Rein in den Kampf für Trans-Rechte!
Der Aufstieg der bigotten Rechten war mit der Wahl Trumps nicht zu Ende und nicht erst seit Corona erstarken rechtsextreme und faschistische Parteien weltweit. Einmal an der Macht, beschließen und exekutieren sie Unterdrückungsgesetze. Der von Rechten geschürte Hass auf Minderheiten führt zu Gewalt. Vor der geplanten Pride-Parade Ende Juni ermordete in Oslo ein Angreifer bei einer Schwulen-Bar zwei Menschen und verletzte 21 weitere. In Münster wurde am Christopher Street Day am 27. August die 25-jahrige Transperson Malte C. von einem Mann erschlagen. Die Europride ist eine paneuropäische Großveranstaltung der LGTBIQ-Bewegung, die seit 1992 jeden Sommer in einem anderen europäischen Land organisiert wird. Die englische Abkürzung LGBTIQ steht für lesbisch, schwul, bisexuell, transgender, intersexuell und queer.
Die Pride-Bewegung wurzelt in den tagelangen Stonewall-Riots, Straßenschlachten im Juni 1969, nachdem Polizisten eine Bar namens Stonewall Inn in der New Yorker Christopher Street stürmten. Der Aufstand von Schwulen, Lesben, Transmenschen und Drag Queens gegen staatliche Misshandlung und Schikanen begeisterte Unterdrückte auf der ganzen Welt. Unter den Kämpfenden waren die Drag Queens Marsha P. Johnson und Sylvia Rivera, die Gesichter der Bewegung für LGBTIQ-Rechte. Beide hatten Migrationshintergrund, stammten aus ärmsten Verhältnissen und schlugen sich als Sexarbeiterinnen durch.
Beide gründeten 1970 den Verein Street Transvestite Action Revolutionaries (STAR), um obdachlose Drag Queens und Transpersonen zu unterstützen. Johnson und Rivera beteiligten sich an der Gründung der Gay Liberation Front. Der Name war eine Sympathiebekundung an die vietnamesischen Partisanen, die National Liberation Front, die gegen die US-Armee kämpfte. Die beiden arbeiteten mit den puerto-ricanischen Young Lords ebenso zusammen wie mit den afroamerikanischen Black Panthers. Die LGBTIQ-Bewegung wurde ab den Stonewall-Riots Teil der weltweiten Bewegungen, die das ganze System erschütterten.
Solidarität ist eine Waffe
Die 1968er Bewegung war so erfolgreich, weil sich die verschiedenen Bewegungen aufeinander bezogen und wussten: Der Feind steht rechts. Mit dem Niedergang der 1968er Bewegung spaltet sich der reißende Fluss in kleine Rinnsale auf, verlor an Stärke und Linke beschäftigten sich zunehmend mit sich selbst. Rivera verließ entsetzt die radikale Gay Activist Alliance, als sich diese gegen die Verteidigung von Transgender-Rechten entschied und hielt bei der New Yorker Pride-Parade 1973 eine anklagende Rede über fehlende Solidarität von Schwulen- und Lesben-Organisationen. Dafür wurde Sylvia dort angepöbelt und geschlagen. Die Gruppe Lesbian Feminist Liberation verteilte Flyer, die Drag Queens als frauenfeindlich brandmarkten. Absurd, Transmenschen erleben häufiger Gewalt und haben weniger Rechte. Eine schwarze Transfrau hatte in den USA noch im Jahr 2021 eine durchschnittliche Lebenserwartung von 35 Jahren. Die Polizei ist für Transmenschen und noch weniger für solche, die Rassismus erfahren, keine Anlaufstelle.
