Warum wir Israel verurteilen
Am 14. Mai 2018, dem 70. Jahrestag der Unterzeichnung der israelischen Gründungsurkunde durch David Ben-Gurion, erschossen israelische Soldaten 60 palästinensische Demonstranten über die Grenze hinweg auf palästinensischem Boden in Gaza. Man kann sagen, das war eine dem Staat Israel würdige Begehung seines Gründungstags: 750.000 Palästinenser_innen wurden systematisch vertrieben, als Israel vor 70 Jahren gegründet wurde.
Deshalb ist das, was die israelische Seite als 70 Jahre Unabhängigkeit feiert, in der arabischen Welt als Nakba (Katastrophe) bekannt. Das Unrecht, das seither den Palästinenser_innen angetan wird, gilt für Araber_innen und für unterdrückte Völker auf der ganzen Welt als Exempel für die Willkür und Brutalität der imperialistischen Supermächte. In der Identifikation der arabischen Bevölkerung mit den Palästinenser_innen liegt auch das größte Risiko in der Politik Israels für den von den USA angeführten westlichen Imperialismus!
Karte des kleiner werdenenden palästinensischen Territoriums 1946-2010, Grafik: © Linkswende jetzt
Gewalt regiert
Aus Sicht der palästinensischen Bevölkerung sind Gewalt und Unrecht eine Existenzgrundlage Israels. Wenige Monate vor dem „Unabhängigkeitskrieg“ und der Staatsgründung Israels hatten die Vereinten Nationen – ohne Zustimmung der Palästinenser – beschlossen, Palästina zu teilen.
Der Teilungsplan vom November 1947 sah vor, 56% des Landes den jüdischen Siedlern zuzusprechen, die gerade einmal 6% des Landes besaßen und bis dahin nur ein Drittel der Bevölkerung ausmachten. Allerdings hatten die Gründer Israels niemals die Absicht, sich mit diesen 56% zufrieden zu geben.
Ben-Gurion schrieb, dass Israels Grenzen mit Gewalt festgelegt werden würden und nicht von einem Teilungsplan. Er sagte gegenüber Mitgliedern der ersten israelischen Regierung, dass es für den jüdischen Staat keine territorialen Grenzen geben würde.
Im Laufe des Unabhängigkeitskriegs eroberte Israel 80% des palästinensischen Gebietes. Sein Gegner in dem Krieg waren die schlecht organisierten und demotivierten Armeen der korrupten Staatschefs von Ägypten, Syrien, Libanon, Jordanien und Irak, die eher einen Teil des Kuchens für sich wollten als Unabhängigkeit für Palästina.
Für Israel kämpften hoch motivierte Flüchtlinge und Überlebende des Holocaust, sowie zionistische Siedler. Die Zionisten verfolgten schon länger den Plan eines ethnisch reinen jüdischen Staates Eretz-Israel (Groß-Israel).
Kampf gegen Antisemitismus
Aber nicht alle jüdischen Siedler waren Anhänger dieser aggressiven Politik. Vor allem jüdische Sozialist_innen leisteten heroischen Widerstand dagegen. Sie bauten eine arabisch-jüdische Gruppe auf, die beide Bevölkerungsgruppen für einen gemeinsamen Widerstand gegen die britische Besatzungsmacht gewinnen wollte.
Sozialisten gehen davon aus, dass Rassismus ein Produkt der Klassengesellschaft ist und im gemeinsamen Kampf gegen Ausbeutung und Unterdrückung überwunden werden kann, dass echte internationale Solidarität der Schlüssel für eine friedliche Existenz der Völker ist.
Zionismus ist in Reaktion auf den Antisemitismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts entstanden und geht davon aus, dass Antisemitismus unüberwindlich ist und Juden und Jüdinnen deshalb einen separaten Staat brauchen. So ein Staat würde eine imperialistische Schutzmacht brauchen, das war schon den Gründern der zionistischen Bewegung, allen voran Theodor Herzl, klar.
Herzl war Berichterstatter für die Wiener Neue Freie Presse und schrieb über die antisemitische Hetzpropaganda, die im Zuge der „Affäre Dreyfus“ in Frankreich aufgepeitscht wurde. Aber sowohl Dreyfus, das Opfer der Hetzkampagne, als auch sein größter politischer Verteidiger Émile Zola kamen zu ganz anderen Schlüssen als Herzl. Man muss und kann Antisemitismus bekämpfen.
In Russland, wo Antisemitismus zu dieser Zeit die schlimmsten Exzesse feierte, kämpfte der Bund (Allgemeiner jüdischer Arbeiterbund von Litauen, Polen und Russland), eine jüdische politische Strömung gegen Antisemitismus, als sozialistische Gruppierung zusammen mit den nicht-jüdischen Arbeiter_innen des Zarenreichs und war dabei so erfolgreich, dass die Zionisten kaum Zulauf bekamen.
