Interview mit Betriebsrat Nerijus Soukup: Kürzen bei Frauen und Arbeitlosen

Nerijus Soukup ist Betriebsrat beim privaten Bildungsdienstleister Mentor, der eng in Kooperation mit dem AMS arbeitet. Im Gespräch mit Linkswende jetzt berichtet er von der schwarz-blauen Sparpolitik und deren Auswirkungen auf das AMS, insbesondere im Bereich der Erwachsenenbildung und bei Förderprogrammen für Frauen.
16. November 2018 |

Nerijus, du bist Betriebsrat bei dem privaten Bildungsdienstleister Mentor, der eng in Kooperation mit dem AMS arbeitet. Die schwarz-blaue Regierung hat dem AMS das Budget von 2017 auf 2018 von 1,94 Milliarden auf 1,4 Milliarden Euro gekürzt. Bis nächstes Jahr soll das Budget um ein weiteres Viertel gekürzt werden. Was heißt das konkret?

Bei den Kürzungen der Regierung, die am Plan standen, war bis vor kurzem noch nicht klar, wie viel gekürzt wird, in welchem Ausmaß und wen es aller betrifft. Als die Info über die Medien kam, dass es Kürzungen geben wird, hat das AMS relativ rasch reagiert und alle Ausbildungs- und Weiterbildungsunternehmen zu einem Treffen eingeladen. Dort wurde gesagt, dass sie von Kürzungen ausgehen müssen und sich darauf vorbereiten sollen. Jedes Unternehmen hat sich anders darauf vorbereitet. Ich weiß von ein, zwei Firmen, die fast die gesamte Belegschaft dem AMS vorsichtshalber zur Kündigung gemeldet haben. Im Prinzip wurde diesen Mitarbeitern gesagt: „Wir wissen leider nicht, wie es weiter geht, aber es kann passieren, dass wir euch alle kündigen müssen.“ Wie soll man als BetreuerIn oder ErwachsenenbildnerIn, mit dem Wissen, dass man bald gekündigt wird, seinen Job gut machen?

Das kreide ich der Regierung wirklich stark an, dass sie unüberlegt einfach Dinge kürzt und ihnen die Wirtschaft wichtiger ist. Investieren sie in den Menschen oder investieren sie nicht in den Menschen, das ist eigentlich eine Grundsatzfrage. Und da schneidet die Regierung schlecht ab.

Das FiT-Programm („Frauen in Handwerk und Technik“, Anm. d. Red.) ist ein Paradebeispiel dafür. Es gibt viel zu wenig Fachkräfte und viel zu wenig Frauen in technischen Berufen und darum müssen wir in Frauen in der Technik investieren und sie als Facharbeiterinnen ausbilden. In fast jedem Bundesland gibt es dieses Programm. Wenn ich mir das in Summe anschaue, wie viele Frauen keinen Job haben, wie viele Frauen eine technische Aus- oder Weiterbildung machen würden, wie viele sich umorientieren würden, wenn sie das Angebot hätten, dann ist doch klar, dass der Bedarf noch viel größer ist.

Erwachsenenbildung ist Gesellschaftsbildung. Wenn man einen Job hat, den man gern macht, ist man ja viel glücklicher und geht ganz anders an die Sache heran. Wenn ich Geld in Weiter- und Ausbildungen für Arbeitslose und Menschen in Not investiere, habe ich ja damit einen gesellschaftlichen Mehrwert. Das ist das, was die Regierung nicht sieht und nicht weiß.

Wie ist das FiT-Programm entstanden?

Das FiT-Programm soll Frauen eine Chance geben, in einen technischen Beruf reinzuschnuppern. Dieses Ausprobieren soll Frauen helfen zu sehen, worin ihre Stärken liegen und worin sie gut sind. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass jede Frau genau das Gleiche machen kann, wie jeder Mann.

Das Programm war ein erster Versuch, dann ist man aber draufgekommen, dass es wahnsinnig gut läuft. Die Erfolgsquoten sind extrem hoch und es gibt tatsächlich immer mehr Frauen in der Technik. Warum weitet man nicht da aus, was gut funktioniert? Warum investiert man nur in 200 Frauen und nicht gleich in 2.000 Frauen? Man könnte dieses Programm regional besser ausbauen oder auch nach Berufssparten erweitern.