Feministinnen gründeten in den 70er und 80er Jahren Organisationen und Safe Spaces oft nur für Frauen und Lesben. Viele blieben solidarisch mit anderen Unterdrückten. Andere Strömungen separierten sich als Frauen und Lesben völlig und reduzierten sich auf ihre ureigenste Anliegen. Manche sehen selbst Transfrauen, weil männlich sozialisiert, bis heute als potenzielle Vergewaltiger anstatt als mögliche Verbündete gegen Unterdrückung. Susan Brownmiller schrieb: „Von prähistorischen Zeiten bis heute, so glaube ich, hat Vergewaltigung eine kritische Funktion gehabt. Sie ist nicht mehr und nicht weniger als ein bewusster Prozess der Einschüchterung, durch den alle Männer alle Frauen in einem Zustand der Angst halten.“
Die Behauptung, dass Frauenunterdrückung dem Mann quasi innewohnt ist nur eine Schwäche der feministischen Patriarchatstheorie. Dennoch sind viele Feministinnen trans-solidarisch, etwa Judith Butler.„Die Angst ist besonders ausgeprägt, wenn Personen des öffentlichen Lebens – Politiker, bekannte Zeitungskolumnisten usw. – transsexuelle Menschen in der Presse oder im Fernsehen dämonisieren; das macht die Angst noch größer, weil man befürchtet, dass jemand danach handeln wird“. Der Konflikt um die Rechte von transsexuellen und nicht-binären Menschen ist aktuell wieder ein prominentes wie giftiges Thema in der LGBTIQ- Community und feministischen Szene.
Vergiftete Debatte erreicht Österreich
Im Mai war die lesbische Philosophie-Professorin Kathleen Stock aus England für einen Auftritt in Wien. Stock ist prominent für ihren Kampf gegen die „Praxis des Transgenderismus“ und das geplante Selbstbestimmungsgesetz. Beim Gegenprotest gab es Demoschilder mit der Aufschrift „Terfs boxen“. Der relativ neue Begriff „Terf“ ist eine Abkürzung für Trans-Exclusionary Radical Feminism (Trans-ausschließender radikaler Feminismus). Auf der Plattform #aufstehn startete jemand einen Petitionsaufruf, dass sich Politiker_innen von Gewaltaufrufen distanzieren müssten. Kurz darauf war die Petition auf der Plattform verborgen worden und die die grüne Abgeordnete Faika El-Nagashi fragte auf Twitter nach dem Grund. Ein Shitstorm gegen sie begann.
Faika El-Nagashi ist eine lesbische „Woman of Color“, ist seit langem in der Bewegung aktiv und eine bekannte Antirassistin. Sie sorgt die Aggressivität mancher Transaktivist_innen und die neue „Cancel-Culture“. Der Falter interviewte sie und der Shitstorm nahm an Fahrt auf. El-Nagashi bekam den Raum um ihre Ableh nung von „Cancel-Culture“ darzulegen, und hätte dafür wohl breite Zustimmung erhalten. Sie hat sich aber auch inhaltlich auf die Seite etwa von Kathleen Stock gestellt, die völlig zurecht als transfeindlich in der Kritik steht.
Es geht auch besser: m Horvat* ist queer, nicht-binär und bietet Beratung und Workshops bei Nibiq an und argumentiert sehr differenziert. m antwortete nach Faikas Interview im Falter mit dem Interview: „Das Wort Frau darf nicht verschwinden“ in der Folgeausgabe mit der Feststellung: „Es gibt Frauen mit einem Penis.“ Sie verlangt ein anderes Zugehen auf Transsexuelle bzw. die von Transfeindlichkeit betroffenen. Denn es braucht „Offenheit und Selbstreflexion, um zu wissen: Ich bin nicht Teil dieser Gruppe, wenn ich etwas über sie wissen will, muss ich ihnen zuhören.“ So könnte eine dringend nötige weiterführende Debatte zwischen verschiedenen Denkschulen entstehen.
Queerfeminismus überträgt die Idee des sozialen Konstrukts auf das Geschlecht generell und verneint ein biologisches Geschlecht als Gegebenheit. Queerfeminst_innen sehen darin eine Befreiung von sämtlichen Rollen, Rollenzuweisungen oder Stereotypen. Andere Feminist_innen sehen darin die Beseitigung jeglicher sinnvoller Machtanalyse von Frauenunterdrückung und damit ein Auslöschen ihrer Stimme. Wir Linke brauchen, statt einer Cancel-Kultur, eine Debattenkultur, die eine inhaltliche Auseinandersetzung ermöglicht.
