„Jeder kann sagen: Ich bin kein Rassist, aber der Islam…“
David Albrich: Nach den Anschlägen von Paris befürchten viele eine Verschärfung des islamfeindlichen Klimas. Rechte Parteien springen auf den Zug auf und sagen: Wir haben es immer schon gewusst. Welche Gefahren sehen Sie?
Farid Hafez: An und für sich würde ich nicht meinen, dass Charlie Hebdo unbedingt einen Paradigmenwechsel herbeiführen wird, weil in Wirklichkeit dieser ganze Diskurs rund um ISIS oder den IS („Islamischer Staat“) ja schon seit Juli/August läuft und eine gewisse Kontinuität hat. Das Islamgesetz ist argumentiert worden als „Strategie gegen den Dschihadismus“ und gegen die Verankerung von ISIS in Österreich, obwohl das an und für sich nichts miteinander zu tun hat.
Wenn jetzt die Innenministerin sagt, wir brauchen gepanzerte Autos und mehr Geld, wird das natürlich auch vor dem Hintergrund des Charlie Hebdo-Diskurses legitimiert. Dieser terroristische Akt wird dazu genutzt, eine ohnehin schon betriebene rechte Politik zu forcieren – er ist eine Projektionsfläche. All diese Begriffe, die jetzt geschöpft wurden – Dschihadisten, homegrown terrorists („hausgemachte Terroristen“), foreign fighters („ausländische Kämpfer“) – hat es schon immer gegeben. Sie sind jetzt vielleicht noch einmal intensiviert worden vor dem Hintergrund einer in Wirklichkeit sehr oberflächlich geführten Debatte. Man hätte Charlie Hebdo weitaus kritischer debattieren können, das ist im Unterschied zu den USA etwa aber in Kontinentaleuropa weniger passiert.
Ein Merkmal, das sich allerdings im Vergleich zum 11. September geändert hat: Damals war es der Schläfer, den man nicht erkennt. Heute liegt der Fokus viel stärker auf einer sichtbaren muslimischen Religiosität. Dadurch, dass der Dschihadist nach außen sichtbarer Muslim beziehungsweise sichtbare Muslimin ist, verändert sich das Bild des feindlichen Akteurs. Damit erklärt sich natürlich auch zu einem gewissen Grad der große Anstieg an Übergriffen, gerade gegenüber muslimischen Frauen. Diese Markierung des Feindes ist ein springender Moment.
Einige Medien haben zu Recht davor gewarnt, dass man jetzt nicht alle Muslime in einen Topf werfen soll. Dennoch gibt es andere, die eine besondere reaktionäre Seite am Islam erkennen, und „dem Islam“ das „aufgeklärte Europa“ gegenüberstellen. Wie tief sitzen solche Pauschalisierungen in unserer Gesellschaft?
Im Wesentlichen habe ich den Eindruck, dass die politischen Eliten sehr darauf bedacht sind, es hier nicht zu einer Eskalation kommen zu lassen. Ja, es ist in Frankreich innerhalb von 48 Stunden zu mehr als 50 Angriffen auf Muslime gekommen, 33 davon mit scharfer Munition. Aber man hat insgesamt vom politischen Diskurs her versucht, eine gewisse Ruhe hineinzubringen. Nicht nur in Zusammenhang mit Charlie Hebdo, sondern auch auf europäischer Ebene. Die Pegida-Bewegung wird von den politischen Eliten wie Kanzlerin Merkel als bedrohlich erachtet. In diesem Zusammenspiel von Pegida und des Charlie Hebdo-Diskurses scheint die Elite kein Interesse an einer Eskalation zu haben und hat versucht, entschärfend zu wirken. Was aber nichts darüber aussagt, welche Politiken sie vor allem in Fragen der inneren Sicherheit tatsächlich forciert – da geht es nämlich in eine andere Richtung. Die Rhetorik ist eine Sache, die konkrete Politik eine andere.
Natürlich hat es in den Medien auch besonnene Stimmen gegeben, aber genauso hetzerische. Die Debatte, die im Kurier um die zehn Thesen von Theo Faulhaber stattgefunden hat, das Profil-Cover und eine Vielzahl an Artikeln, die vor und nach Charlie Hebdo in wenigen Wochen erschienen sind, weisen auf einen ganz klaren hegemonialen, islamophoben Diskurs hin.
Gerechtfertigt wird diese islamfeindliche Hetze über das Recht auf freie Meinungsäußerung. Gibt es ein Recht auf Hetze gegen den Islam?
Die Hetze gegen den Islam wird dahingehend akzeptiert, dass heute jeder sagen kann, ich bin kein Rassist, aber mit dem Islam habe ich ein Problem. Das ist Mainstream. Natürlich kann man nicht gegen Juden sein, nicht gegen Schwarze – außer vielleicht ein paar FPÖ-ler am Rande. Aber man kann mit aller Leichtigkeit sagen, egal ob man aus dem liberalen oder aus dem völkisch-nationalistischen Spektrum kommt: Der Islam ist ein Problem für Europa.
Dieser Diskurs wird in den breitesten Teilen der Gesellschaft geteilt, da ist es nicht schwer, dass ein Franz Voves (SPÖ) herkommt und sagt, „Integrationsunwilligkeit“ muss juristisch verfolgt werden können und ein Integrationsminister (Sebastian Kurz, Anm.) darauf aufspringt. Wenn Personen in diesen Funktionen so sprechen, heißt das: Es gibt überhaupt keine Schranken mehr, man kann offen sagen, dass man mit Muslimen anders umgeht. Auf einer institutionalisierten politischen Ebene ist das Islamgesetz ein Ausdruck dafür. Es ist für Regierungsvertretern überhaupt kein Problem zu sagen: Muslime behandeln wir anders, und das hat auch einen Grund – weil sie „anders“ sind. Dabei denke ich etwa an einen ÖVP-Generalsekretär (Hannes Missethon, bereits 2007, Anm.) und viele andere, die das gesagt haben.
