Die Geschichte der türkischen Gastarbeiter in Österreich
Die Hetze gegen türkische Mitmenschen ist nicht neu. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache ereiferte sich 2009: „Das Problem, das wir jetzt in Österreich wahrnehmen, ist nicht mit den Moslems aus Ägypten oder aus dem Irak. Da gibt es kaum Konflikte, sondern nur mit Moslems aus dem Raum der Türkei.“ Türk_innen rücken nach dem gescheiterten Militärputsch in der Türkei vermehrt ins Visier von Regierungspolitikern. Sätze wie: „Wer sich nicht integriert, soll gehen“, hörte man früher nur von der FPÖ.
Der in der Türkei geborene Ex-Bundesrat Efgani Dönmez (Grüne) stößt ins selbe Horn: „Das ist schmerzhaft, aber die Türken sind die am schlechtesten integrierte Migrantengruppe.“
Er gibt ihnen die Schuld daran, dass sie in dritter oder vierter Generation nur Hilfsarbeiter_innen wären, schlecht Deutsch könnten und sich nicht mit Österreich identifizierten. Die Verantwortung schiebt er auf türkische Kulturvereine, die „problematische religiöse und politische Ideen“ verbreiten würden: „Die leben davon, dass eine Spaltung zur Mehrheitsgesellschaft bleibt.“ Er sieht weder, wie Gastarbeiter_innen systematisch ausgegrenzt werden, noch wie das Bildungssystem ihre Kinder benachteiligt.
Fehler im System
Die OECD kritisiert Österreichs Schulsystem scharf dafür, dass Bildungs- und Berufschancen von einer zur nächsten Generation „vererbt“ werden. Es verstärkt bestehende soziale Ungleichheiten sogar noch. Bei Bildungsgerechtigkeit rangiert Österreich abgeschlagen auf Rang 21 von 23 Ländern. Kinder aus Elternhaus mit niedrigem Bildungsstand haben minimale Chancen aufzusteigen. Für Gastarbeiterkinder ist es noch schwieriger diese Barrieren zu überwinden.
Das erste Anwerbe-Abkommen mit der Türkei wurde 1964 unterzeichnet, auf Basis des sozialpartnerschaftlichen „Raab-Olah-Abkommen“. Die Türkei unterstützte die Abwanderung von Arbeiter_innen wegen der hohen Arbeitslosenquote in der Türkei, während in Österreich Hochkonjunktur und Arbeitskräftemangel herrschte. Das Abkommen zwischen Gewerkschaft- und Wirtschaftsspitze war kein Akt der internationalen Solidarität, sondern der kapitalistischen Notwendigkeit. Ohne ausländische Arbeiter_innen hätte es einfach weniger Profite gegeben.
Die ersten Gastarbeiter
Festgelegte Kontingente von Gastarbeiter_innen für bestimmte Branchen, eine auf ein Jahr beschränkte Beschäftigungsdauer, und Rotation von Arbeiter_innen haben bewirkt, dass es wenig Kontakt zu inländischen Kolleg_innen gab. Es wurde so gezielt die oft geforderte Integration verhindert, für Solidarität zwischen den Kolleg_innen gab es unter diesen Umständen kaum eine Basis. Türkische Frauen fanden vor allem in konjunkturresistenteren Sektoren Arbeit.
Die Frauen, die vorwiegend in der Textilindustrie und manchmal im Gastgewerbe arbeiteten, verdienten sehr wenig. Vor allem am Land gab es kaum Kinderbetreuungsplätze. Viele Frauen hatten kein Recht auf Karenz, weil sie nicht lange genug im Land waren. Über zwei Drittel der Gastarbeiter_innen lebten laut Medien-Servicestelle Neue ÖsterreicherInnen (MSNÖ) 1981 in überteuerten und überbelegten Substandard-Wohnungen. Heimweh, Verständigungsschwierigkeiten und Stress prägten die prekäre soziale Situation.
Allianz Staat-Bosse
Die wichtigste Voraussetzung für eine Beschäftigung – mit meist ungünstigen Arbeitszeiten, Wochenend- und Nachtarbeit, Schmutzarbeiten und niedrigentlohnte Hilfstätigkeiten – war ein ärztliches Gesundheitsattest, das von den Anwerbekommissionen geprüft wurde.
Den türkischen Arbeitskräften war selbst ein Firmenwechsel verboten. Arbeitsbewilligungen wurden nur für eine konkrete Firma ausgestellt. Vertraglich zugesicherte Rechte wurden nicht eingehalten, wie etwa ein den landesüblichen Verhältnissen angemessener Wohnplatz. Stattdessen waren überbelegte Substandardwohnungen mit Wasser und WC am Gang die Regel. Es gab keine Stelle, an die sich die Betroffenen hätten wenden können. Die Gewerkschaften konzentrierten sich einzig auf die österreichische Stammbelegschaft.
„Austrokeynesianismus“
Die Historikerin Vida Bakondy beschreibt, wie heimische Betriebe auf Protest von Gastarbeiter_innen gegen miserable Wohn- und Arbeitsbedingungen reagierten.