Kathleen Stock und Konservativen
Massiv negative Folgen wegen der Cancel-Kultur erlebt die NGO Stonewall für deren Unterstützung von Transmenschen. Kooperationen und Fördergelder wurden gestrichen. Als Kathleen Stock 2020 den Orden des British Empire für „Verdienste um die Hochschulbildung“ verliehen bekam, nutzte sie ihre Rede auch um Stonewall und „Genderaktivismus“ anzugreifen. 600 Akademiker_innen unterzeichneten eine Petition gegen Stocks Kritik. 2021 veröffentlichte Stock ein „geschlechterkritisches“ Buch und wetterte gegen das geplante Selbstbestimmungsrecht (Geschlechtseintrag per Selbstauskunft). Transsexuelle Studierende fühlten sich angefeindet und forderten die Universität auf, ihre eigene Trans-Gleichstellungspolitik umzusetzen. Doch Stock erhielt Rückendeckung von der Uni-Leitung und von der Gleichstellungsministerin der Tory-Regierung. Die Studierenden starteten eine heftige Protestwelle. Auch Stocks Entlassung wurde gefordert. Sie kündigte selbst und arbeitet nun für einen reaktionären Thinktank am Thema weiter.
Die sozialistische Position bei Protesten wie denen in Sussex besteht darin, zuallererst in Solidarität mit den protestierenden Studierenden und ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung. Forderungen nach Entlassung behalten wir uns aber für Faschist_innen vor. Stock ist wie die meisten anderen „Gender-Kritiker_innen“ keine Faschistin. Sozialist_innen sollten immer klar auf Seiten der Unterdrückten sein. Unser Ausgangspunkt in den heutigen Konflikten um Trans-Rechte muss die Solidarität mit transidenten, nicht-binären und geschlechtsspezifisch unterschiedlichen Menschen sein. Wir müssen respektieren, wie sich die Unterdrückten selbst identifizieren. Und wir müssen uns gegen die Behauptung wehren, dass der Kampf die Rechte einer unterdrückten Gruppe (Transmenschen) die Rechte einer anderen (Frauen) untergraben.
Der Feind steht rechts. Dieselben Politiker, die wie Aleksandar Vučić die Regebogenbewegung unterdrücken, sind für konservative Politik gegen Frauen und Missachtung der Asylrechte verantwortlich.
Das Selbstbestimmungsgesetz
Mit dem Selbstbestimmungsgesetz will die deutsche Bundesregierung eine Änderung des rechtlichen Geschlechtseintrags grundsätzlich per Selbstauskunft beim Standesamt statt langwieriger Verfahren und Zwangsgutachten ermöglichen. Solche Gesetze gibt es bereits in Argentinien, Malta, Dänemark, Luxemburg, Belgien, Irland, Portugal, Island, Neuseeland, Norwegen, Uruguay und der Schweiz. Die Erfahrung dieser Länder sind gut und zeigt keinerlei negative Folgen. Die bekannteste deutsche Feministin, Alice Schwarzer, kampagnisiert trotzdem gegen die „sich anbahnende Katastrophe“ durch das angekündigte Selbstbestimmungsgesetz.
Im Sammelband „Transsexualität: Was ist eine Frau? Was ist ein Mann? – Eine Streitschrift“ behaupten Alice Schwarzer und Chantal Louis, dass es nur wenige echt transidentische Menschen gebe. Der große Rest unterliege der um sich greifenden „Trans-Mode“ wegen rigider Rollenklischees. Die Kritik von Deutschlandfunk Kultur ist vernichtend: „Niemand weiß genau, wie viele Jugendliche trans sind. Um das zu verschleiern, arbeiten die Autoren mit Floskeln… Dazu kommt die Schilderung skandalöser Einzelfälle: Männer, die sich als Frauen getarnt Zugang zu Sammelumkleidekabinen verschaffen oder in Frauenhaftanstalten weibliche Mithäftlinge vergewaltigen. Das ist, man muss es sagen, der Stil der Massenblätter, deren Nähe Schwarzer seit Jahrzehnten sucht… Alice Schwarzer macht auf dem Rücken einer der am stärksten diskriminierten Minderheiten unserer Gesellschaft Auflage und Stimmung.“ Schwarzer erntet, wie schon in der Kopftuchdebatte, Applaus aus rechtextremen Kreisen.
