#WirhabenPlatz Demonstration fordert offene Grenzen
Um die zweitausend Menschen sind heute vor die Botschaften Griechenlands, Kroatiens und Afghanistans gezogen und dann zum Heldenplatz, wo die Volkshilfe Österreich eine Aufzeichnung des Voices for Refugees-Konzerts von 2015 vorgeführt hat. Damals, während der großen Flüchtlingsbewegung nach Europa, zeigte die Bevölkerung, dass sie auch dann noch problemlos hunderttausende Menschen versorgen kann (und das auch gerne tut), wenn die Regierung vor Schreck keinen Finger rührt.
Ungleichheit im Visier
Nicht alle Demonstrierenden haben die gleichen Lösungsansätze, es gibt genügend Menschen, die an der Vision (wir würden sagen: Illusion) eines solidarischen Europas festhalten. Andere haben sämtliche Hoffnungen in die EU längst begraben. Aber Vertreter_innen beider Tendenzen fordern die Öffnung der Grenzen für Flüchtlinge und ein völliges Umdenken an den Spitzen der reichsten Nationen der Welt. Marion meinte im Gespräch mit Linkswende jetzt: „Es ist eine Sauerei, dass ein so reiches Land wie Österreich sich aus der Verantwortung zieht, und so eine menschenverachtende, inhumane Politik betreibt, dass sie einfach Menschen im Dreck verkümmern lässt. Statt aktiv zu werden, betreibt die Regierung nur PR-Politik.“
@Christoph Glanzl
Verbindung zu Klimaprotest
PR-Politik war eine Anspielung auf die plumpe Inszenierung von Innenminister Nehammer mit einer Lieferung von Hilfsgütern nach Griechenland, die erstens nichts an der Tatsache ändern wird, dass die Inseln zu Gefängnissen geworden sind, und zweitens an dem Bedürfniss der Menschen endlich eine neue Heimat zu finden, völlig vorbei agiert. Per Video wurde ein Flüchtling auf Lesbos zugeschalten, der von einer Aktivistin der Plattform für eine menschliche Asylpolitik interviewt wurde. Er nennt das neue Lager Kara Tepe, das nach dem Brand im Lager Moria, errichtet wurde, ein Gefängnis; ohne Strom oder fließendem Wasser, mit viel zu wenig Toiletten und total abgeriegelt von der Außenwelt. Die Nächte am Meeresufer sind bitterkalt und die Tage heiß. Das Leben dort muss eine Folter sein. Auch wenn der Brand in Moria derzeit in aller Munde ist, es geht den Demonstrant_innen um den Kampf gegen grundlegende Ungerechtigkeit. Die Studentin Johanna brachte es auf den Punkt: „Wir haben so viel Platz und Ressourcen, wir sind die Stadt mit der höchsten Lebensqualität. Es ist so absurd, dass wir nicht mehr Leute aufnehmen und uns um sie kümmern.“ Und sie machte auch eine inhaltliche Verbindung, die heute von Fridays for Future mit ihrer Präsenz und ihrem Banner gut sichtbar gemacht worden ist: „Solidarität mit Flüchtlingen ist eines der relevantesten Themen neben dem Klimawandel. Man kann nicht gleichzeitig zu Klimastreiks gehen und Demos für Asylrecht ignorieren, siehe Klimaflucht.“
Es ist typisch für das hohe Niveau der antirassistischen Bewegung, dass die Aktivist_innen dem herrschenden Diskurs nicht im Geringsten auf den Leim gehen. Vera, ebenfalls eine Studentin empört sich: „Es ist schlimm, dass Menschenwürde nicht als allgemeines Recht gilt. Es ist schlimm, dass überhaupt zur Diskussion steht, ob wir Menschen aufnehmen können und ob die Lage für Flüchtlinge ‚schlimm genug‘ ist.“
In dieselbe Kerbe schlägt Anja: „Die Grenzwächter, ob das jetzt welche am Land sind oder am Flughafen sind zum ‚Schutz‘ der privilegierten Europäer da. Menschen aus dem Nahen Osten oder Afrika nehmen das anders wahr: als Bedrohung. Deswegen brauchen wir globale Bewegungsfreiheit legalisiert. Jeder soll sich aussuchen dürfen, wo er leben will. Grenzen nieder! Wir dürfen auch von Wien nach Berlin ziehen, warum darf dann jemand aus Afghanistan nicht einfach nach Wien ziehen? Warum darf ich nicht einfach mit einem Gambianer oder Syrer eine Wohngemeinschaft bilden? Nur weil Kurz das verbietet? Das Solidaritätskonzept wird missbraucht für Abschiebepatenschaften. Was soll daran solidarisch sein? Das ist Egoismus. Die Leute ertrinken im Mittelmeer und Kurz sagt nur, dass er keinen Pulleffekt will und dadurch noch mehr ertrinken. Dabei würde keiner über das Mittelmeer fliehen, wenn Flüchtlinge sich einfach ein Flugticket kaufen könnten. Diese Visa-Beschränkungen für Drittstaatenländer sind einfach nur eine Ungerechtigkeit gegenüber ärmeren Ländern.“
Politik gemacht
Neben der Volkshilfe haben weitere 45 Organisationen den Protest unterstützt, darunter die Sozialistische Jugend, System Change not Climate Change, Linkswende jetzt, SOS Balkanroute und die Omas gegen Rechts. Aber auch Gewerkschaften, SPÖ, GRÜNE, SÖZ und LINKS waren präsent. Zeitgleich gab es zwei weitere Proteste in Wien, einer gegen den Aufmarsch der Identitären, einer unter dem Motto #Wir zahlen nicht für eure Krise, die beide noch zu #WirhabenPlatz dazu gestoßen sind. Auch an seiner einigenden Kraft erkennt man die Dynamik der antirassistischen Bewegung.
Für die Wienwahlen in acht Tagen war der Protest natürlich ein enorm wichtiges Signal. Außer den Parteien, die hier rechtsextreme Positionen einnehmen – ÖVP, FPÖ und Liste Strache – haben sich alle Parteien für mehr Solidarität deklariert. Man darf das ruhig mit der nötigen Skepsis betrachten, aber es ist wichtig, dass die Protestbewegung solchen Einfluss auf die etablierte Politik auszuüben imstande ist.
Wir haben 2015 schon Geschichte geschrieben und wir machen weiter Geschichte.
@Christoph Glanzl