Eine Metallerzeugungsfirma beschwerte sich im Jahr 1963 bei der Wirtschaftskammer, „dass der türkische Arbeiter heute tatsächlich unser Werk verlassen hat mit dem Bemerken, dass er sich eine besser bezahlte Stelle suchen wird. Wir bitten Sie, bei den Arbeitsämtern zu erwirken, dass ihm eine Anstellung bei einer anderen österreichischen Firma jedweder Branche versagt wird, sodass ihm nur die Möglichkeit bleibt, in die Türkei zurückzureisen.“ Der niederösterreichische Unternehmer Rudolf Jäger forderte 1963 von der Wirtschaftskammer, acht türkische Bauarbeiter, die gekündigt hatten, „aufzugreifen und damit zur Rückkehr zu zwingen.“
So verfuhr man mit den Gastarbeiter_innen während der Boom-Jahre. In den Rezessionsjahren 1974/75 wurden 70.000 Arbeitsverträge ganz einfach nicht mehr verlängert. Das Sozialministerium reduzierte die Zahl der Gastarbeiter_innen per Erlass auf 30.000. Während die österreichischen Arbeiter_innen mit Lohnverzicht die Profite hochhalten sollten, schob man die türkischen Arbeitskräfte ab. Diese Politik nennt man heute ganz stolz Austrokeynesianismus!
Ausgrenzung und die Folgen
Das erste Ausländerbeschäftigungsgesetz von 1976 und das Arbeitslosenversicherungsgesetzes aus dem Jahr 1977 schrieben die Schlechterstellung von Migrant_innen gesetzlich fest. Lisa Grösel schreibt dazu im Buch Fremde von Staats wegen: „Im Falle der Beschäftigungslosigkeit drohten außerdem Aufenthaltsverbote wegen mangelnden Nachweises über ein ausreichendes Auskommen.“
Nicht-österreichische Kinder konnten als „außerordentliche Schüler“ geführt und bis zu zwei Klassen zurückgestuft werden. Sie erhielten statt eines Zeugnisses nur eine Besuchsbestätigung.
Efgani Dönmez gibt den türkischen Vereinen die Schuld an der Situation, aber Vereine waren oft das einzige Netzwerk, das Hilfe bot, wenn es rechtliche, soziale, oder psychologische Probleme gab. Weder der österreichische Staat, noch die Gewerkschaft halfen im neuen Umfeld. Solidarität untereinander und ein Türkeibezug waren daher selbstverständlich.
Vereinsvielfalt
Die angeworbenen Arbeitskräfte stammten großteils aus ländlichen Gebieten der Türkei. Sie mieteten Kellerwohnungen und Hinterhöfe, um Gebetsstätten mit kleinen Teestuben zu errichten. Um in der fremden, feindlichen Lebensumgebung der völligen Isolation und dem Identitätsverlust zu entfliehen, organisierten sich viele Gastarbeiter_innen in den islamischen, türkischen Vereinen. Der türkische Staat konnte im politischen Vakuum seinen Einfluss auf die Vereine und damit auf die Emigrant_innen stärken. Das Vakuum erzeugt haben die kapitalorientierten, rassistischen, österreichischen Institutionen.
Im Statistischen Jahrbuch Migration zeigt sich ein völlig anderes Bild als von Dönmez projiziert wird. 49,8 Prozent erleben, dass sie immer oder eher diskriminiert werden. 43,2 Prozent sagen, dass sich ihre Lebenssituation in Österreich in den letzten fünf Jahren verschlechtert hat. Trotzdem geben nur 23,4 Prozent der Türkischstämmigen an, dass sie eher oder gar nicht mit der österreichischen Gesellschaft einverstanden sind.
Diskriminierung
56 Prozent der türkischen Erwerbstätigen waren 2014 als einfache Arbeiter_innen beschäftigt. Bei hier lebenden türkischen Staatsangehörigen lag das Nettojahreseinkommen um 5.185 Euro unter jenem der Österreicher_innen. 78 Prozent gaben an, dass sie unter körperlichen Belastungsfaktoren beim Arbeiten leiden. 23 Prozent der Türk_innen in Österreich waren 2014 armutsgefährdet. Türk_innen haben 23 Quadratmeter pro Person weniger Wohnfläche als Österreicher_innen. Seit Generationen leidet diese Bevölkerungsgruppe unter Schlechterstellung.
In Österreich leben 262.800 Menschen mit türkischen Migrationshintergrund, 114.740 davon sind türkische Staatsangehörige. Etwa jeder dritte der türkischstämmigen Menschen in Österreich ist kurdisch. Knapp 40 Prozent der Türk_innen sind in Wien ansässig. Diese Arbeiter_innen wurden ein nicht irrelevantes Klientel für die Sozialdemokratie. Verbesserungen des Lebensstandards durch Reformen in Zeiten des Aufschwungs machte die SPÖ attraktiv und sie bot einen gewissen Schutzwall gegen rassistische Hetze. Der Meinungsforscher Peter Filzmaier bestätigt, dass besonders die Wiener SPÖ in der türkischen Community eine „gewisse Mobilisierungsstärke“ habe. Sie wird das verspielen, wenn sie sich weiter so offen „türkenfeindlich“ gibt.
Für uns Sozialist_innen darf es keine Frage sein, ob wir uns auf die Seite der Türk_innen stellen, wenn sie vom Staat und der FPÖ offen angegriffen werden. Um sie besser zu verstehen, müssen wir auf sie zugehen und sie besser kennen lernen.
Ausstellungstipp: „Unter fremden Himmel. Aus dem Leben jugoslawischer GastarbeiterInnen seit 1966“. 2. September bis 16. Oktober, Volkskundemuseum Laudongasse 15-19. Mehr Infos auf jukus.at