Auch autonome feministische Gruppen wie Get the L Out schüren international Stimmung. Get the L Out trugen auf der Pride Cymru (Wales) provokante Transparente mit den Aufschriften „Trans-Aktivismus löscht Lesben aus“ und „Lesben mögen keine Penisse“, was zu heftigen Tumulten in der Menge führte. Sie argumentieren: „Die LGBT-Gemeinschaft zwingt Lesben, Penisse als weibliche Organe und heterosexuellen Verkehr als lesbische Sexualpraktik zu akzeptieren. Wir lehnen diese manipulative Ideologie ab und verurteilen sie als eine Form der Vergewaltigungskultur, die sich an Lesben richtet, sowie als eine Form der Konversionstherapie.“ Sexualisierte Gewalt ist ein gesellschafts-übergreifendes Problem. Gleichzeitig ist zu beobachten, dass das Thema für transfeindliche Argumente instrumentalisiert und als Fake News genutzt wird. Das verunmöglicht inhaltliche Debatten zum gesellschaftlichen Umgang mit sexualisierter Gewalt. Das Narrativ ist, dass die meisten Transfrauen eigentlich gewalttätige Männer seien, die sich als Frau verkleiden, um „echten“ Frauen Schaden zuzufügen.
Wir brauchen gerade jetzt mehr Kooperation, Solidarität und breite Bündnisse miteinander. Die rechte Bedrohung durch Militarismus, Rassismen, Sexismen, Teuerung und Klimawandelleugnung betrifft uns Lohnabhängige alle. Nicht gespalten, nur geeint können wir die Welt verändern. In Polen ist das Recht auf Abtreibung wie das Asylrecht de facto aufgehoben und immer mehr Gebietskörperschaften erklären sich zu „LGBT-freien“ Zonen. Das ungarische Parlament verabschiedete 2021 ein Anti-LGBTIQ-Gesetz, welches Aufklärungs- und Bildungsmaterial für Kinder sowie von Werbung verbietet, wenn sie nicht der heterosexuellen Norm entspricht. Homosexuelle sind von Adoption ausgeschlossen und das Geschlecht eines Menschen zum Zeitpunkt seiner Geburt ist unabänderbar. Ende September wird wohl die Faschistin Giorgia Meloni die Wahl in Italien gewinnen. Gegen Diskriminierung und Demokratieabbau gibt und gab keinen EU-Schulterschluss.
Laut Bericht des Europäischen Parlamentarischen Forums für sexuelle und reproduktive Rechte (EPF) aus dem Jahr 2021 flossen 707,2 Millionen US-Dollar von 54 Organisationen speziell für Anti-Gender-Mobilisierung nach Europa. 81,3 Millionen Dollar stammen von 10 Akteuren aus den USA, entweder NGOs oder Think Tanks der christlichen Rechten in den USA. Diese erhalten ihrerseits Mittel von konservativen Stiftungen mit engen Verbindungen zur republikanischen Partei und Rechtsextremen wie dem Ku Klux Klan oder den Proud Boys. Von der Russischen Föderation kommen 188,2 Millionen Dollar über die zwei Oligarchen Wladimir Yakunin und Konstatin Malofeev. Böse Zungen behaupten, sie finanzieren zusätzlich rechtsextreme Parteien in Europa mit Schwarzgeldern. Den größten Anteil mit 437,7 Millionen stemmen Europas Rechtsextreme selbst zur Finanzierung von transexkludierenden Protesten und Maßnahmen. Der Bericht identifiziert nicht ganz 20 private Stiftungen. Andere Organisationen sind religiöse Institutionen und paneuropäische faschistische Parteien.
Darüber hinaus sind in den letzten zehn Jahren neue internationale NGO-Allianzen entstanden: ein paneuropäischer Anti-Abtreibungsverband, ein europäisches Modell für Anti-LGBTQI-Kampagnen, eine christliche Partei auf europäischer Ebene, eine ultrakonservative Plattform für soziale Medien und eine Reihe von miteinander verbundenen pseudokatholischen, rechtsextremen Akteuren. Diese Daten sind aber nur die Spitze des Eisbergs.
Die ÖVP pflegt enge Kontakte mit erzkonservativen, christlichen Gruppen gegen LGBTIQ-Rechte und das Recht auf Abtreibung. Ranghohe ÖVP-Politiker_innen unterstützen den sogenannten „Marsch fürs Leben“ mit genauso großer Begeisterung wie der Cartellverband, die FPÖ und außerparlamentarische Nazis. Die ÖVP-Bereichssprecherin für Menschenrechte Gudrun Kugler und ihr Ehemann, der ehemalige Pressesprecher des Opus Dei, sind hierzulande wichtige Teile von internationalen Netzwerken der Fundamentalisten. ÖVP-Abgeordnete wie Kugler, Parlamentspräsident Wolfgang Sobotka und Bundesratspräsidentin Andrea Eder-Gitschthaler boten selbst der radikalen Loretto-Gemeinschaft eine Bühne im Parlament.
