Gegen den Klimawandel, gegen Diktatur: Ein Aufruf aus Kairo
Die Egypt Solidarity Initiative hat den folgenden Aufruf von Aktivist:innen der »Ägyptischen Kampagne für Klima und Demokratie« erhalten, die seit vielen Jahren an Kampagnen für Demokratie, Gewerkschaften und Menschen- und Umweltgerechtigkeit beteiligt sind. Wir veröffentlichen dies in ihrem Namen, da das Ausmaß der Repression die Veröffentlichung eines offenen Aufrufs aus dem Land selbst verhindert.
Ein Aufruf ägyptischer Aktivist:innen
Im November dieses Jahres wird die COP27-Konferenz in der Tourismusstadt Scharm El-Scheich auf der Sinai-Halbinsel in Ägypten stattfinden. Die Regierungen der Welt haben fast alle Versprechen gebrochen, die auf der COP26 in Glasgow gemacht wurden. Wir alle steuern auf eine Klimakatastrophe zu, aber die politischen Staatsoberhaupte und Großunternehmen sind zu sehr in ihren Wettbewerb um Ressourcen, Märkte und geopolitische Vorherrschaft vertieft, um die notwendigen Maßnahmen zur Rettung unseres Planeten zu ergreifen.
Jeden Tag wird Millionen von Menschen auf der ganzen Welt klarer, dass nur eine Graswurzelbewegung einen tatsächlichen Wandel erzwingen kann.
Die COP27-Konferenz findet jedoch in einem abgelegenen, stark überwachten und touristischenrt statt, der nur über eine einzige Hauptverkehrsstraße verfügt und in dem Hotels Preise verlangen, die so hoch sind, dass viele Basisorganisationen, insbesondere aus ärmeren Ländern, sich diese nicht leisten könnten.
Die ägyptische Regierung hat angekündigt, dass es während der Konferenz Raum für die Opposition geben wird, aber was sie tatsächlich meint, ist, dass Aktivist:innen gefälschte »Kunstrasen«-Proteste (von Kunstrasenbewegung, engl.: astroturfing) angeboten werden, bei denen staatlich angegliederte NGOs in der Nähe des Kongresszentrums demonstrieren, um den Eindruck einer unabhängigen lokalen Zivilgesellschaft zu vermitteln. Echte ägyptische Oppositionsaktivist:innen werden während der Konferenz nicht in die Nähe von Scharm El-Scheich gelassen. Es wäre eine Schande, wenn tatsächliche globale Graswurzelbewegungen dazu verleitet würden, an einer solchen staatlich inszenierten Scharade teilzunehmen.
Während sich die ägyptische Regierung auf die COP27 vorbereitet, leiden Tausende von Menschen, darunter Menschenrechtsverteidiger:innen, Journalist:innen, friedliche Demonstrant:innen, Anwätinnen und Anwälte, Oppositionspolitiker:innen und Aktivist:innen, weiterhin in ägyptischen Gefängnissen unter brutalen Bedingungen. Dies ohne Rechtsgrundlage oder nach grob unfairen Gerichtsverfahren, nur weil sie ihr Recht auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungsfreiheit oder friedliche Versammlung wahrgenommen haben.
Ägypten ist ein afrikanisches Land und Teil des globalen Südens. Aber Ägypten ist auch ein Land, das von einer brutalen und korrupten Militärdiktatur regiert wird. Das Regime von Abdelfattah El-Sisi wird sich während der Konferenz und in den Monaten davor als Verfechter der Bedürfnisse und Forderungen des Globalen Südens im Allgemeinen und des afrikanischen Kontinents im Besonderen präsentieren. Dies ist eine große Lüge. Das einzige, was dieses Regime vertritt, ist die Militärjunta, die seit 2013 an der Macht ist.
Im Juli 2013 kam General Sisi durch einen brutalen Militärputsch an die Macht und profitierte von der gescheiterten Politik, der politischen Lähmung und den verratenen Versprechen der Präsidentschaft von Mohamed Morsi und der Muslimbruderschaft. Seitdem hat das Regime jede Form von Opposition durch Terror unterdrückt. Dieses Regime vertritt weder das ägyptische Volk, noch den afrikanischen Kontinent oder den Globalen Süden in irgendeiner Weise. Sisi wird alles tun, um das Regime »grün zu waschen« und ein paar Vorzeigeprojekte für alternative und erneuerbare Energien hervorzuheben. Die Realität ist jedoch, dass er sowohl das ägyptische Volk als auch die Umwelt verwüstet.