Erst die Niederschlagung der ersten russischen Revolution von 1905 und die antijüdischen Pogrome, die damit einhergingen, änderten die Kräfteverhältnisse. Stalin und Hitler versetzten jeder Hoffnung auf ein solidarisches Miteinander für lange Zeit den Todesstoß.
Durchbruch der Zionisten
Die erste Generation zionistischer Siedler in Palästina ging daran, Siedlungen zu gründen und Land von den arabischen Großgrundbesitzern zu kaufen. Die Kolonialisierung Palästinas passte der dortigen britischen Kolonialmacht gut in die Pläne.
Palästina war wegen seiner strategischen Lage am Weg nach Indien von zentraler Bedeutung für die Briten und hatte außerdem mit zunehmenden Unruhen der einheimischen Bevölkerung zu kämpfen. Die Briten nutzten die kolonialen Siedler als Hilfstruppen gegen die Einheimischen und positionierten sie als Puffer gegen die antikoloniale Bewegung.
Die Unruhen hatten 1936 ihren Höhepunkt erreicht und es kam zu einem regelrechten Aufstand gegen die Besatzungsmacht und die zionistischen Siedler. Bei der Niederschlagung des Aufstands spielten zionistische Paramilitärs eine brutale und sehr schmutzige Rolle.
Als Großbritannien im Zuge des Zweiten Weltkriegs eine Kolonie nach der anderen verlor und von den USA als führende imperialistische Supermacht abgelöst wurde, schüttelte die zionistische Bewegung ihre Abhängigkeit von den Briten ab und erzwang den Abzug der britischen Truppen. Zudem kamen hunderttausende Flüchtlinge und viele Überlebende des Holocaust, da die meisten Staaten der Welt die Grenzen dicht machten.
Großbritannien übergab das „Problem Palästina“ an die Vereinten Nationen, und nicht, wie die palästinensische Bevölkerung gehofft hatte, die Souveränität an die arabische Bevölkerung. Die arabischen Eliten und die lokalen politischen Parteien überschlugen sich geradezu an Garantieerklärungen für eine friedliche Lösung und Koexistenz von Arabern und jüdischen Siedlern.
Verschwörungstheorien
Die Vereinten Nationen entschieden aber schließlich ganz im Sinne der zionistischen Staatsgründer und übergaben den größten Teil des Landes an das zukünftige Israel.
Politik wird meist durch eine nationale oder kulturelle Brille betrachtet. Aber die internationale Unterstützung, die Israel von seiner Gründungszeit bis heute erfahren hat, hat nicht im Geringsten damit zu tun, dass es ein jüdischer Staat ist, oder gar mit einer jüdischen Lobby. Solche Verschwörungstheorien schaden der antikapitalistischen und antiimperialistischen Bewegung und lassen Kapitalismus ungeschoren davonkommen.
Israel ist wegen seiner strategischen Lage wichtig für die USA. Bis April 2018 ist die US-Hilfe seit 1948 auf 134,7 Milliarden US-Dollar angestiegen. Israel funktioniert wie ein riesiger, schlagkräftiger US-Außenposten in einer sehr wichtigen und unruhigen Region und ist jederzeit bereit, ausgewählte Ziele der USA anzugreifen. Die ständigen Drohungen gegen den Iran, aus dem die USA Anfang der 1980er-Jahre vertrieben wurden, sind beispielhaft dafür.
Die meisten anderen Staaten der Welt, inklusive der arabischen Staaten, haben sich in der von den USA dominierten und abgesicherten Weltordnung eingerichtet. Sie haben in der ganzen Welt Investitionen und Märkte.
Je schneller die Globalisierung voranschreitet, desto abhängiger sind sie von der Fähigkeit des US-Staats, ihre Interessen zu schützen. Der Mittlere Osten, als das Zentrum der weltweiten Erdölproduktion, hat eine Schlüsselposition in diesem Szenario des Konkurrenzkampfs.
Risikofaktor Aufstand
Weil die Bevölkerung der arabischen Nationen die Dominanz der USA und des Westens völlig zu Recht als ungerecht empfindet, sind Aufstände gegen ihre willfährigen Regierungen ein permanentes Risiko für die Stabilität dieser Weltordnung.
Israels Regierungschef Netanjahu und US-Präsident Trump dürften die Ansicht teilen, dass sie keinen bedrohlichen Widerstand mehr zu befürchten haben und gehen deshalb in ihren Provokationen der Gedemütigten so unerträglich weit.
Aber so wie die palästinensische Bevölkerung Widerstand leistet, auch wenn er völlig aussichtslos erscheinen mag, so können auch die arabischen Revolutionen wieder aufflammen und die imperialistischen Provokationen nach hinten losgehen lassen.