Aufstand von Cattaro: „Soldaten der Freiheit“
Der Matrosenaufstand im Adriahafen Cattaro (heute Kotor, gelegen in Montenegro) brachte die drei Elemente, welche neun Monate später die österreichische Monarchie stürzen und den Krieg beenden sollten, zusammen. Erstens war es ein Aufstand der unterdrückten Klassen, repräsentiert durch die Matrosen, gegen die herrschende Klasse der Offiziere und der Admiralität.
Die Offiziere waren fast ausschließlich Söhne von Adeligen. Dementsprechend führten sie ein unfassbar dekadentes Leben an Bord. Während die Matrosen schufteten und hungerten, organisierten sie Tanzabende an Bord und verkauften das Essen der Matrosen für feine Gewürze und teure Weine.
Zweitens war es ein Aufstand der in der k.u.k. Monarchie unterdrückten Nationalitäten: Tschechen, Kroaten, Polen u.a. gegen die österreichische Herrschaft. Die Offiziere waren größtenteils Österreicher, während sich die Mannschaften laut dem Buch Cattaro – Prag. Revolte und Revolution des Historikers Georg Plaschka aus allen Nationalitäten zusammensetzten.
Alleine die Kroaten, Serben und Slowenen machten 34% aus. Dazu kamen noch Italiener, Ungarn, Polen und Österreicher. Und schlussendlich war es ein von der russischen Oktoberrevolution inspirierter Aufstand gegen Krieg und Monarchie für eine sozialistische Gesellschaftsordnung.
Das Manifest der Matrosen teilte sich neben den Forderungen nach Anerkennung der Matrosenräte und einer allgemeinen Straffreiheit in zwei Bereiche auf. Der erste Teil verlangte grundlegende politische Änderungen wie sofortiger allgemeiner Frieden ohne Annexionen, Anerkennung des unbedingten Selbstbestimmungsrechts der Völker und eine demokratische Regierung in Österreich und Ungarn.
Die Forderungen entsprachen praktisch eins zu eins den Friedensbedingungen, welche der russische Revolutionär Leo Trotzki den Habsburgern in Brest-Litowsk vorschlug. Im zweiten Teil wurden Verbesserungen des Lebens der Matrosen gefordert: gleiche Kost für Stab und Mannschaft, Erhöhung der Lohnsätze, mehr Urlaub, usw.
Es gelang, revolutionäre und reformistische Forderungen zu kombinieren und somit den politisch bewussteren Teil der Matrosen – sie wollten eine andere Gesellschaft – und dem weniger bewussten Teil – sie wollten vorerst reale Verbesserungen – zu einer Einheit zu schmieden.
Jännerstreik
Der zwei Wochen zuvor am 14. Jänner in Wiener Neustadt begonnene Jännerstreik hatte sich rasend schnell bis in die hintersten Winkel des Habsburgerreiches ausgebreitet. Am 22. Jänner legten die Arsenalarbeiter_innen in Pola, dem zweiten großen Flottenstützpunkt neben Cattaro, die Arbeit nieder. Auch in Pola (heute Pula in Kroatien) bildeten die Matrosen als Reaktion auf den Streik Matrosenräte.
Die Nachrichten von den Streiks gegen den Krieg erreichten auch die Matrosen und Arsenalarbeiter_innen in Cattaro. In den Kneipen der Stadt gab es kein anderes Gesprächsthema mehr: sollte es dem Rest der Monarchie gleich getan werden oder doch lieber abwarten? Der aus Mähren stammende sozialdemokratische Matrose Franz Rasch argumentierte für eine politische Demonstration. Er sah das Offensichtliche: die Monarchie lag am Boden, eine Rebellion im zweitgrößten Flottenstützpunkt könnte sie endgültig erledigen und den Krieg beenden.
Schließlich beschlossen die Matrosen für den 1. Februar eine politische Demonstration. Tragischerweise gelang es der österreichischen Sozialdemokratie (SDAP) schon am 20. Jänner, die Streikwelle im Zentrum der Monarchie einzudämmen. Dadurch wurde eine Kombination aus Streik und Soldatenaufstand verhindert.
Allgemeiner Matrosenrat
Die Machtübernahme der Matrosen gelang reibungslos. Nur auf einem einzigen Schiff, der „Gäa“, musste überhaupt ein Schuss abgefeuert werden. Die Offiziere ergaben sich kampflos. Auf allen Schiffen bildeten sich Matrosenräte. Pro Schiff wurden zwei Abgeordnete in den zentralen Matrosenrat auf der „St. Georg“ gewählt.