Aber nein, die derzeitige Regierung hat ja zum Beispiel das Projekt 20.000 sofort abgewürgt, das die vorherige Regierung initiiert hat, und dann hat es gleich geheißen, das AMS muss sparen und kürzen. Und das ist ja das Perfide, sie verkaufen der Öffentlichkeit, dass sie sparen, aber was sie machen, ist kürzen. Sie nehmen den positiv besetzten Ausdruck „Sparen“, aber Sparen heißt ja eigentlich, ich gebe das Geld dort aus, wo es sinnvoll ist. Also bei einem „Frauen in Handwerk und Technik“-Programm von „Sparen“ zu reden, da kotze ich mich an! Bei einem so wichtigen und auch erfolgreichen Projekt zu kürzen, ist eigentlich nicht sparen, sondern niederfahren und drüber walzen.

Hunderte Menschen demonstrierten am 14. September gegen die rigorosen Kürzungen beim AMS, bei Frauenrechtsinitiativen und gegen den 12-Stunden-Tag © Foto: Nurith Wagner-Strauss

(Flickr)

 

Was bedeuten die Kürzungen für Mentor? Welche Auswirkungen hat das intern auf ihre Kolleginnen und die Betreuerinnen beziehungsweise Trainerinnen?

Bei Mentor wurden keine Kürzung im eigentlichen Sinne vollzogen. Bei unseren Projekten werden Trainerinnen angestellt, die für eine bestimmte Laufzeit eine bestimmte Anzahl von Kursteilnehmerinnen zu betreuen haben. Während eines laufenden Projekts ist dann das AMS an uns herangetreten und hat uns gebeten, die Projektlaufzeit zu verlängern, zum Beispiel bei einem Projekt um drei Monate. Beim Projekt wurde aber nur die Laufzeit länger, aber der Inhalt nicht dementsprechend mehr. Bei einem laufenden Projekt bedeutet das eine Kürzung des derzeitigen Personalstandes. Das AMS zahlt dem Unternehmen erst bei der Endabrechnung das Geld. In der Zwischenzeit bleibt uns nichts anderes übrig, als Personal abzubauen, weil uns das Geld ausgeht, sprich, ich nehme ihnen Stunden weg oder ich muss Kolleginnen überhaupt kündigen.

Ich hatte einen Fall mit einem Trainer, der von den Kürzungen folgendermaßen betroffen war: Er hatte vor fünf Jahren noch 38 Stunden gearbeitet, dann ist er in ein Projekt mit 33 Stunden gewechselt, dann hat er im FiT-Programm mit 27 Stunden gearbeitet und schließlich wurden seine Stunden auf 22 gekürzt. Am Schluss konnte er es sich nicht mehr leisten, weil er seine Familie ernähren musste, und ist gegangen.

Wie ist das mit der Vor- und Nachbereitungszeit bei Mentor geregelt? Werden Mitarbeiter_innen nur für die Unterrichtszeit bezahlt?

Wir konnten bei Mentor zumindest ein Minimum von zehn Prozent der Unterrichtszeit als Vor- und Nachbereitungszeit erkämpfen, trotzdem ist es nicht ideal. Wir als Betriebsräte wissen, dass Trainer und Trainerinnen bei anderen Unternehmen oft nicht mal diese zehn Prozent bekommen. Dem Großteil der TrainerInnen ist ihr Job so wichtig, dass sie sich trotzdem in ihrer Freizeit auf die Lehreinheiten vorbereiten, weil sie den KursteilnehmerInnen etwas mitgeben wollen. Das ist sehr viel unbezahlte Arbeit, die hier geleistet wird.

Zahlreiche Kursteilnehmerinnen sind Frauen mit ausländischer Herkunft, die zum Teil schon Ausbildungen abgeschlossen haben, die hier nicht anerkannt werden. Wie könnte man diesen Frauen helfen, dass sie hier besser Anschluss finden in der Gesellschaft und an dem Arbeitsmarkt?