Mit diesem Greenwashing werden zwei Ziele verfolgt: Erstens soll so viel Finanzhilfe wie möglich von den reichen Industrieländern erhalten werden. Die Meisten dieser Gelder werden am Ende aus dem Land auf die Bankkonten von Sisi und seinen Generälen in eben diesen Industrieländern fließen. Zweitens soll damit von Sisis miserablen Menschenrechtsbilanz abgelenkt werden, und wie üblich werden die Staatsoberhäupte der angeblich demokratischen, westlichen Regierungen ihn damit davonkommen lassen.
»Echte ägyptische Oppositionsaktivist:innen werden während der Konferenz nicht in die Nähe von Scharm El-Scheich gelassen. Es wäre eine Schande, wenn tatsächliche globale Graswurzelbewegungen dazu verleitet würden, an einer solchen staatlich orchestrierten Scharade teilzunehmen«
Es sind die Menschen im globalen Süden, einschließlich Ägypten, die den höchsten Preis für den Klimawandel und die Umweltzerstörung zahlen werden. Daher ist es wichtig, dass sie sich an den globalen Bewegungen beteiligen, die Druck auf Regierungen ausüben, um Veränderungen zu erreichen, die diese Prozesse verlangsamen oder umkehren.
Dem ägyptischen Volk wird jedoch das Recht verweigert, sich zu organisieren oder zu demonstrieren. Auch jede Art von freier Meinungsäußerung wird ihnen verwehrt (über 500 Internetseiten der ägyptischen Opposition sind seit 2014 blockiert). All dies geschieht durch drakonische Gesetze, extralegale Inhaftierungen, Folter und sogar Mord.
Ägyptische Aktivist:innen, die sich gegen Aspekte der Umweltpolitik der Regierung gestellt haben, werden schikaniert, inhaftiert, überwacht und zum Schweigen gebracht. Egal, ob es um den Kampf gegen den Import von Kohle, gegen Zementfabriken in der Nähe von Wohngebieten und die damit verbundenen Gesundheitsschäden, gegen Düngemittelfabriken, die die Wasserquellen verschmutzen, oder sogar gegen die Zerstörung von Bäumen und Grünflächen in städtischen Zentren geht, um Platz für Bauprojekte zu schaffen, die Antwort ist immer dieselbe: staatliche Repression.
»Dieses Regime repräsentiert weder das ägyptische Volk, noch den afrikanischen Kontinent oder den globalen Süden.«
Diese Worte gelten nicht den politischen Staatsoberhäupten, die an der Konferenz teilnehmen werden, oder ihren Regierungen. Diese Politiker:innen reisen im November nach Scharm el-Scheich, um das ägyptische Regime zu feiern und Sisi dabei zu helfen, seine Regierung »grün zu waschen«. Sie kommen auch, um Geschäfte zu machen, Allianzen zu festigen und mittelmäßige, unzureichende Versprechungen zum Klimawandel zu machen, die sie nicht einzuhalten gedenken (man sehe sich nur an, wie sie nach dem russischen Krieg gegen die Ukraine um neue Öl- und Gasgeschäfte mit den absolutistischen Monarchien am Golf bemühen).
Diese Worte richten sich an all die Aktivist:innen in den weltweiten Basisbewegungen gegen den Klimawandel, aber auch an diejenigen, die für Demokratie, Freiheit und soziale Gerechtigkeit kämpfen. In der Tat wird es deutlicher denn je, dass eine Trennung dieser beiden Kämpfe nur zum Nachteil beider sein kann.
An alle, die im Vorfeld der November-Konferenz oder während der Veranstaltung selbst Gegenveranstaltungen organisieren: Euer Kampf ist unser Kampf. Lasst Sisi nicht mit seiner Behauptung durchkommen, den Süden zu vertreten. Lasst ihn nicht sein mörderisches Regime schönreden. Lasst uns im Globalen Süden und Norden gemeinsam für eine Welt ohne Klimakrise und Umweltzerstörung arbeiten. Das kann nur gelingen, wenn wir auch solidarisch für Demokratie, Menschenwürde und Freiheit zusammenstehen.
Die ägyptische Kampagne für Klima und Demokratie
Juni 2022