Welche Seite stärken?
Die liberale Feministin und Journalistin Elfriede Hammerl veröffentlichte zahllose großartige Artikel. Jetzt hat sie sich verrannt. Sie stellt im Profil – nach untergriffigen Bemerkungen über das Erscheinungsbild von Transfrauen – durchgängig falsche Gegensatzpaare auf: „Es gibt die alten Emanzen und die alten Anti-Emanzen, es gibt die große Masse derer, die einfach irgendwie durch einen anstrengenden Alltag kommen wollen, und es gibt junge Feministinnen, die in der neuen Geschlechtervielfalt einen großen Befreiungsschlag sehen, weil sie es satthaben, ständig mit dem gleichen langweiligen Zeug wie Einkommensschere, Unterhaltsfragen, Kinderbetreuungsdilemma etc. vollgelabert zu werden. Ist halt (noch) nicht ihre Lebensrealität, die, eh schon wissen, geplagte Alleinerzieherin in der schiachen kleinen Wohnung mit der gestiegenen Miete. Sie reagieren ebenfalls mit angewiderter Ablehnung auf alle, die diese Geschlechtervielfalt auf eine bloße Rollenvielfalt reduzieren. Vielleicht ist es an der Zeit, die Perspektive zu wechseln, die Cui-bono-Frage zu stellen und sich anzuschauen, wer aller verdient am Hype um die Geschlechtervielfalt. The Winner is …? Richtig, die Pharmaindustrie. Die plastische Chirurgie. Auch die medizinische Forschung, was prinzipiell gut ist, aber trotzdem die Frage aufwirft, ob alles ein Fortschritt ist, was gemacht werden kann, und ob es deswegen gemacht werden muss, Stichwort Uterustransplantation.“
Hammerl legt im Text sogar nahe, dass Frauenarmut den offenen jungen Feministinnen und Transfrauen zu fade Themen in ihrem kinderlosen Luxusleben seien. Wem nutzt sie damit? Keiner Frau! „Woke“ ist ein Begriff aus den USA und bedeutet, dass Menschen sich sozial und politisch über Diskriminierungen und Ungerechtigkeiten bewusst sind und bewusst dagegen auftreten. Rechte versuchen die niedrigen Instinkte bei einfachen Menschen zu wecken und die radikalisierende Wirkung von Massenbewegungen wie Black Lives Matter, MeToo oder die Klimastreiks von Schüler_innen Rebellion wieder zurückzudrängen. Sie wollen Woke ins Lächerliche ziehen und behaupteten, es sei ein Angriff auf Meinungsfreiheit.
Wir sollten uns immer fragen, welche Seite wir stärken.
Die Menschheitsgeschichte ist eine Geschichte von Klassenkämpfen, in der es weiter offen bleibt, welche Seite sich durchsetzen wird. Die erste gesetzliche Legalisierung von homosexueller Liebe wurde 1791 im Umwälzungsprozess der Französischen Revolution verabschiedet. Der Internationale Frauenkampftag am 8. März mündete 1917 im großen Textilarbeiterinnenstreik in St. Petersburg, der auf andere Sektoren übergriff und die „Februarrevolution“ auslöste. Die revolutionären Bewegungen zwischen dem 1. und 2. Weltkrieg krempelten monarchistische oder bürgerliche Moralauffassungen völlig um, beispielsweise in Russland, der Weimarer oder der Spanischen Republik. Die brachten eine radikale Verwerfung der Vorstellung von Sexualität, Geschlechterrollen und Liebe. Die Zerschlagung der Arbeiterbewegung in Deutschland durch die Nazis 1933 war ein Desaster für alle unterdrückten Gruppen. Diktaturen in Österreich, Italien, Spanien und Portugal drehten das Rad der Zeit zurück.
