Warum wir offene Grenzen fordern!
Für unsere prinzipielle Ablehnung von Grenzen gibt es zwei zentrale Argumente. Erstens das klar revolutionäre. Marx stellt richtig fest: „Der Arbeiter hat kein Vaterland“. Was er damit meint ist, Arbeiter_innen haben auf der ganzen Welt dasselbe objektive Interesse, nämlich Kapitalismus abzuschaffen. Kapitalismus ist ein internationales System, es kann nur international gestürzt werden.
Das zweite reformistische aber auch zentrale Argument ist, ein österreichischer Arbeiter hat auch in den bestehenden Bewegungen mehr mit seinem rumänischen Kollegen gemeinsam als mit seinem Boss. Wie sollen Gewerkschafter für höhere Löhne kämpfen, wenn sie glauben, ein Flüchtling in einem überladenen Schlauchboot im Mittelmeer sei schuld an niedrigen Löhnen? Umgekehrt gilt das Argument natürlich genauso, wie sollen Flüchtlinge für höhere Löhne kämpfen, wenn sie sich vor Abschiebungen fürchten müssen?
Wir müssen ihnen zuerst zeigen, wir werden euch gegen Abschiebungen und Rassismus verteidigen, um ihnen somit das Selbstvertrauen zu geben, für höhere Löhne zu kämpfen. Abgesehen von diesen prinzipiellen Argumenten gegen Grenzen ist es aber auch wichtig, die rassistische Hetze der Bosse mit Fakten zu widerlegen.
Jobs und Migration
Dank Migration wuchs die österreichische Bevölkerung zwischen 1989 und 2015 um mehr als eine Million Personen auf 8,7 Millionen. Ohne Zuwanderung würde sie schrumpfen. Laut AMS (Arbeitsmarktservice) arbeiteten 2015 ca. 700.000 „Ausländer“ (Personen ohne österreichische Staatsbürgerschaft) im Inland, das sind ca. 28% aller unselbständigen Erwerbstätigen. Sie sind ein entscheidender Teil der Arbeiter_innenklasse. Besonders viele von ihnen arbeiten in den Branchen Tourismus-Gastronomie, Herstellung von Waren oder am Bau. Rund ein Fünftel der Beschäftigten im Gesundheitsbereich (64.000 Personen) sind „Nicht-Österreicher_innen“.
Das Argument „die Ausländer nehmen uns Österreichern die Jobs weg“ geht an der Realität vorbei. Die internationale Studie der Universität London über „Den Einfluss von Migration auf die Verteilung der Löhne (The Effect of Immigration along the Distribution of Wages)“ legt nahe, dass ein großer Teil der Zuwanderer ganz neue Jobs schafft, die es zuvor nicht gab. Beispielsweise ein neues arabisches Lokal im 15. Bezirk usw.
Den ersten Höchststand erreichte die Arbeitslosigkeit in Österreich 1953 mit 170.000 Menschen; zu dieser Zeit gab es kaum Migration. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989 kam es zu einer massiven Zuwanderung nach Österreich. Die Flüchtlingswelle unterschied sich von früheren (bspw. 1968) dadurch, dass ein Großteil der Flüchtlinge in Österreich blieb. Bis 1993 kamen deutlich über 100.000 Menschen nach Österreich; die Arbeitslosigkeit zu dieser Zeit stieg aber bei weitem nicht so sprunghaft wie die Zuwanderung! Auch die fortschreitende Technologisierung war ein Grund für die wachsenden Arbeitslosenzahlen.
Rassismus schadet Arbeitern
Die Bosse werden immer jede Möglichkeit nutzen, um Löhne zu kürzen und so ihre Profite zu steigern. Für sie eröffnet Zuwanderung eine solche Chance. Diskriminierung von „Ausländer_innen“ schadet der Arbeiter_innenklasse als Ganzes. In einer Studie der Universität Linz wurden 2.000 fiktive Bewerbungen an unterschiedliche Unternehmen versendet. Die Bewerber_innen verfügten über dieselbe Ausbildung, Berufserfahrung usw.; die einzigen Unterschiede waren ihre Namen und die Bewerbungsfotos. Bewerber_innen ohne typisch österreichische Namen mussten sich teilweise doppelt so oft bewerben wie Menschen mit österreichischen Namen.
Außerdem errechnete die Studie, dass die Einkommen von „Nicht-Österreicher_innen“ um 18% niedriger sind als die von Österreicher_innen; besonders krass benachteiligt werden Menschen mit türkischer Staatsbürgerschaft. Die österreichischen Arbeiter_innen bekommen keinen Cent mehr, nur weil Ausländer_innen diskriminiert werden! Die Profite, die aus der schlechteren Bezahlung entstehen, streichen die Bosse ein.
