Faschismuskeule, Frauen und Antirassismus haben Hofer verhindert
Viele waren ehrlich überrascht, dass der grüne Präsidentschaftskandidat Alexander Van der Bellen mit 53,8 Prozent die Neuaustragung der Stichwahl zum Bundespräsidenten am 4. Dezember doch deutlich für sich entscheiden konnte. Maßgeblich dafür war, dass die Wahlbeteiligung im Vergleich zur aufgehobenen Stichwahl im Mai von 72,7 auf 74,2 Prozent stieg. Wir gingen davon aus, dass Hofer von einer rassistischen Welle an die Macht gespült würde. Das Ergebnis verlangt daher eine Erklärung.
Wir halten zuerst fest, dass es die so oft erwähnten „Unentschlossenen“ nicht gab. 100 Prozent der Befragten gaben am Wahltag an, sie hätten sich nicht spontan, sondern schon lange vorher für – und für das Ergebnis noch wichtiger – gegen einen der beiden Kandidaten entschieden. Die Sympathiewerte für beide, Hofer und Van der Bellen, sind in diesem langen Wahlkampf massiv gesunken, aber den Gegnern von Hofer ist der Ernst der Lage zwischen den letzten beiden Wahlgängen so richtig bewusst geworden.
Daher ist von besonderem Interesse, was die Menschen motiviert hat, auch tatsächlich zur Wahlurne zu gehen. Warum konnte Van der Bellen mit 169.000 Menschen deutlich mehr Nicht-Wähler_innen von der letzten Stichwahl als Norbert Hofer (33.000 Menschen) mobilisieren? Es gibt höchst politische Gründe für diese Entwicklung.
„Faschismuskeule“ schmerzt doch
Das mobilisierende Wahlmotiv schlechthin war, Norbert Hofer zu verhindern. Eine Studie von Fritz Plasser und Franz Sommer zeigte, dass 65 bis 66 Prozent der Van der Bellen-Wähler_innen (über 1,6 Millionen Menschen) vor allem eines wollten: einen blauen Präsidenten abwehren. Bei der Stichwahl im Mai lag dieser Wert noch bei 52 Prozent.
Antifaschistische Kampagnen wirken. Aktivist_innen haben Hofer über den ganzen Wahlkampf wegen seiner Mitgliedschaft in einer deutschnationalen Burschenschaft attackiert. Wir haben schon zu Beginn des Wahlkampfes Plakate mit Hofer und der blauen Kornblume affichiert. Das Tragen dieses Symbols – es war Abzeichen der Nazis von 1933 bis 1938 in Österreich – wurde Hofer bei jedem öffentlichen Auftritt vorgehalten – bis er schließlich entnervt der Partei riet, das Symbol nicht mehr zu tragen, damit „man nicht immer wieder dasselbe erklären muss“.
FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache selbst reagierte am Wahlsonntag völlig hysterisch auf die Niederlage: „Grüne“ hätten Hofer im Wahlkampf immer wieder „als Nazi beschimpft“. Hofer empörte sich alleine in der letzten ORF-Diskussion vor der Wahl ganze vier Mal darüber, dass ihn Unterstützer_innen von Van der Bellen als „Nazi“ diffamieren würden. Und er jammerte weiter: „Die nächsten machen irgendein Lied, wo sie dich beschimpfen … Oder jetzt diese F*CK HOFER-Demo am Samstag“, genau am Tag vor der Wahl.
Wütend fuchtelte er mit eben diesen F*CK HOFER-Plakaten im Fernsehen herum, sichtlich genervt vom Druck, den die antifaschistische Bewegung auf ihn ausübte. Selbst in Hofers Heimatort Pinkafeld wurden die Plakate aufgehängt, was große Aufmerksamkeit erregte. F*CK HOFER wurde über die drei Tage vor der Wahl in jeder großen Zeitschrift und auf TV dargestellt. Ob aus Empörung oder aus Zustimmung zu unserem Demo-Slogan, den respektvollen und sensiblen Umgang mit Hofer haben die Medien damit so richtig zerstört.
Frauen gegen Hofer
Frauen haben bereits im Mai mit einer überwältigenden Mehrheit von 60 Prozent für Van der Bellen gestimmt. Die Katholische Frauenbewegung mobilisierte damals gegen Hofer. Die gesamte Frauenrechtsbewegung, darunter die Plattform 20.000 Frauen, war in Österreich in den letzten Jahren unglaublich aktiv. Und die Bewegung setzte nun in der Wiederholung der Stichwahl noch zwei Prozentpunkte drauf: Frauen wählten zu 62 Prozent Van der Bellen. Unter jungen Frauen bis 29 Jahren fiel die Entscheidung für Van der Bellen mit 69 Prozent noch deutlicher aus.
Engagierte Frauen formierten die Basisinitiative Frauen gegen Hofer und interviewten auf der Straße Passantinnen zu frauenfeindlichen Aussagen von FPÖ-Politikern. Ein Video der Initiative wurde auf Facebook in weniger als 48 Stunden rund 120.000 Mal aufgerufen und über 2.100 Mal geteilt.