Im öffentlichen Diskurs werden dschihadistische Strömungen mit faschistischen Parteien gleichgesetzt. Verharmlost das nicht die extreme Rechte und die Gefahren, die von ihr ausgehen?
Wenn über die „Islamisierung“ gesprochen wird – und das findet ja großen Anklang in rechten bis erzkonservativ-christlichen Kreisen – ist das in Wirklichkeit eine Projektion dafür, dass manche Menschen Europa christlich, andere Akteure Europa nationalistisch sehen möchten. Edward Said hat das in seiner Orientalismus-Studie gezeigt: So wie wir „den Orient“ malen, oder in diesem Fall „den Islam“ zeichnen, so wollen wir uns sehen; das ist das, was wir uns wünschen und uns ersehnen – nur eben umgekehrt.
Die Gleichsetzung von Dschihadismus und Faschismus ist dann besonders problematisch, wenn eine Täter-Opfer-Umkehr vorgenommen wird. Vor wenigen Tagen gab es ein Treffen der Israelitischen Kultusgemeinde mit Regierungsverantwortlichen, wo über muslimischen Antisemitismus gesprochen worden ist. Mag sein, dass es natürlich auch unter Muslimen Antisemitismen gibt, das will ich nicht bestreiten. Aber, hier eine Minderheit verantwortlich zu machen und zu behaupten, dass der grassierende Antisemitismus von ihnen ausgeht, gleichzeitig die Islamophobie in der politischen Realität de facto zu leugnen, das ist Täter-Opfer-Umkehr. Und die wird gerade durch derartige Diskurse – nämlich zu sagen der Dschihadismus sei der „grüne Faschismus“ – unterstützt.
Wie würden Sie den Dschihadismus, den wir momentan sehen, charakterisieren?
Der Dschihadismus ist schlussendlich das letzte Vehikel politischer Aktion für eine unterdrückte Gemeinschaft des globalen Südens. Über die Rhetorik der Islamizität wird versucht, Menschen zu mobilisieren und sich selbst – mithilfe des letzten Auswegs, des Terrors – eine Stimme zu geben.
Dabei sind die ersten ein, zwei Tage nach dem 11. September interessant, als noch nicht klar war, dass die Anschläge von al-Qaida verübt wurden. Personen wie Jean-Ziegler sprachen über einen Racheakt gegen den westlichen Imperialismus. Ich glaube, daran ist auch einiges wahr. Der Dschihadismus, so wie wir ihn in Form der IS kennengelernt haben, ist im Endeffekt ein Produkt des westlichen Imperialismus, der einen Irak zerstört hat. Ein Produkt einer Konstellation, in der die Sunniten von der schiitischen Elite unterdrückt worden sind (egal, wie viel Schuld sie selbst daran haben) und die dann dazu geführt hat, dass sie keine politische Möglichkeit mehr gesehen haben, ein wertvolles und menschenwürdiges Leben zu führen, und sie zur letzten Waffe, nämlich dem Terror, gegriffen haben. Das legitimiert das Ganze nicht, und ich will damit nichts beschönigen, aber man muss diesen Akt des Dschihadismus wirklich im Kontext dieser ökonomischen und politischen Ausgrenzung erklären.
Welche Antworten braucht es auf islamfeindlichen Rassismus?
Es braucht ein Umdenken in der Dominanzgesellschaft, die verstehen muss, dass die Ressourcen auch auf diese Minderheiten aufgeteilt werden. Wir haben in Wien 100 Gemeinderatsabgeordnete von denen zwei, drei einen sogenannten Migrationshintergrund haben, wir haben ein, zwei muslimischstämmige Leute. Das ist eine Disparität. Wenn die Dominanzgesellschaft versteht, dass Muslime ein normaler Teil der Gesellschaft sind und am Kuchen genauso mitschneiden wie alle anderen, würde sich etwas verändern. Das muss aber noch nicht notwendigerweise so kommen.
Deswegen, was noch viel wichtiger ist: Es muss sich der Diskurs ändern. Er muss weg von dieser Kulturalisierung und Religionisierung von politisch-ökonomischen Bruchlinien in der Gesellschaft. Stattdessen müssen wir uns mit sozialen, politischen und ökonomischen Problemen differenziert auseinandersetzen. Die Probleme dürfen nicht „islamisiert“ werden. Damit einhergehend muss es auch zu einer Normalisierung der Muslime kommen, sowohl in der Repräsentation in der Gesellschaft, wie auch im Diskurs. Wenn eine ZIB-Moderatorin Kopftuch trägt, und das Kopftuch als solches ebenso wie ihre Zugehörigkeit zum Islam nicht mehr diskutiert wird, weil sie als Mensch gesehen wird und Muslime nicht als Muslime, sondern als Menschen wahrgenommen werden, dann sind wir in der Normalität angekommen. Bis dahin haben wir es allerdings noch weit.
Farid Hafez ist Politikwissenschafter an der Universität Salzburg, Herausgeber des Jahrbuchs für Islamophobieforschung und Buchautor: Islamophober Populismus: Moschee- und Minarettbauverbote österreichischer Parlamentsparteien (2009), From the Far Right to the Mainstream: Islamophobia in Party Politics and the Media (2012). Folgen kann man Farid Hafez auf Twitter @ferithafez und seinem Blog www.faridhafez.com