Revolution und Katastrophe in Syrien

Wir alle müssen akzeptieren; die syrische Revolution ist endgültig niedergeschlagen worden, und der Rachefeldzug Assads ist noch nicht vorbei. Jede Woche morden und vergewaltigen Assads Truppen Überlebende in den Gebieten, die sie zuvor mit Bomben und Raketen zerstört haben.
17. Juli 2018 |

Über eine Niederlage zu schreiben ist eine wirklich schwierige Angelegenheit!

Schließlich scheinen die Kräfte Recht bekommen zu haben, die immer schon negativ gegenüber der Revolution eingestellt waren. Und hier sind nicht nur die falschen Antiimperialisten angesprochen, die jeden Blödsinn wiederkäuen, der ihnen von Assads oder Putins Propagandamaschine eingetrichtert wird. Diese „Genoss_innen“ gehen soweit, die Konterrevolution als Abwehrkampf eines „antiimperialistischen Regimes“ gegen den Westen zu porträtieren.

Natur des Regimes

Hier sind auch die oberflächlichen Kritiker der Revolution gemeint, die die syrische Revolution ohne irgendwelche seriösen Recherchen als religiösen Konflikt oder als Krieg zwischen arabischen Sekten abgetan haben.

Der syrische Sozialist Joseph Daher bringt es ziemlich einfach auf den Punkt: Assads Regime ist kein alawitisches Regime, sondern das autoritäre Regime eines Familienclans, das Spannungen sowohl zwischen Religionsgruppen als auch zwischen Nationen und Stämmen erzeugt und eskaliert hat, um sie zugunsten ihres Machterhalts zu manipulieren. Außerdem haben sich Teile aller Bevölkerungsgruppen – Sunniten, Christen, Alawiten, Kurden, und viele mehr – an der Revolution gegen das Regime beteiligt.

Rolle von Imperialismus

Genauso wenig führt das Regime gemeinsam mit seinen Verbündeten Russland, Iran und Hisbollah einen Abwehrkampf gegen den westlichen Imperialismus. Imperialismus spielt zwar eine wichtige und schreckliche Rolle in Syrien, aber der russische Imperialismus spielt keine sauberere Rolle als der des Westens, der Golf-Staaten, der Türkei oder des Iran.

Immerhin stimmt eines: US-Imperialismus, bzw. seine Schwächung infolge der fürchterlichen Invasion im Irak, war mit ein Auslöser für den Arabischen Frühling. Der Iran ist ein wirklicher Profiteur des US-Debakels im Irak und steht deshalb immer stärker im Kreuzfeuer der US-treuen Staaten der Region um den arabischen Golf, allen voran Israel und Saudi-Arabien.

Als die syrische Revolution im März 2011 ausbrach, lehnten sich die USA noch zurück und hofften auf eine entscheidende Schwächung des mit dem Iran verbündeten Assad-Regimes. Sie ließen auch die arabischen Regierungen gewähren, als diese verschiedenste dschihadistische Milizen ausrüsteten.

Später sahen sie sich gezwungen, direkt im syrischen Bürgerkrieg mitzumischen, als dessen Verlauf den Irak wieder destabilisierte. Alle internationalen Parteien, die in den vergangenen Jahren in Syrien mitgemischt haben, haben mit Assad eines gemeinsam: sie sind keine Freunde des Befreiungskampfs der syrischen Revolution.

Die syrische Revolution

Die syrische Revolution begann im Kontext des Arabischen Frühlings. Menschen versammelten sich um die Botschaften von Tunesien und Ägypten und feierten die Aufstände. Am 15. März 2011 kam es zur ersten großen Demonstration für die Freilassung von politischen Gefangenen. Die Slogans waren ganz bewusst gegen Sektierertum gerichtet: „Das syrische Volk ist eins und vereint!“ oder „Meine Sekte heißt Freiheit!“ Das Regime reagierte mit brutalsten Methoden – gezielten Tötungen, Massenverhaftungen, Folter.

Syrien: Blutbad gegen die Revolution

Syrien: Blutbad gegen die Revolution

Um überhaupt demonstrieren zu können, war die Bevölkerung bald gezwungen, die Polizei und das Militär völlig aus bestimmten Bezirken zu verbannen. Diese „befreiten Zonen“ verbreiteten sich wie ein Lauffeuer und bald waren drei Viertel des Landes nicht mehr unter der Kontrolle des Regimes. Truppen, die gesandt wurden, um die Bevölkerung zu bestrafen, liefen mit ihrem gesamten Waffenarsenal über. Assad hatte außer seinen brutalen paramilitärischen Sondereinheiten, genannt „Schabiha“, bald keine Einheiten mehr, auf die er sich verlassen konnte.

Selbstorganisation

In den befreiten Zonen entwickelte die Bevölkerung den höchsten Grad an Selbstorganisation unter all den Revolutionen und Aufständen im arabischen Raum und Nordafrika: Ganze Städte wurden komplett von der Bevölkerung kontrolliert. Die lokalen Räte improvisierten Spitäler, betrieben unterirdische Schulen, sorgten für Wasser und Strom, sicherten lokale Nahrungsmittelproduktion, Verwaltung, Gesundheitsversorgung, politisches Leben und Gerichtsbarkeit – sie ersetzten alle staatlichen Strukturen durch meist demokratisch gewählte.

Diese Experimente in Selbstorganisation sind wohl die wichtigste Errungenschaft, die aus Syrien zu den Arabischen Revolutionen beigesteuert wurde.

Militarisierung der Revolution

Das unablässige Bombardement der befreiten Zonen hat der Revolution die Militarisierung aufgezwungen. Von Anfang an wurden mehr als 100 Menschen pro Woche durch das Regime ermordet. Das Regime rächte sich für jeden Akt der Emanzipation. Befreite Regionen wurden systematisch bombardiert. An diesem Punkt gelang es den Nachbarstaaten, sich in die Revolution einzumischen, beziehungsweise sie mit dschihadistischen Milizen zu kapern.

Wenn man waffentechnisch einem so grausamen Gegner wie Assads Einheiten machtlos gegenüber steht, nimmt man bereitwillig jede Hilfe in Anspruch. Aber der soziale Aspekt der Revolution wurde abgewürgt, als der Konflikt militarisiert wurde.

Nicht zu Ende

Noch ist der Bürgerkrieg nicht zu Ende. Eine Regionalmacht, die ebenfalls durch das Debakel der USA im Irak gestärkt wurde, die Türkei, führt noch immer Krieg gegen die kurdischen Regionen, bekannt unter dem Namen Rojava, die im Norden des Landes etabliert wurden. Und wir wissen noch nicht, welchen Preis Russland und der Iran von Assad für ihr Engagement fordern werden, oder ob die USA unter Trump sich in einen Krieg gegen den Iran ziehen lassen.

Die Welt ist seit dem Irakkrieg instabiler geworden und das hat unter anderem die Arabischen Revolutionen ermutigt. Syrien war für lange Zeit ein leuchtendes Beispiel dafür, was Menschen erreichen können, wenn sie sich gegen den Despotismus erheben. Es darf keinen Zweifel daran geben, dass dies nicht das letzte Kapitel im Kampf gegen diese fürchterliche Weltordnung war.