Der zentrale Matrosenrat setzte sich genauso wie die Mannschaft aus allen Nationalitäten zusammen: Kroaten, Ungarn, Polen, Tschechen, Italiener und Österreicher waren in ihm vertreten. Der zentrale Matrosenrat kümmerte sich darum, dass eine revolutionäre Disziplin aufrechterhalten wurde. Es kam zu keinerlei Plünderungen, jeder erhielt genau die gleiche Menge Essen und das Ausschenken von Alkohol wurde verboten.
Außerdem organisierte er Wachmannschaften sowohl an Bord der Schiffe als auch an Land. Der zentrale Matrosenrat zeigte sich besonnen. Als der Matrosenrat auf der „Gäa“ einen besonders verhassten Offizier zu erschießen drohte, wurde dies verhindert.
Fehler der Matrosen
Die Matrosen zählten darauf, dass ihr Aufstand endgültig die Revolution im restlichen Reich auslösen würde. Direkt nach der Machtübernahme schickte der Matrosenrat ein Telegramm an den Parteivorsitzenden der SDAP, Viktor Adler in Wien, und bat um Ratschlag, was nun zu tun sei. Ein zweites Telegramm schickten sie an den Führer der parlamentarischen Opposition in Ungarn, Graf Michael Károlyi.
Der Kommunist Bruno Frei berichtet in seinem Buch Die Matrosen von Cattaro, dass die Telegramme abgefangen wurden. Es kamen keine Ratschläge aus Wien oder Budapest. Die Matrosen hofften so sehr auf Revolution im restlichen Teil der Monarchie, dass sie viel zu zögerlich vorgingen. Die Offiziere wurden zwar entwaffnet, konnten sich aber frei an Deck bewegen.
Der Admiral der Flotte konnte in aller Seelenruhe mit dem Kriegshafenoberkommando per Telegraf kommunizieren. Es wurden zwar Wachgänge an Land organisiert, jedoch wurde versäumt, sich direkt nach Übernahme des Kommandos an Bord der Küstenartillerie zu bemächtigen. Dadurch blieb sie unter Kontrolle der Admiralität.
Am Abend des 2. Februar drohte diese, falls die Matrosen nicht kapitulierten, würden sie die Flotte mit der Küstenartillerie beschießen. Außerdem holten sie eine Flotte aus Pola zur Verstärkung und blockierten die Ausfahrt aus dem Hafen. Die meuternden Matrosen waren gefangen. Der Matrosenrat diskutierte, ob versucht werden sollte aus dem Hafen auszubrechen, oder ob der Hafen verteidigt werden sollte.
Es kam zu keiner Entscheidung. Die Moral der Aufständischen brach in sich zusammen. Es gelang den Offizieren die Kontrolle über die Flotte zurückzugewinnen. Am Mittag des 3. Februar mussten auch die Matrosen auf der „St. Georg“ und der „Gäa“ kapitulieren.
Verhalten der SDAP
Der Sozialdemokrat Julius Braunthal erzählt in seinem Buch Auf der Suche nach dem Millennium, er selbst hätte am 5. Februar eine Nachricht an Otto Bauer geschickt, in der er über die Vorgänge in Cattaro berichtete. Allerspätestens am 11. Februar wusste der SDAP-Parteivorstand von den Vorgängen in Cattaro.
Victor Adler erklärte dem Generaloberst des Kriegsministeriums Stöger-Steiner am Abend des 11. Februars, die Arbeiter_innen würden, falls er ihnen von den Vorgängen berichtete, komplett ohne sein Zutun auf die Barrikaden gehen. Genau deshalb schwieg Adler. Die Vertreter des linken Parteiflügels Otto Bauer und Julius Deutsch streichen in ihren Geschichten der österreichischen Revolution positiv hervor, dass die Partei direkt 5.000 Kronen für die Verteidigung der Matrosen zur Verfügung stellte.
Abgesehen davon, dass zu diesem Zeitpunkt Franz Rasch und drei andere Matrosen schon hingerichtet waren. Juristischer Beistand statt Aufstand, eine passendere und vernichtendere Anekdote über die Praxis des Reformismus kann nicht gefunden werden.
Auch wenn der Aufstand der Matrosen in Cattaro scheiterte, das Gemetzel des Ersten Weltkrieges noch acht Monate weiterging und die welthistorische Chance den Lauf der Geschichte zu verändern, vertan wurde: Wir sollten heute fest in der stolzen Tradition der einfachen Menschen stehen, welche versucht haben, das blutige Treiben der Mächtigen zu beenden!