„Wenn uns der spanische Staat attackiert, werden wir Unterstützung brauchen“

Der Kampf um die Unabhängigkeit Kataloniens führte zu Panik bei den europäischen Eliten. Der spanische Premier Mariano Rajoy kündigte an, die katalanische Regierung und das Parlament auszuschalten. Für die Linke ist es wichtig zu verstehen, was mit der Unabhängigkeit alles auf dem Spiel steht.
22. Oktober 2017 |

Im Zuge des Unabhängigkeitsreferendums in Katalonien am 1. Oktober, bei dem sich über 90% aller Teilnehmer_innen für die Unabhängigkeit aussprachen, ging der spanische Staat mit brutaler Repression gegen die Demokratie vor. Tausende Mitglieder der paramilitärischen Guardia Civil wurden nach Katalonien entsandt. Der spanische Premier Mariano Rajoy drohte, die katalanische Regierung und das Parlament, unter Berufung auf Artikel 155 der spanischen Verfassung, auszuschalten.

Pablo Casado, Sprecher der konservativen Regierungspartei PP, drohte: „Vielleicht wird es der Person, die die Unabhängigkeit deklariert, genauso ergehen, wie dem, der die Deklaration vor 83 Jahren machte“. Diese Person – der erste katalanische Minister Lluís Companys – wurde gefoltert und exekutiert. Aber die Massenbewegung auf der Straße verteidigt das Referendum und organisierte zwei Tage nach der Abstimmung einen Generalstreik, der die Region lahmlegte.

Verraten und verkauft

Doch der katalanische Präsident Carles Puigdemont verrät die Hoffnungen der Bewegung und setzt auf „Dialog“ mit dem spanischen Staat.

https://www.facebook.com/ross.domoney/videos/10155732654198523/

„Cataluña antifascista!“ Beeindruckende Bilder vom Generalstreik für die Unabhängigkeit am 3. Oktober

 

David Karvala, Mitglied von Marx21, war in Barcelona als Puigdemont seine Rede hielt. Er sagte gegenüber Linkswende jetzt: „Rund 30.000 Menschen verfolgten das Geschehen auf der Großleinwand. Puigdemont erklärte die Unabhängigkeit und es gab massenhaften Jubel. Nur Sekunden später erklärte er, dass er die Unabhängigkeit auf Eis legen würde. Das Gefühl auf der Straße war Enttäuschung. Die Menschen fühlen sich verraten. Es fühlt sich so an, als ob das, wofür sie gekämpft haben, einem von der EU geführten Dialog geopfert werden soll, wo doch die EU Griechenland attackiert und Menschen im Mittelmeer sterben lässt.“ Und das obwohl Rajoy und die PP kein Interesse an einem Dialog haben, sondern mit brutaler Repression reagieren.

Frage der Klasse

Eine Niederlage der Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien würde die Konservativen der PP stärken und ihnen die Möglichkeit geben, auch die Opposition in anderen Teilen des spanischen Staats niederzuschlagen. Andererseits würde ein Sieg der Unabhängigkeitsbewegung neue Chancen für die Linke bedeuten – nicht nur in Katalonien. Internationale Solidarität mit Katalonien kann einen wichtigen Unterschied machen.

Einige Linke sind zurecht misstrauisch angesichts katalanischer Nationalisten und ihrer zweifelhaften Vergangenheit. Sie gehen von der falschen Annahme aus, dass die Unabhängigkeit von der katalanischen Bourgeoisie vorangetrieben wird. Doch das Großbürgertum in Katalonien ist gegen die Unabhängigkeit – sie wollen Stabilität und nicht die Unsicherheit, die mit einem Bruch mit dem spanischen Staat einhergeht. Die Mitte-Rechts-Regierung in Katalonien tat über zwei Jahrzehnte lang nichts für die Unabhängigkeit. Erst seit der Massenbewegung auf der Straße – insbesondere seit 2010 – wurden sie von ihrer (kleinbürgerlichen) Basis unter Druck gesetzt.

Demonstration in Solidarität mit der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung in Athen, Griechenland, am 21. Oktober. 

 

Die Menschen haben gesehen, wie repressiv der spanische Staat vorgeht: Die Maßnahmen der aktuellen katalanischen Regierung – gegen Zwangsräumungen und für sozialen Wohnbau, Verbot von Fracking, Steuern auf Atomenergie, Gesetze für Gleichberechtigung von Frauen und gegen sexuelle Belästigung – wurden alle vom spanischen Verfassungsgerichtshof gekippt – auf Drängen der PP. Es geht also keineswegs „nur“ um die Unabhängigkeit, sondern auch um soziale Errungenschaften.

Herausforderungen

Die Linke in Katalonien steht vor der Herausforderung, für die Unabhängigkeit zu kämpfen und dabei gleichzeitig unabhängig von den Rechten zu bleiben. Sich aus der Bewegung rauszuhalten, ist keine Option, weil hier Millionen Menschen kämpfen. Internationale Solidarität bedeutet die Rechte der unterdrückten Nationen zu verteidigen – wohlwissend um die Widersprüche einer nationalen Bewegung – und in diesem Prozess idealerweise einen europäischen imperialistischen Staat zu schwächen.

„Wenn sich Katalonien tatsächlich Richtung Unabhängigkeit bewegt, wird uns der spanische Staat weiter attackieren und wir werden Unterstützung brauchen“, so Karvala.