Bosse sind das Problem
Es ist wahr, dass viele Menschen unter den Auswirkungen des Kapitalismus leiden. Die Angst der österreichischen Arbeiter_innen vor Lohnkürzungen, Inflation, Arbeitszeitverlängerung usw. sind absolut gerechtfertigt. Seit der Finanzkrise von 2008 nimmt die Beschäftigungslosigkeit in Österreich massiv zu. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen hat sich verdreifacht, währenddessen stiegen die Wohnkosten für Wenigverdienende um beinahe das Dreifache, verglichen mit denen der Arbeiter_innen mit höheren Einkommen. Im Jahr 2016 erreichte die Arbeitslosigkeit den Höchststand in der Geschichte der Zweiten Republik (knapp über 9%).
Arbeiter_innen werden nur solange bezahlt, wie die Bosse Profit aus ihnen herausquetschen können. Sobald sie sehen, dass sie nichts mehr an ihnen verdienen, werden sie entlassen. Eine OECD-Studie (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) von 2016 zeigt, dass die Stundenlöhne in Österreich zwischen 2007 und 2015 um minimale 0,4% pro Jahr stiegen. Das bedeutet bei einem Verdienst von 10€ pro Stunde einen Zuwachs von 30 Cent in acht Jahren. Zwischen 2000 und 2007 wuchsen die Löhne noch doppelt so stark. In den Jahren 2007/2008 herrschte nicht die sogenannte „Flüchtlingskrise“, sondern die Wirtschaftskrise. Die Schuld für Arbeitslosigkeit und niedrige Löhne ist bei den Unternehmern, nicht bei den Flüchtlingen zu suchen.
Insgesamt sind 1,2 Millionen Österreicher_innen armutsgefährdet (d.h. mit Einkommen unterhalb Armutsschwelle, welche für einen Ein-Personen-Haushalt bei 1.185€ liegt.). Unfassbare 300.000 Menschen leben trotz einer 40-Stunden-Arbeitswoche unterhalb der Armutsgrenze. Besonders viele von ihnen sind Alleinerzieherinnen und Ausländer_innen. Martin Schenk, Mitgründer der Armutskonferenz, stellt fest: „Im 1. Bezirk in Wien leben die Menschen um fünf Jahre länger als im 15. Bezirk.“
Mehrheit nicht rassistisch
In Diskussionen über das Thema Flüchtlinge und Migration hört man oft: „Ich selbst habe ja nichts gegen Flüchtlinge, aber die Mehrheit der Österreicher sieht das anders.“ Der Rassismus in Österreich kommt nicht von der einfachen Bevölkerung, sondern wird von Politik und Medien bewusst geschürt.
Eine Ende 2016 von Sora durchgeführte Studie zur Akzeptanz von Flüchtlingen in Wien belegt: 56% der in Wien Lebenden haben nichts dagegen, wenn Flüchtlinge in ihrer Nachbarschaft wohnen. Und immerhin 20% sind weiterhin für die Aufnahme von Flüchtlingen in der eigenen Stadt, gerade einmal 12% würden Flüchtlingen die Einreise verweigern (Rest: keine klare Position). In der Ziedlergasse in Liesing waren 2016 45% für die Errichtung eines Notquartiers, mittlerweile unterstützen es 72% und nur 12% lehnen das Quartier ab.
Der Umschwung kommt nicht von ungefähr; als die FPÖ im März 2016 eine Hetzdemonstration gegen das Flüchtlingsheim organisierte, solidarisierten sich tausende Antirassist_innen mit dem Heim. Liesing zeigt eindeutig, wenn sich Linke einmischen, können sie die Stimmung ändern. Sora führte im Jänner 2017 auch eine Studie zur Akzeptanz von Flüchtlingen in Oberösterreich durch.
Dort regiert immerhin die FPÖ, also könnte man annehmen, dass Fremdenfeindlichkeit in der Bevölkerung besonders weit verbreitet ist. Auch hier sind 46% gegenüber Flüchtlingen eher positiv eingestellt und nur 23% negativ. Wie in Wien zeigt sich: Geht es um das direkte Zusammenleben mit Flüchtlingen, sind die Einstellungen der Österreicher_innen nochmals positiver. 71% meinen, das Zusammenleben mit Flüchtlingen funktioniert sehr oder ziemlich gut, 21% meinen, es funktioniert eher schlecht; gerade einmal 2% lehnen das Zusammenleben mit Flüchtlingen durchwegs ab.
Auch die Forderung nach einer kompletten Schließung der Grenzen wird von einer knappen Mehrheit abgelehnt (50% zu 46%). Die persönlichen Erfahrungen von Österreicher_innen mit Flüchtlingen sind viel positiver als in den Medien und der Politik dargestellt wird. Rassismus mit der angeblich reaktionären Einstellung der Bevölkerung zu rechtfertigen, ist blanker Unsinn.