Tausende gegen Kopftuchverbot: Regierung muss Selbstermächtigung fürchten!

In einer beeindruckenden und kraftvollen Demonstration marschierten am Samstag, 4. Februar in Wien rund 4.000 Menschen gegen das Kopftuchverbot und für das Selbstbestimmungsrecht von Frauen. Wenn sich die von Rassismus Betroffenen selbst wehren und von anderen solidarische Unterstützung bekommen, kann das für die Regierung ziemlich ungemütlich werden.
4. Februar 2017 |

Es war eine Demonstration, die nur so vor Selbstbewusstsein muslimischer Frauen strotzte. „Des-Integrationsminister“ Sebastian Kurz wollte sie noch härter unterdrücken, aber stattdessen stehen die Betroffenen auf und weigern sich „Opfer“ zu sein. Fantastische 4.000 Menschen demonstrierten am Samstag, 4. Februar in Wien unter dem Motto „MuslimBanAustria: Mein Körper – Mein Recht auf Selbstbestimmung!“ und marschierten vom Platz der Menschenrechte zum Integrationsministerium am Minoritenplatz.

Frauen mit und ohne Kopftuch, Familien mit Kindern, Jugendliche und Alte schlossen sich dem Marsch an. Voran marschierten die Frauen, die solidarischen Männer mussten hinten nachgehen. Gözde Taskaya vom Netzwerk Muslimische Zivilgesellschaft (NMZ) erklärte der Menge selbstbewusst: „Der Grund, warum wir als Frauenblock voran marschieren ist: Wir zuerst!“ Für Durchsagen, dass „wir Frauen“ die Demonstration anführen und die Männer hinten gehen sollten, gab es stürmischen Applaus.

Empowerment

Das NMZ hatte die Demo gemeinsam mit der Dokumentationsstelle für Muslime (Dokustelle) und dem Jugendrat der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (JIGGiÖ) organisiert.

Auf selbstgemalten Schilder stand „Keine Verschleierung sozialer Probleme“, „Wir sprechen für uns!“ und „Ich trage, was ich will!“. Abida erzählte der Neuen Linkswende, warum sie gekommen ist: „Ich bin heute hier, weil ich zeigen will, dass ich nicht von Sebastian Kurz befreit werden will!“ Nafisa macht der zunehmende Rassismus in Österreich und dem Rest der Welt Angst. Aber sie sagte auch: „Zu sehen, wie so viele Menschen heute auf der Straße sind, macht mir seit langem wieder Mut.“

Die Demonstrant_innen riefen laut: „Wir sind hier und wir sind laut, weil ihr unsere Freiheit klaut!“ und „Hey, Minister! Hands off my sister!“ (Hey Minister Kurz, Hände weg von meiner Schwester!).

Demo gegen das Kopftuchverbot (4.2.2017)

Gekommen waren mehrheitlich Muslime, und alleine das war schon unglaublich beeindruckend. Unterstützung bekamen sie von nicht-muslimischen Menschen, die eine Klarheit darüber haben, dass ein Angriff auf eine Gruppe ein Angriff auf alle ist. Die überzeugt nicht-religiöse Sarah kam aus Solidarität. Sie meinte: „Der Aufstieg von Donald Trump zeigt, dass wir etwas gegen antimuslimischen Rassismus aus der Mitte der Gesellschaft tun müssen.“

Aufschrei der Ausgegrenzten

Die Regierung versucht diese wunderbare Solidarität zu unterbinden und Menschen gegeneinander auszuspielen. Arifa hat im Sommer 2015, als Flüchtlinge die Grenzen durchbrachen, am Hauptbahnhof mitgeholfen. Sie sagte: „Es war unglaublich schön zu sehen, wie wir damals alle zusammen gearbeitet haben. Christen, Muslime, Atheisten, Frauen, Männer. Jetzt kommt es mir so vor, als ob die Regierung das bewusst kaputt machen will.“

Viele der Demonstrierenden fühlen sich von der etablierten Politik überhaupt im Stich gelassen. Eylül lebt zwar seit 40 Jahren in Österreich, aber „trotzdem werde ich oft behandelt als gehöre ich nicht hierher“, erzählt er. „Ich hab sogar die österreichische Staatsbürgerschaft und war schon wählen. Aber mittlerweile weiß ich nicht, wieso ich überhaupt zur Wahl gehen soll. Sie hassen uns sowieso.“ Der heutige Protest war ein längst nötiger Aufschrei der Ausgegrenzten.

Selbstbestimmungsrecht

Als Rednerinnen traten nur Frauen auf. Eine von ihnen musste aus Afghanistan flüchten. Die Frauenbeauftragte der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGIÖ), Carla Amina Baghajati kam ebenso zu Wort wie eine Poetry-Slammerin und die feministische Forscherin und Aktivistin Petra Unger.

Gözde Taskaya vom NMZ stellte in ihrer Rede klar, dass jede Frau das Recht habe „ihre körperlichen Grenzen selbst zu ziehen“. Sie kritisierte das Verschleierungsverbot als Ablenkungsmanöver: „Wir akzeptieren nicht, dass ein politisch und medial erzeugtes Bild der unmündigen Musliminnen geschaffen wird, während realpolitische und wirtschaftliche Krisen totgeschwiegen werden.“ Sie sagte empört: „Wir werden nicht als Sündenböcke herhalten für etwas, das wir nicht zu verantworten haben!“

Selbstermächtigung

Deniz Eroglu-Koc (JIGGiÖ) erinnerte daran, dass die Regierung in ihrem neuen Koalitionsabkommen nicht nur Musliminnen, Flüchtlinge, Alte und sozial Schwache attackiert, sondern auch alle Österreicher_innen, die „nicht mindestens der oberen Mittelklasse angehören“. Der Generalverdacht, der über den Ausbau der Überwachung erhoben wird, treffe „am Ende uns alle“.

Elif Öztürk von der Dokustelle kritisierte die de facto Berufsverbote für Musliminnen: „Sie wollen nicht, dass wir einen sichtbaren Platz in unserer Gesellschaft und eine repräsentative Position einnehmen.“ Es drohe ein Rückschritt in längst vergangen geglaubte Zeiten: „Es musste lange für die Rechte von Frauen gekämpft werden!“ Als früher Frauen mit Kopftuch nur Putzfrauen waren, störte das ebenso wenig wie unterbezahlte Gastarbeiter_innen in den Fabriken. Aber als emanzipierte, selbstbewusste Kolleg_innen in allen anderen Branchen werden Muslim_innen vom Staat, egal ob hier geboren oder nicht, bekämpft.

Carla Amina Baghajati: „Wir müssen offensiv werden!“

Carla Amina Baghajati: „Wir müssen offensiv werden!“

Am Höhepunkt ihrer Reden motivierten Taskaya, Eroglu-Koc und Öztürk die Menge und trugen gemeinsam vor: „Wir solidarisieren uns mit allen Frauen und ganz besonders mit marginalisierten Frauen, die aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Hautfarbe, ihres sozialen Status, ihrer Religion, ihrer sexuellen Orientierung, ihres Alters oder ihrer Behinderung benachteiligt werden!“ Selbstermächtigung und selbstorganisierter Widerstand von unten kann für die Regierung wirklich ungemütlich werden – vor allem, wenn sich die Betroffenen wie heute selbst zur Wehr setzen.

Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.