren wahren Interessen fundamental entgegengesetzt ist.

Einerseits gibt es Arbeiter_innen die bitter wütend sind und meinen, natürlich ist Trump ein Rassist und Sexist, aber zumindest könnte er etwas für uns tun, was mehr ist als irgendjemand anderer tun würde. Andererseits gibt es einige – nicht alle – die auf seine Argumente rein fallen, dass der Grund für ihre Verarmung die Migrant_innen/Schwarze/Ausländer_innen seien. So funktioniert Rassismus und Sexismus in der Arbeiter_innenklasse und ist umso erfolgreicher, je weniger die Linke Armut und Ausbeutung tatsächlich konfrontiert. Das war bei dieser Wahl der Fall. Aber wir sehen in ganz Europa ähnliche Prozesse.

Es stimmt nicht, dass Rassismus und Sexismus in den mittleren und oberen Klassen weniger vorherrschend seien – ganz im Gegenteil – aber die Funktionsweise ist unterschiedlich. Erstens werden sie in höheren Kreisen „freundlicher“ formuliert, während die Sprache in der Arbeiter_innenklasse „ungehobelter“ ist. Zweitens führen Rassismus und Sexismus in den oberen Klassen nicht dazu, gegen die eigenen Klasseninteressen zu wählen, wie das in der Arbeiter_innenklasse der Fall ist, vielmehr wird er dazu genutzt, ihre Interessen zu verfolgen. Drittens gibt es wohlhabende, liberale Teile für die gegen Rassismus, Sexismus und Homophobie zu sein eine Sache des Prinzips ist, während Themen wie Ausbeutung und Ungleichheit absolut nicht interessieren.

Alternativen

Arbeiter_innen können die Welt nicht so sehen wie diese Liberalen. Wirtschaftliche Angelegenheiten sind für sie tagtägliche Notwendigkeit. Erst in Kämpfen zeigt sich für sie die Notwendigkeit der Einheit – zwischen Schwarzen und Weißen, Frauen und Männern, Heteros und LGBT, etc.

Wer wählte Trump?

Wer wählte Trump?

Wenn kollektive Kämpfe und sozialistische Ideen nicht greifbar sind, ist die Gefahr populistischer Engstirnigkeit sehr real. Insofern muss jegliche Tendenz, die „weiße“ Arbeiter_innenklasse zu ignorieren oder gar abzuschreiben, fundamental abgelehnt werden, da dies nur den Rechten in die Hände spielen würde. Das ist der Grund, warum die Niederlage Sanders und seine Unterstützung für Clinton so schädlich waren und warum die Frage von Politik und einer linken Systemkritik so zentral ist. Was gebraucht wird ist nicht eine „hoffnungsvollere“ Michelle Obama, sondern, wie Bernie Sanders sagte, eine politische Revolution und auch eine soziale Revolution, was wiederum einer Massenbewegung von unten bedarf.

Dies ist eine gekürzte und überarbeitete Version eines Artikels der zuerst auf englisch im irischen Socialist Worker erschien. Übersetzung aus dem Englischen: Judith Litschauer.
Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.