FPÖ lässt die Nazis tanzen Interview mit Hans-Henning Scharsach
Linkswende Magazin: Am Freitag, den 24. Februar feiern deutschnationale, schlagende Burschenschafter einen Ball in der Hofburg, den FPÖ-Akademikerball. In Österreich keine große Aufregung, woanders wären die Gäste womöglich in Haft oder wegen ihrer verfassungsfeindlichen Haltung zumindest unter Beobachtung. Was ist da los in Österreich?
Bei der Verteidigung der österreichischen Bundesverfassung hat unsere Justiz kläglich versagt. Österreich hat sich dazu verpflichtet, alle „Spuren des Nationalsozialismus“ aus Gesellschaft und Politik zu tilgen. Ich glaube wir sind uns einig, was „Spuren“ bedeutet: auch kleinste Teile. Die Burschenschaften aber haben sich aus den Traditionen des Nationalsozialismus nie gelöst. Sie halten bis heute am Arier-Paragraphen fest, der Grundlage dessen war, was im industriell organisierten Massenmord endete. Gleichzeitig verbietet Österreichs Bundesverfassung jede Werbung für Großdeutschland. Zum Wesen der Burschenschaften aber gehört das Bekenntnis zum „deutschen Vaterland“. Die österreichische Nation wird als „Hirngespinst“ lächerlich gemacht oder als „Missgeburt“ verunglimpft. Als die Burschenschaft „Olympia“, aus der zahlreiche führende FPÖ-Politiker hervorgegangen sind, den Vorsitz des Dachverbandes übernahm, dem deutsche und österreichische Burschenschaften angehören, forderte sie allen Ernstes, „Österreich in die deutsche Wiedervereinigung einzubeziehen“. Deutlicher lässt sich Verfassungsfeindlichkeit nicht artikulieren. Dass Österreichs Justiz auf so eindeutige Tatbestände nicht reagiert hat und die Burschenschaften nicht verboten wurden, halte ich für Rechtsverweigerung.
Wie kann es Burschenschaften gelingen, ihre Nähe zum Nationalsozialismus vor der Öffentlichkeit zu verbergen?
Vielfach versuchen sie das gar nicht. Intern fallen die Bekenntnisse zu den nationalsozialistischen Traditionen erstaunlich offen aus. Die Linzer Burschenschaft „Arminia Czernowitz“ beispielsweise, deren Mitglieder zum Großteil in Spitzenpositionen für die oberösterreichische FPÖ tätig sind, lädt zu sogenannten „Bildungsveranstaltungen“ die schlimmsten antisemitischen und neonazistischen Brandredner ein. Beworben wird eine solche Veranstaltung dann mit einem Originalplakat aus der Nazi-Zeit, auf dem nur das Hakenkreuz übermalt ist. Die Verbundenheit mit dem Nationalsozialismus wird also nicht verborgen, sondern stolz zur Schau gestellt – und die österreichische Justiz schaut weg.
Kickl ist kein Burschenschafter, und trotzdem hat er die Partei fest im Griff. Stellen die Burschenschafter immer noch den harten faschistischen Kern der FPÖ, oder verlieren sie an Bedeutung gegenüber moderneren Faschisten?
Überall dort, wo es Burschenschaften gibt – also vor allem im städtischen Bereich, im Umfeld von Universitäten – sind Spitzenpositionen der Freiheitlichen fast ausschließlich von Burschenschaftern besetzt. Sie stellen bis heute den intellektuellen Kern und Oberbau der Partei dar und werden das auch weiterhin tun. Einen „modernen Faschismus“ kann ich in der FPÖ nicht erkennen. Und das politische Nachwuchsreservoir der Freiheitlichen außerhalb der Burschenschaften ist überschaubar: Intellektuelle Führungspersönlichkeiten ohne burschenschaftliche Prägung meiden diese Partei, weil jedes Anstreifen an NS-Traditionen imageschädlich ist und die Karriere außerhalb der Politik beschädigen kann.
Du hast mit dem Buch „Haiders Kampf“ eines der meist gelesensten Sachbücher Österreichs geschrieben. Das war 1992, und es sollte eine Warnung sein vor der FPÖ. Seither hat sich die Partei rasant weiter radikalisiert. Wo würdest du die FPÖ inzwischen politisch einordnen?
Wenn man die Ergebnisse der Politikwissenschaft zum Maßstab nimmt, dann war die FPÖ schon unter Haider eine rechtsextreme Partei. Unter Herbert Kickl hat die Radikalisierung den Fokus geändert. Ideologische Fragen werden von ihm in den Hintergrund gedrängt. Im Vordergrund steht die ohne Rücksicht auf Wahrheitsgehalt und Folgewirkungen immer hasserfülltere Hetze gegen „die da oben“, gegen das politische Establishment, gegen die Europäische Union, gegen die Globalisierung, gegen die Wissenschaft und die Ergebnisse ihrer Arbeit, gegen Umwelt- und Klimaschutz, gegen die Bekämpfung der Pandemie und natürlich auch gegen den gemeinsamen Versuch, einen Verbrecher wie Putin zu bremsen: „Info-DIREKT“, ein oberösterreichisches Rechtsaußen-Magazin, das von oberösterreichischen FPÖ-Politikern mit Regierungsinseraten gefördert wurde und dessen rechtsextreme Autoren Inhalte der FPÖ-Propaganda verbreiten, machte aus seiner Sehnsucht nach einer Rückkehr zum Führerstaat nie ein Geheimnis. Die FPÖ hatte 2016 einen Freundschaftsvertrag mit Putins Partei „Einiges Russland“ unterzeichnet. „Info-DIREKT“ hatte in seiner ersten Nummer auf Seite eins getitelt: „Wir wollen einen wie Putin“.