Wenn ich eine Ausbildung im EU-Raum habe, kann ich das relativ leicht anerkennen lassen, bei anderen Ländern wird es schwieriger. Eine Ausbildung, die hier in Österreich anerkannt wird, ist oft ein Garant dafür, dass man mehr Geld verdient, ansonsten bleibt man ewig Hilfsarbeiterin und hat keine Chance auf einen Lehrlings-, Gesellin- oder Meisterstatus. Es gibt aber auch andere Fälle, wo Frauen technische Universitätsstudien abgeschlossen haben und nur noch das letzte i-Tüpfelchen beim Deutschkurs und der Sprache fehlt, die aber als Fachkräfte nicht anerkannt werden, weil sie aus Ländern kommen, mit denen es keine Vereinbarung gibt.

Meiner Meinung nach ist eines der wichtigsten Dinge die Sprache. Wenn man die Sprache hat, sind die weiteren Schritte einfacher. Das AMS bietet zwar Deutschkurse an, aber die Tendenz geht zurück. Ich vermute, dass das Ziel der derzeitigen Regierung ist, absichtlich weniger in Integrationsmaßnahmen zu investieren, weil es von ihnen gar nicht so gewünscht ist. Wenn man weniger Deutschkurse für AusländerInnen und geflüchtete Menschen anbietet, können sie sich nur langsamer und schlechter in die Gesellschaft integrieren. Damit kann die Regierung auch gut Feindbilder aufbauen.

Die schwarz-blaue Regierung spielt sich gern als Frauenbefreier auf, wenn es darum geht, gegen Muslime und Ausländer zu hetzen. Tatsächlich kürzt sie aber bei zahlreichen Fraueninitiativen und bei AMS-Projekten wie das FiT-Programm. Wie könnte man deiner Meinung nach Frauen in der Gesellschaft stärken?

Man muss sich nur die zwei regierenden Parteien anschauen, wie viele Frauen dort arbeiten. Mehr als 50% der Bevölkerung, nämlich der Frauenanteil, sind in der Regierung nicht abgebildet, weder in der ÖVP und schon gar nicht in der FPÖ.

Die Investition in eine geschlechterspezifische Förderung ist sehr wichtig und fängt schon bei der Bildung und im Schulsystem an. Es gibt nach wie vor mehr Lehrerinnen und Kindergärtnerinnen, auch hier müsste es geschlechtergerecht aufgeteilt sein. Projekte wie „Frauen in Handwerk und Technik“ müsste man verzehnfachen. Man muss Menschen fördern, dass sie Berufe ergreifen, die sie gerne machen, auch im technischen Bereich. Ob das jetzt Männer- oder Frauenhände machen, sollte kein Thema sein.

Würdest du umgekehrt Männer fördern, einen nicht-traditionell männlichen Beruf zu ergreifen?

Natürlich. Das Problem in unserer Gesellschaft ist aber, dass Leistungen wie beispielsweise Kinderbetreuung, Altenpflege, etc. systematisch unterbezahlt werden und nach wie vor dieses geschlechterspezifische Rollenbild herrscht, dass die Frau sich um Kinder, Jugendliche, Erwachsene, etc. kümmert. Männer würden das sicherlich auch gerne machen, sind aber abgeschreckt, weil sie nicht wissen, ob sie sich das mit ihrer Familie finanziell leisten können. Eine Bekannte von mir blieb in der Karenz zuhause, hat diese Entscheidung aber aus finanziellen Gründen getroffen, weil sie weniger verdient als ihr Mann. Somit kommt man aus dem ganzen Schlamassel nicht raus. Auf Lebenszeit hin verdient eine Frau in Europa 435.000 Euro weniger als ein Mann. Das ist ein Wahnsinn!

Ich muss stolz dazusagen, dass es das bei Mentor nicht gibt. In unserer Firma bekommen Männer und Frauen für die gleiche Leistung den exakt gleichen Lohn. Ich wünsche mir, dass es das überall gibt.

Das Interview führte Olga ­Weinberger