Hofers ewiggestriges Frauenbild wurde im Wahlkampf heftig angeprangert. Das von ihm herausgegebene Buch „Für ein freies Österreich. Souveränität als Zukunftsmodell“ wurde ihm ständig unter die Nase gehalten und daraus zitiert: „Der vom Thron des Familienoberhaupts gestoßene Mann sehnt sich unverändert nach einer Partnerin, die, trotz hipper den-Mädels-gehört-die-Welt-Journale, in häuslichen Kategorien zu denken imstande ist, deren Brutpflegetrieb auferlegte Selbstverwirklichungsambitionen überragt.“
Rassismus Paroli geboten
Van der Bellen konnte in Gemeinden, die sich für Flüchtlinge einsetzen, im Verhältnis zur ersten Stichwahl im Mai deutlich mehr Menschen zur Wahlurne bewegen, als in Orten, in denen die FPÖ die Dynamik bestimmt. Offensiver Antirassismus stärkte die Bewegung gegen Hofer.
Wir haben dazu drei Gruppen mit jeweils 50 kleineren und mittleren Gemeinden untersucht: 1. Orte, die sich gegen Abschiebungen wehrten und in denen sich Flüchtlingsinitiativen gründeten, 2. starke FPÖ-Gemeinden und 3. Orte ohne Asylwerber_innen. Van der Bellen mobilisierte in der ersten Gruppe 38 Menschen pro 1.000 Wahlberechtigten mehr als im Mai. In FPÖ-Gemeinden liegt der Wert bei 32 Personen:
(Dezember – Mai) pro 1.000 Wahlberechtigte | 50 Gemeinden mit Flüchtlingsinitiativen* | 50 starke FPÖ-Gemeinden* | Österreich |
Van der Bellen | +38,2 | +32,3 | +34,6 |
Hofer | -14,9 | -17,0 | -15,0 |
Wahlberechtigte | 251.128 | 201.040 | 6.399.572 |
*Der Einfluss der Wahlkarten wurde mittels eines Faktors auf Bezirksebene berücksichtigt.
Die Standhaftigkeit gegen die unmenschliche Asylpolitik der Regierung dürfte sich auf die Mobilisierung am Wahltag ausgewirkt haben. Die antirassistische Bewegung hat die heftigen Angriffe des vergangenen Jahres zwar nicht vollständig verhindern können (Obergrenzen, Notstandsgesetze, Abschiebungen), aber sie hat dem staatlichen Rassismus doch beeindruckend Paroli geboten.
Die österreichweiten Mahnwachen gegen Deportationen am 13. November und die Demonstration gegen Abschiebungen am 26. November in Wien sandten ein enorm wichtiges Signal an die über eine Million Menschen, die im letzten Jahr in der Flüchtlingshilfe aktiv waren. Das war mitentscheidend, denn daran haben solidarische Menschen ermessen können, dass sie noch nicht besiegt waren.
Rassismus nachgeben rächt sich
Keine Flüchtlinge im Ort zu haben ist offenbar auch keine Voraussetzung dafür, welche Seite besser mobilisieren kann. Van der Bellen konnte auch in Gemeinden ohne Asylwerber_innen stärker zulegen. Erst wenn ein Kampf (etwa für ein Asylheim) einmal verloren ist und einen politischen Ausdruck findet (wenn sich die FPÖ durchgesetzt hat), wirkt sich das auf die Mobilisierungsstärke aus.
Im rot regierten Bruckneudorf im Burgenland hetzte nicht nur die FPÖ gegen die Unterbringung von Flüchtlingen, sondern auch die SPÖ inklusive dem ehemaligen Verteidigungsminister Norbert Darabos und Landeshauptmann Hans Niessl. Van der Bellen konnte dort im Vergleich zum Mai nur unterdurchschnittlich mehr Wähler_innen mobilisieren, Hofer gewann beide Male deutlich.
Hofer hat zu viel Kreide gefressen
Das Van der Bellen-Lager konnte nicht nur besser mobilisieren, Hofer hat seine Anhängerschaft auch demobilisiert. Er konnte sich zwar wieder erfolgreich als der Kandidat gegen das „verfilzte Establishment“ (Strache) aufbauen, aber dieses Image hat Kratzer bekommen. Für 55 Prozent der Hofer-Wähler_innen war ein sehr wichtiges Wahlmotiv, dass der blaue Kandidat ihre Sorgen verstehe – dieser Prozentsatz lag im Mai noch bei 68 Prozent.
Hofer hat zu viel Kreide gefressen und gegen Ende des Wahlkampfs beschworen, dass die FPÖ nicht für einen Austritt aus der Europäischen Union (EU) eintrete. Das sorgte offenbar für einige Enttäuschung unter den entschiedenen EU-Gegner_innen. Hofer hat österreichweit 96.000 Stimmen verloren und wie FPÖ-Politiker Mölzer beklagt, besonders die Stimmen der Protestwähler_innen. Dass Mölzer dabei die Ursache falsch benennt (angeblich Kanzler Christian Kerns Öffnung der SPÖ zur FPÖ), ändert nichts an der Beobachtung.
Hofer konnte sich dieser vielen Stimmen der „Unzufriedenen“ niemals sicher sein und wir müssen uns vor Augen halten, dass Menschen, die einmal FPÖ gewählt haben, nicht für immer verloren sind. Eine authentische linke Alternative, die eine internationalistische und antirassistische Kritik an der neoliberalen EU formuliert, kann die berechtigte Wut dieser Menschen in linke, solidarische Bahnen lenken.
Mithilfe bei der Datenauswertung: Olga Weinberger, Jakob Zelger, Alexander Akladious und Andrejka Likar.