„Eigentum“ – von Wolf Haas
„Deine Mutter war ein schwieriger Mensch.“ „Sie konnte einem Kind die Inflation erklären, aber sie konnte nicht mit den Leuten.“ Das Leben der „Wagner Marianne“ war von Unglück geprägt, vom Unglück ihrer Vorfahren, die Haus und Hof verloren haben, weil höhere Mächte ihr Spiel mit ihnen trieben, aber auch von ihren außergewöhnlichen Fähigkeiten. Kriege und Wirtschaftskrisen zerstörten die Früchte lebenslanger harter Arbeit der Familie. „Lustige“ Bauern trieben ihr übles Spiel mit dem verarmten Großvater, dem Wagnermeister im idyllischen Maria Alm. Die Inflation vernichtete die Ersparnisse der Urgroßeltern (nicht das Eigentum der Besitzenden) und verwies sie wieder auf ihren angestammten Platz in der Geschichte.
In „Junger Mann“ enthüllt Wolf Haas mit tapferer Offenheit erste Details aus seiner Kindheit und der seelischen Krankheit seines Vaters, jedoch nur am Rande seiner semi-fiktiven Coming-of-Age-Story. Trotzdem imponierte schon diese Geschichte mit dem speziellen Einfühlungsvermögen des Schriftstellers für weniger gebildete oder privilegierte Protagonisten des Romans. „Eigentum“ ist noch viel stärker. Jeder Mensch kennt das hin und her gerissen sein, zwischen der unmittelbaren Wirkung eines „schwierigen Menschen“ auf sich und dem tieferen Verständnis für das Werden des Gegenübers. Bei Wolf Haas erfährt man, wieviel Ehrlichkeit man mit sich selbst braucht, um dem Gegenüber gerecht zu werden.
Der Großvater muss ein herzensguter Mensch gewesen sein, aber die Macht der äußeren Umstände ließen ihn nicht glücklich werden. Als seine Tochter heiratete, handelte er, der Wagnermeister, ihre Sicherheit heraus. „Er stellte eine Forderung. Wissend, dass der künftige Ehemann, einen gewalttätigen Vater hatte, erklärte er ihm: Du darfst sie heiraten, aber schlagen darfst du sie nicht.“
Jeder Mensch kennt das hin und her gerissen sein, zwischen der unmittelbaren Wirkung eines „schwierigen Menschen“ auf sich und dem tieferen Verständnis für das Werden des Gegenübers.
Er war immer verkühlt, hat immer in einem zugigen Schuppen gearbeitet, war zu jeder Tages- und Nachtzeit für die Bauern abrufbereit, um ihre Wagenräder zu reparieren. Die ließen ihn zum Dank dafür monatelang auf die Bezahlung warten. Die Familie war so bitterarm, dass die Tochter des Wagners als zehnjähriges Mädchen zu Großbauern ausgestiftet wird. Sie erlebt dort nicht nur Unglück, sondern beweist sich und der Welt auch ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten. Im Regen unter einem festgebundenen Schirm sitzend konnte sie gleichzeitig Kühe hüten und stricken. Sie findet selbst die Muster heraus, so dass niemand mehr sah, dass die Strümpfe der Bauerssöhne geflickt waren. Sie bringt sich später selbst Fremdsprachen bei, sie beherrschte Mathematik und Buchhaltung, und sie hilft manchem Sohn der begüterten Gastwirte mit Nachhilfeunterricht durch die Schule. Ihre Talente und ihr Können liegen deshalb nie völlig brach, nachdem sie sich als junge Mutter und Kind ihrer Zeit aus dem Berufsleben verabschiedet.
„Nachdem sie ihren Traum, ihr eigenes Grundstück zu erwerben, aufgegeben und von keinerlei Eigentum Besitz ergriffen hatte, hatte etwas Besitz von ihr ergriffen. Niedergeschlagenheit.“ Die äußeren Mächte bleiben auch nicht untätig. Die Gemeinde vertreibt die Witwe aus ihrer Wohnung, angeblich weil die Wohnung gebraucht wird, in Wahrheit aber im Auftrag der „Raiffeisenkassa“, die die Wohnung nach ihrer Vertreibung noch jahrelang ungenutzt leer stehen lässt. Hier schließt sich ein Kreis – zumindest für mich sozialistisch gesinnten Leser.