Nach dem publik werden des Ibiza-Videos hätten die meisten Beobachter die FPÖ abgeschrieben. Aber sie hat sich sehr schnell wieder erholt und schafft es aktuell an die Spitze der Umfragen. Wie konnte sie das schaffen? Ist es nur die Stimmungsmache gegen Muslime und Flüchtlinge, die ihr in die Hände spielt?
Tatsache ist: Wähler haben ein schlechtes Gedächtnis. Und große Teilen der freiheitlichen Wählerschaft reagieren nicht auf kriminelle Vergehen der von ihnen gewählten Politiker. Zweimal hatte die FPÖ als Regierungspartner Gelegenheit, die Geschicke des Landes zu beeinflussen. Beide Male endete das im Desaster. Eine Zeitlang konnte man das Gefühl haben, die FPÖ würde als kriminelle Organisation geführt. Meine Recherchen im Internet haben ergeben, dass freiheitliche Politiker etwa zehnmal so oft rechtskräftig verurteilt wurden wie Politiker aller anderer im Parlament vertretenen Parteien zusammen. Darunter ist praktisch die gesamte Führungsriege unter Haider. Nur bei Karl Heinz Grasser sind die achte Jahre Haft im Buwog-Prozess nicht rechtskräftig. Bei Walter Maischberger, Ewald Stadler, Peter Westentaler, Gernot Rumpold, Haiders Nachfolger als Landeshauptmann Gerhard Dörfler, bei seinem Finanzreferenten Harald Dobernig, bei Stefan Petzner und anderen sind die Urteile rechtskräftig geworden. Uwe Scheuch, den Haider einst als das „größte politische Talent Österreichs“ bezeichnete, wurde gleich viermal verurteilt. Nicht nur das. Rechtskräftige Urteile gab es auch gegen Haiders Lobbyisten, Haiders Bankberater, Haiders Steuerberater und Haiders Koalitionspartner.
Die Liste der Delikte ist lang und alles anderes als harmlos: Korruption, gewerbsmäßiger Betrug, Veruntreuung, Nötigung, Amtsmissbrauch, falsche Beweisaussage usw., usw. Trotz solcher Delikte reagierte die Parteiführung nach Verurteilungen mit Vorwürfen wie „Polit-Prozess“, „Gesinnungsjustiz“ oder „Polit-Willkür“. FPÖ-Chef Herbert Kickl empfand in seiner Funktion als Innenminister die Verurteilungen von FPÖ-Politikern nicht als Schandfleck seiner Partei, sondern als „Schandfleck für Österreichs Justiz“. Dass eine Partei nach einer solchen Serie krimineller Straftaten unter Strache abermals Regierungsverantwortung übernehmen durfte, ist ein blamables Versagen österreichischer Politik. Und dann kam Ibiza: Da hat ein freiheitlicher Parteiobmann versucht, die größte Zeitung des Landes unter seine Kontrolle zu bringen und den Preis dafür mit Steuergeldern zu zahlen, indem er staatliche Aufträge versprach.
Was erwartest du von den nächsten Wahlen. Sollte die FPÖ tatsächlich gewinnen, was droht uns dann?
Auch wenn ich der Einzige bin, der das so sieht: Nichts droht. Gar nichts droht. Nach den kriminellen Serien-Desastern der Vergangenheit, Kickls unfassbaren Lügengeschichte und seiner hasserfüllten Hetzpropaganda kann es sich kein seriöser Politier leisten, mit dieser Partei zu koalieren. Die Wähler mögen ein schlechtes Gedächtnis haben. Die Journalisten haben es nicht. Die Zeitungsarchive sind zum größten Feind der FPÖ geworden und werden es bleiben. Die FPÖ steht in offenem Gegensatz zu allen Grundsätzen der Demokratie. Auf einer Website des burschenschaftlich geführten „Freiheitlichen Akademikerverbandes“ fand sich der folgende Eintrag: „Demokratie schafft immer Unordnung. Sie spaltet das Volk. Sie ist eine Fehlgeburt der Geschichte, die Hure des Westens.“ Demokratie als „Fehlgeburt der Geschichte“ und „Hure des Westens“: Präziser kann man es nicht auf den Punkt bringen, was unserem Land droht, wenn wieder Burschenschafter oder gar Verfasser solcher Postings in die Regierung einziehen würden.
Diesen Freitag gehen wir gemeinsam mit anderen antifaschistischen Gruppen gegen den Burschenschafterball auf die Straße. Treffpunkt 18 Uhr Sigmund-Freud-Park: https://www.facebook.com/events/871123214032879 Hans Henning Scharsach wird mit uns auf dem diesjährigen Marx is Muss über Faschismus in Österreich diskutieren.
Das Interview führte Manfred Ecker.