Unverhüllter Rassismus: Das Kopftuchverbot für Schülerinnen
Körperliche Attacken auf offener Straße, angespuckt werden, Beschimpfungen in der Öffentlichkeit, Dämonisierung durch die Medien, Diskriminierung bei Arbeits- und Wohnungssuche, Diskriminierung in der Schule, an der Universität und am Arbeitsplatz, Hassobjekt von Nazi-Aufmärschen, Berufsbeschränkungen und schließlich das Kopftuchverbot für Schülerinnen bis 14 Jahren – das sind nur einige der Erscheinungsformen von antimuslimischem Rassismus in Österreich in den letzten Jahren.
Worum es Sebastian Kurz mit der geforderten Einführung des Kopftuchverbots für Schülerinnen bis 14 Jahren geht, darüber kann es keinen Zweifel geben: Die Demütigung einer Minderheit ist ein zentraler Teil seines Programms. Natürlich argumentiert er mit den Schlagworten „Integration“ und „Schutz von Mädchen“, aber wie der katholische Theologe Paul M. Zulehner am 13. Jänner so treffend formulierte, ist „Demütigung kein guter Weg zur Integration!“ Und Vorurteile gegen kopftuchtragende Mädchen weiter anzufeuern, bewirkt das Gegenteil von Schutz, es exponiert sie als Feindbild und Hassobjekt von ohnehin zunehmend gewaltbereiten Rassisten.
Was Bundeskanzler Sebastian Kurz erreichen will, ist ganz einfach: die politische Grundstimmung weiterhin nach rechts verschieben, und die Rassisten, die von der FPÖ zur ÖVP gewandert sind, halten. Er will außerdem, was Rassismus immer bewirkt: Sündenböcke, Ablenkung von unsozialer Politik, die Gesellschaft und dabei vor allem die Werktätigen spalten, in eine gedemütigte Minderheit und in eine Gruppe, die sich entsolidarisiert und der überlegenen Mehrheit zugehörig fühlt. Wer sich so den Mächtigen zuwendet, rückt dabei nach rechts. Zulehner schreibt dazu: „Es ist nicht zuletzt ein Prozess nachhaltiger Entsolidarisierung, der betrieben wird. Wer mit Fremden nicht solidarisch sein kann, verlernt es auch in der Familie und im Betrieb.“
Kurz ist kein Einzelfall in Europa oder der westlichen Welt. Donald Trump peitschte mit einem „Muslim Ban“ seine reaktionäre Basis auf. George Bush und Tony Blair führten unter dem Banner eines Kriegs der zivilisierten Welt gegen den Islam Krieg in Afghanistan und im Irak. Und die neue EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen wollte die für die Abwehr von Einwanderern zuständige EU-Kommission mit „Schutz der europäischen Lebensart“ benennen, was zu Recht als Anbiederung an den Rechtsextremismus für heftige Kritik sorgte. Das zeigt, wie wichtig Islamfeindlichkeit als Machtinstrument geworden ist.
Aber Islamfeindlichkeit ist nicht die einzige Ausformung von Rassismus im Repertoire der Politiker. Zuwanderung bzw. Migration und Asylpolitik werden meist gleichzeitig mit islamfeindlichem Rassismus bedient. Sebastian Kurz forderte wiederholt eine restriktive Migrationspolitik, die Schließung der Balkanroute, die Kontrolle über unsere Grenzen, und gelegentlich bringt er die unfassbare Aussage, Einwanderung sei genauso bedrohlich wie der Klimawandel.
Säkularismus falsch verstanden
Den Grünen kann man kaum vorwerfen, dass sie aus denselben niedrigen Motiven wie Sebastian Kurz handeln, dennoch unterstützen sie die Forderung nach einem Kopftuchverbot. Dabei lehnen nur 26 Prozent der Grünwähler_innen das Kopftuch ab, wie Zulehner aus seiner Studie Religion im Leben der Österreicher*innen 1970-2020 zitiert. Dafür sind 60 Prozent der Kopftuchgegner FPÖ-Sympathisanten und 51 Prozent sympathisieren mit der ÖVP. Die Grünen gefährden also ihre Stellung als progressive antirassistische Partei. Warum? Der Hauptgrund liegt im Mythos von Säkularismus, also der Trennung von Staat und Religion, als Grundlage für die moderne Rechtsstaatlichkeit Europas.