Rote und der Regenbogen
Wie wir Diskriminierung nachhaltig überwinden können, ist eine wichtige Frage. Wir Sozialist_innen wollen die Ursache für Unterdrückung endgültig beseitigen. Dazu ist es wichtig Klarheit über die Wurzel des Übels zu haben. Die prominente Autorin und LGBTIQ-Aktivistin Leslie Feinberg schrieb: „Vor der Aufteilung der Gesellschaft in Klassen verbanden die alten Religionen gemeinsam geglaubte Ansichten mit materiellen Beobachtungen über die Natur.
Das Christentum als Massenreligion hatte seinen eigentlichen Ursprung unter den Armen der Städte des römischen Reiches, und nahm auch Elemente des Kollektivismus und einen Hass gegen eine reiche herrschende Elite mit in sich auf. Doch über mehrere hundert Jahren verwandelte sich das Christentum von einer revolutionären Bewegung der städtischen Armen in eine mächtige Staatsreligion, die den Interessen der Reichen diente. Transgender in all seinen Ausprägungen wurde zum Feindbild.“
Der römische Kaiser Konstantin, ein bekehrter Christ, war der erste, der im Jahr 342 Homosexualität mit Kastration bestrafen ließ. Doch die herrschenden Klassen waren noch nicht in der Lage allen Untertanen ihr neues Wirtschaftssystem und die Religion aufzuzwingen. Nach dem Zerfall des römischen, auf der Sklaverei basierenden Produktionssystems, gab es selbst im Feudalismus immer noch Überreste von alten heidnischen Religionen, die Sex – egal ob trans-, bi- und homosexuell – lustvoll befürworteten. Während des gesamten Mittelalters noch bis hin zum frühen industriellen Kapitalismus spielte der Transvestismus und Transmenschen auch in Europa eine wichtige Rolle bei vielen sozialen und politischen Rebellionen gegen die Klassenherrschaft.
Nicht nur Höhlenmalereien und Ausgrabungen zeichnen ein Bild der sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt in Urgesellschaften. Im Zuge der Kolonialisierung dokumentierten zahlreiche Missionare ihren Schreck. Ein paar Beispiele: 1551 schreibt der portugiesische Missionar Pater Pero Correia aus Brasilien, dass die gleichgeschlechtliche Liebe genauso üblich sei wie in Afrika, wo er zuvor stationiert war. Die Frauen trügen Waffen und würden gleichgeschlechtliche Ehen eingehen. Francis Cabral, ein katholischer Missionar in Japan, schreibt 1596 an den Vatikan, dass hier niemand die „widernatürliche Sünde abnormal oder abscheulich“ finde. Der jesuitische Gesandte in China, Matteo Ricci, berichtet 1609 seinen Schock angesichts der Legalität und öffentlichen Verbreitung der „widernatürlichen Sünde“. Die Gay American Indians (GAI) dokumentiert alternative gesellschaftliche Rollen in über 135 verschiedenen Nationen der nordamerikanischen Ureinwohner_innen. Die Kriegerin Barcheeampe hatte mehrere Ehefrauen und war Dritthöchste in der Rangordnung der 160 Stammeshäuptlinge des obersten Rats der Crow. Die Kolonie Virginia erließ 1610 das erste US-Gesetz gegen Sodomie.
Friedrich Engels‘ 1884 erschienenes Buch Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates beschreibt den Ursprung der Unterdrückung durch die Aufspaltung in Klassengesellschaften. Die britische Sozialistin Laura Miles argumentierte im Buch Transgender Resistance: Socialism and the Fight for Trans Liberation, dass sich die Unterdrückung von geschlechtsspezifischem Verhalten mit der Entstehung von Klassengesellschaften und der Konsolidierung der Kernfamilie im Kapitalismus entwickelt hat. Dies geschah als Folge der systematischen Unterdrückung und Enteignung von Frauen und der Unterordnung der weiblichen Sexualität.
Die Unterdrückung der Frau, das binäre Sexual- und Geschlechterdogma und die Vermarktung und Kontrolle des weiblichen Körpers sind tief in der kapitalistischen Ideologie verankert, ebenso wie Homo- und Transphobie. Die endgültige Befreiung von Transmenschen ist, wie die Befreiung von anderen Formen der Unterdrückung, im Kapitalismus nicht möglich, auch wenn bestimmte Rechte im Hier und Jetzt erkämpft und energisch verteidigt werden können und sollten. Nur mit der Abschaffung von Klassengesellschaft ermöglichen wir eine völlige Revolutionierung unserer Beziehungen.