Diese Trennung sei gefährdet oder würde durch religiöse Muslime untergraben, behaupten Befürworter des Kopftuchverbots, die sich selbst zum progressiven Lager zählen. „Die Religionskritik entspringt einem realen Problem“, schreibt Kate Davison im Magazin Theorie21. „Religion wurde und wird von den herrschenden Klassen als Mittel der Unterdrückung benutzt. Das säkularistische Prinzip gehört daher zu den Grundpositionen linker, emanzipatorischer Politik.“ Aber, schreibt sie an anderer Stelle, es ist „ein Irrtum zu glauben, dass von einem bürgerlichen Staat erlassene Verbote oder die von ihm geschaffene Ungleichbehandlung Betroffene davon überzeugen können, dass sie keine Religion brauchen würden. Gerade im Kontext des zunehmenden Rassismus gegen Muslime müssen wir erkennen, dass Religionskritik als Kritik des Islams eine reaktionäre Rolle spielt.
Es geht nicht darum, dass Linke ihre Kritik an jeder Religiosität einschränken oder gar zurücknehmen sollten. Es geht vielmehr darum, das Recht religiös-kultureller Minderheiten wie der Muslime oder der Juden auf freie Ausübung ihres Glaubens uneingeschränkt zu verteidigen.“
Offensichtlich tun sich religiöse Institutionen, wie die katholische Caritas oder die protestantische Diakonie, leichter damit, die religiöse Minderheit der Muslime im Angesicht rechtsextremer Angriffe oder im Falle staatlich organisierter Feindseligkeit zu verteidigen, als viele Linke und Liberale, wie die Grünen. Das ist die Folge einer längeren Entwicklung: Seit den 1990ern zogen sich die EU-Staaten von ihren Verpflichtungen gegenüber der Genfer Menschenrechtskonvention mehr und mehr zurück.
Die extreme Rechte, in Österreich die FPÖ, trieb diesen Prozess mit aggressiven Kampagnen an, die darin mündeten, dass Flüchtlingshelfer als Teile eines kriminellen Netzwerks diffamiert wurden, und Flüchtlinge selbst als kriminelle Bedrohung. Übrig blieben als Anlaufstellen für Hilfesuchende religiöse Institutionen, wo vormals staatliche Institutionen diese Aufgaben wahrnahmen. Die Themen Migration und Religion sind in einem breiten Spektrum kombiniert worden, besonders wo religiöse Institutionen und Netzwerke Hilfe und politische Vertretung für Zuwanderer und Angehörige rassistisch diskriminierter Gruppen anboten.
Den Grünen kann das noch große Probleme bereiten, denn kein geringer Teil ihrer Basis hat sich aktiv in der Flüchtlingshilfe und in den antirassistischen Protestbewegungen engagiert. Diese Aktivist_innen haben Muslim_innen als politische und solidarische Mitstreiter kennengelernt mit welchen sie gemeinsam ankommende Flüchtlinge unterstützt und vor rassistischen Attacken verteidigt haben. Klar ist, dass Säkularismus als Begründung für die Unterstützung staatlicher Unterdrückungsmaßnahmen ein schwaches, leicht zu entkräftendes Argument ist. Nicht die Minderheit der gläubigen Muslime gefährdet die moderne Rechtsstaatlichkeit, viel mehr sind es Politiker wie Kurz und Parteien wie FPÖ und ÖVP, die mit ihrem autoritären Kurs demokratische Errungenschaften infrage stellen und stückweise abschaffen.
Linke oder liberale Religionskritik, die sich herablässt staatliche Repression einer religiösen Minderheit zu unterstützen, verkommt zu einem Hindernis für ihre eigene Sache: der Opposition gegen Faschismus, Rassismus und Unterdrückung.